
Die Versorgungslage
Die Ernährungssituation im KZ wird durch selektive Verweise auf den
Mit der zunehmenden Intensivierung des Krieges wurden die Rationen ab Herbst 1941 kontinuierlich herabgesetzt. Revisionist:innen deuten diesen Mangel fälschlich als Folge alliierter Politik – eine klassische Täter-Opfer-Umkehr, die die Verantwortung des NS-Regimes für den Krieg verschleiern soll. Die Folgen der chronischen Mangelernährung spiegeln sich auch in den Todeszahlen nach der Befreiung des Lagers wider: Trotz notfallmedizinischer Versorgung starben noch mehrere hundert Häftlinge.2
Legitimierung der Haft
Bestimmte Häftlingsgruppen – sogenannte „Berufsverbrecher“ oder „Asoziale“ – werden als zu Recht Inhaftierte dargestellt. Dabei wurden die Opfer unter dem Vorwand der "Vorbeugehaft" ohne rechtsstaatlichen Prozess in die Lager verschleppt. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft verdrängte deren Leid lange: Erst 2020 erkannte der Bundestag sie offiziell als Opfergruppe an – unter Enthaltung der AfD-Fraktion.3 Auch internierte queere Opfer werden nachträglich als „Perverse“ oder „Päderasten“ stigmatisiert. Jüd:innen wird pauschal eine „deutschenfeindliche Haltung“ unterstellt, oft gestützt auf die NS-Propaganda der angeblichen „jüdischen Kriegserklärung“ gegen Deutschland. Diese nachträgliche Legitimierung soll verschleiern, dass niemand in Buchenwald „zu Recht“, sondern aufgrund der NS-Ideologie inhaftiert war.
Die Morde der SS
Die Morde der SS an rund 8.000 sowjetischen Kriegsgefangenen werden geleugnet. Als Begründung dienen Behauptungen wie mangelnde Zeit zur Reinigung der Tötungsanlage oder ein drohender Hörsturz des Schützen. Die Erschießungen waren jedoch minutiös geplant – mit Scheinuntersuchungen, lauter Musik zur Tarnung und rotierendem Mordpersonal. Ein SS-Schreiben vom 15. November 1941 belegt zudem die offizielle Legitimierung der Erschießungen.4 Auch das Töten durch sogenanntes „Abspritzen“ wird als Legende diffamiert, obwohl zu den Morden per Giftspritze zahlreiche Berichte vorliegen.5
Die Opferzahlen
Die Sterberate wird als vergleichbar mit alliierten Kriegsgefangenenlagern dargestellt. Eine geschichtsrevisionistische Relativierung: Laut der
Lagerkommandant Koch und der Mythos der „ehrbaren SS“
Der Lagerkommandanten Karl Otto Koch wurde wegen Korruption und eigenmächtiger Morde 1944 von einem SS-Gericht in Kassel zweimal zum Tode verurteilt und am 5. April 1945 in Buchenwald hingerichtet. Revisionist:innen deuten dieses Urteil als Beleg für die vermeintliche Rechtsstaatlichkeit. Tatsächlich stand jedoch nicht das Leid der Häftlinge im Vordergrund, sondern Kochs persönliche Bereicherung und willkürliches Vorgehen. Im NS-Staat galten das systematische Morden und Ausplündern der Opfer als legitim – solange es zentral organisiert wurde und das Raubgut der SS oder der „Volksgemeinschaft“ zugutekam.

Die Rolle der Kapos
Geschichtsrevisionist:innen instrumentalisieren Gewalt durch sogenannte Kapos und Vorarbeiter, um die Rolle der SS zu relativieren. Diese setzte z.T. besonders brutale Häftlinge als Kapos ein und belohnte sie mit Privilegien. Dieses System sollte die Kontrolle erleichtern und die Verantwortung verschleiern. Dennoch blieb die SS selbst maßgeblich für die Gewalt im Lager verantwortlich: Prügelstrafen, stundenlange Appelle oder Folter im Bunker gehörten zum grausamen Alltag.7
Krude Geschenkartikel
Die Herstellung grausamer „Geschenkartikel“ wird als Mythos abgetan. Zwar erwies sich ein 1985 aufgetauchter Schrumpfkopf als unecht,8 doch andere Objekte – wie etwa Lampenschirme aus Menschenhaut – sind reale Schrecken, wie ein Gutachten von 2023 bestätigte.9 Einige der menschlichen Überreste befinden sich heute als Beweise für die NS-Verbrechen in der Sammlung der Gedenkstätte, werden aus ethischen Gründen jedoch nicht ausgestellt.
Pseudomedizinischen Experimente
Die medizinischen Versuche – etwa zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Fleckenfieber – werden als Zeichen der angeblichen Fortschrittlichkeit des NS-Staates verdreht. Dass die Forschung ergebnislos blieb und dafür hunderte Häftlinge leiden und sterben mussten, wird verschwiegen. SS-Ärzte nutzten Internierte zudem für sinnlose Eingriffe oder sadistische Experimente. So pflanzte ein dänischer SS-Arzt 1944 männlichen Häftlingen synthetische Hormone in die Leistengegend, um ihre Homosexualität zu "beheben". Mindestens zwei der 15 Versuchspersonen überlebten dieses menschenverachtende Experiment nicht.10
Das Leben im Lager
Das Lagerleben wird mit Verweis auf Bordell, Kantine oder Kino beschönigt. Das Bordell war ein Mittel zur Leistungssteigerung, das nur wenigen Häftlingen zugänglich war. Die zur Sexarbeit gezwungenen Frauen waren selbst Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück.11 Das Kino entstand auf Initiative der Häftlinge, während die SS vom Eintrittsgeld profitierte. Die Kantine diente primär der Bereicherung einzelner Akteure: Die überteuerten Güter waren für die Wenigsten erschwinglich. Das von den Häftlingen organisierte, marginale kulturelle Leben im Lager ist ein Zeugnis für die Widerstandskraft der menschlichen Psyche, nicht aber für die vermeintlich komfortablen Bedingungen.
Das Wissen der Weimarer Bevölkerung
Bis heute hält sich der Mythos, die Bevölkerung Weimars habe nichts von Buchenwald gewusst. Zwar kannte sie nicht alle Grausamkeiten, doch das Lager war keineswegs unsichtbar. Bevor das KZ ab Mitte 1940 über eine eigene Verbrennungsanlage verfügte, wurden die Leichen im städtischen Krematorium verbrannt. Noch bis 1944 kamen die Häftlinge im Weimarer Haupt- bzw. Güterbahnhof an, bevor sie nach Buchenwald marschieren mussten. Die Internierten arbeiteten in Außenkommandos mit Zivilpersonen zusammen, bauten die Straße nach Weimar und räumten nach der Bombardierung der Stadt im Februar 1945 Trümmer – etwa 350 starben zuvor in den Gustloff-Werken, da sie keine Schutzräume aufsuchen durften.12Zahlreiche Unternehmen unterhielten Geschäftsbeziehungen zum Lager – allgemeine Unwissenheit ist daher nicht glaubhaft. Die amerikanischen Streitkräfte ordneten nach der Befreiung des Lagers die Besichtigung durch 1.200 Weimarer Bürger:innen an.
Warnung: Das Video enthält explizite Aufnahmen aus dem Konzentrationslager Buchenwald unmittelbar nach der Befreiung. Es zeigt Leichen, ausgemergelte Häftlinge und dokumentiert die Gewaltverbrechen der SS. Die Bilder können verstörend und retraumatisierend wirken. Bitte mit Vorsicht ansehen.
Häftlingsentlassungen
Einzelne Entlassungen werden zur Verharmlosung genutzt. Eine Propagandaaktion entfiel auf den 50. Geburtstag Adolf Hitlers: 2.300 sogenannte „Asoziale“ durften das Lager verlassen. Die Entlassenen mussten ein Schweigeabkommen unterzeichnen und sich regelmäßig bei der lokalen Polizei melden. Zwischen Februar und August 1939 durften 2.000 Jüd:innen, die bereits ihre Ausreisepapiere hatten, das Lager verlassen.13 Der Antisemitismus war 1939 zwar Kernelement des NS, der organisierte Massenmord an den Jüd:innen hingegen noch nicht beschlossen. Einzelne Entlassungen stehen in keinem Verhältnis zur Gesamtzahl der 277.800 Häftlinge.
Beweise für die Verbrechen
Ein US-amerikanischer Dokumentarfilm nach der Befreiung zeigt u.a. Leichen am Krematorium. Revisionist:innen behaupten fälschlich, es handle sich um deutsche Soldaten aus den Rheinwiesenlagern – eine Verschwörungstheorie, die auch bei anderen KZs bemüht wird. Als angebliche „Beweise“ für eine Inszenierung dienen auch Details wie „zu gut genährte“ Häftlinge oder fehlende Häftlingskleidung. Tatsächlich hatten einige Kleidung von Angehörigen erhalten oder wurden bereits versorgt. Der Film selbst wird als deutschenfeindliche Propaganda abgewertet – mit Verweis auf die jüdische Herkunft des Co-Regisseurs Billy Wilder. Der Antisemitismus erfüllt im historischen NS wie im modernen Geschichtsrevisionismus die Funktion einer Welterklärungsformel, in der die Jüd:innen durch Betrug und geheime Machenschaften dem deutschen Volk schaden würden. Eine Projektion ohne jede faktische Grundlage, in der selbst Gegenbeweise als Bestätigung der angeblichen Verschwörung gedeutet werden.
Der Mythos der Selbstbefreiung
Die US-Armee rückte am 11. April in Richtung Buchenwald vor. Gegen Mittag waren die meisten SS-Wachen bereits vor den heranrückenden Streitkräften geflohen. Das internationale Lagerkomitee übernahm im Verlauf des Nachmittags die Kontrolle. Der Lagerälteste, Hans Eiden, hisste am Tor die weiße Fahne. Die Widerstandsgruppen setzten noch 76 Gefangene fest, bevor kurze Zeit später die ersten Alliierten das Lager betraten.14 In der DDR verbreitete die SED den Mythos der Selbstbefreiung. Der kommunistische Widerstand sollte als heroischer Sieger über den Faschismus inszeniert werden, auch um die fehlende demokratische Legitimation der Führung zu kompensieren. Ohne das Vorrücken der US-Streitkräfte wäre die Befreiung jedoch nicht möglich gewesen.
Das Sowjetische Speziallager Nummer 2
Revisionist:innen nutzen das sowjetische Speziallager Nr. 2 um das KZ Buchenwald zu relativieren. Dabei wird auf die hohe Sterblichkeit verwiesen, die 1947 mit etwa 24 % ihren Höhepunkt erreichte. Die insgesamt über 7.000 Toten sind vor allem auf die mangelhafte Versorgung der Nachkriegslage, nicht aber auf systematischen Massenmord zurückzuführen.15 Eine Gleichsetzung beider Lager verwischt die zentralen Unterschiede: Buchenwald war Teil eines systematischen Verfolgungs- und Vernichtungsapparates aufgrund der NS-Ideologie. Das Speziallager diente der Internierung tatsächlicher oder vermeintlicher NS-Täter:innen und politisch Missliebiger – oft ohne rechtsstaatliches Verfahren, sodass auch viele Unschuldige in Haft gerieten.16 Die Geschichte des Sowjetischen Speziallagers Nr. 2 wurde in der DDR verdrängt – heute widmet die Gedenkstätte dem Lager eine eigene Ausstellung.
Buchenwald heute
Buchenwald ist bis heute Gegenstand geschichtsrevisionistischer Angriffe. Dabei werden Täter-Opfer-Umkehr, NS-Propaganda und aus dem Kontext gerissene Quellen eingesetzt, um die nationalsozialistischen Verbrechen zu relativieren. Mythen über Versorgung, Opferzahlen oder angebliche Humanität sollen das Lager verharmlosen, während Beweise als Propaganda zur Unterdrückung Deutschlands diffamiert werden. Die Gedenkstätte Buchenwald leistet mit ihrer kritischen und umfassenden Aufarbeitung einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur – auch gegen aktuelle Versuche zur Verzerrung der Geschichte.
[Aktualisiert am 16.04.2025]
[1] David A. Hackett (Hrsg.): Der Buchenwald-Report. München 2011, S. 290
[2] Nach der Befreiung. buchenwald.de, URL: https://www.buchenwald.de/geschichte/chronologie/konzentrationslager/nach-befreiung (15.04.2025).
[3] Deutscher Bundestag: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ sollen als NS-Opfer anerkannt werden. bundestag.de, dort datiert 13.02.2020, URL: https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2020/kw07-de-ns-verfolgte-680750 (15.04.2025).
[4] Hackett (Hrsg.): Der Buchenwald-Report, S. 273–274.
[5] Ebd., S. 235–240.
[6] Rüdiger Overmans: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, 3. Aufl. München 2004 (Beiträge zur Militärgeschichte 46), S. 286.
[7] Hackett (Hrsg.): Der Buchenwald-Report, S. 84.
[8] Falsifikat: „Schrumpfkopf“. buchenwald.de, URL: https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/menschliche-ueberreste/falsifikat (15.04.2025).
[9] Kleiner Lampenschirm. buchenwald.de, URL: https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/menschliche-ueberreste/kleiner-lampenschirm (15.04.2025).
[10] Hackett (Hrsg.): Der Buchenwald-Report, S. 108.
[11] Lagerbordell. buchenwald.de, URL: https://www.buchenwald.de/geschichte/historischer-ort/konzentrationslager/lagerbordell (15.04.2025).
[12] Hackett (Hrsg.): Der Buchenwald-Report, S. 126.
[13] Ebd., S. 83.
[14] Die Befreiung des KZ Buchenwald. buchenwald.de, URL: https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/chronologie-befreiung (15.04.2025).
[15] Bodo Ritscher/Rikola-Gunnar Lüttgenau/u.a. (Hrsg.): Dass sowjetische Speziallager Nr. 2 1945-1950, 2. Aufl. Buchenwald 2008, S. 136.
[16] Ebd., S. 70.