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Der AfD-Kurs zwischen Verfassungsschutzdruck und Revisionismus

Die Bundestagsfraktion der AfD hat sich vom Schlagwort „Remigration“ und vom rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner distanziert, der diesen Kampfbegriff maßgeblich geprägt hat. Ein Schritt, der innerparteilich auf scharfe Kritik stieß. Zeitgleich nahm die Vernetzung rechtsextremer Akteur:innen unvermindert weiter Fahrt auf, etwa beim Sommerfest des Antaios Verlags in Schnellroda. Im Bundestag selbst war von einer Mäßigung wenig zu erkennen: Mehrere Reden griffen geschichtsrevisionistische Narrative auf.

Auf dem Bild ist die Klausurtagung der AfD zu sehen. Die Abgeordneten sitzen in einem runden Saal an zwei halbkreisförmig angeordneten Tischen sowie an einem kleinen Tisch in der Mitte. Im Hintergrund zeigt ein großer Bildschirm die Tagesordnungspunkte.
Auf ihrer zweitägigen Klausurtagung bemühte sich die AfD um ein gemäßigtes Auftreten und strich den Begriff „Remigration“ aus dem Positionspapier „Sicherheit für Deutschland“, in dem er zuvor in einer geleakten Fassung noch enthalten war. ©Screenshot, https://t.me/StephanBrandnerMdB/4087, aufgerufen am 15.07.2025

Abschied von der „Remigration“?

Am 5. Juli strich die AfD‑Fraktion bei ihrer Klausurtagung den Begriff „Remigration“ aus ihrem Positionspapier „Sicherheit für Deutschland". Kernforderungen wie eine Verschärfung des Asylrechts sowie eine geplante „Abschiebeoffensive“ bleiben jedoch bestehen.1 Zwei Tage später folgte die Distanzierung von Martin Sellner in einer Telefonkonferenz. Besonders der Thüringer Landesverband um Björn Höcke opponierte gegen diesen Kurs. Dessen Lager vertritt weiterhin Sellners Konzept einer „Remigration“, die mutmaßlich auch die Abschiebung deutscher Staatsbürger:innen mit Migrationshintergrund einschließt. Noch zu Jahresbeginn hatte Fraktionschefin Alice Weidel den Begriff selbst prominent genutzt, um das völkisch‑nationalistische Lager hinter sich zu versammeln. Sellner und Höcke verknüpfen „Remigration“ mit einem geschichtsrevisionistischen Narrativ: Die deutsche Nachkriegspolitik sei von einem „Schuldkomplex“ bzw. einem „Ethnomasochismus“2 geprägt, der zu einer liberalen Migrationspolitik und der Aufgabe nationaler Interessen geführt habe. Diese Argumentation verbindet zwei zentrale Motive der extremen Rechten: die Verharmlosung der NS‑Verbrechen und die Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“, die auf den französischen Rechtsextremisten Renaud Camus zurückgeht. Die demonstrative Abkehr von Sellner dürfte indes weniger ideologisch als taktisch motiviert sein: Der ethnisch definierte Volksbegriff, den Sellners Konzept impliziert, gilt dem Verfassungsschutz als zentrales Indiz für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD. Die Parteiführung versucht offenbar, Mäßigung zu signalisieren — während revisionistische Denkmuster weiter wirksam bleiben.

Bildmontage: Björn Höcke hält das aufgeschlagene Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ des Rechtsextremisten Martin Sellner in den Händen. Darüber steht der Schriftzug „Leseempfehlung“.
Auf Social Media zeigte sich Björn Höcke solidarisch mit Martin Sellner und verteidigte dessen Konzept der „Remigration“. Unterstützt wurde er dabei von zahlreichen anderen AfD-Mitgliedern aus dem Thüringer Landesverband. ©Scrennshot, https://x.com/BjoernHoecke/status/1941752648736141467, aufgerufen am 15.07.2025

Das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus

Noch vor der Bundestagsklausur entschied am 4. Juli 2025 das Schiedsgericht des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der AfD über den Fall Matthias Helferich. Dieser hatte sich in internen Chats selbst als „freundliches Gesicht des Nationalsozialismus“ und „demokratischer Freisler“ bezeichnet – eine Anspielung auf den berüchtigten Präsidenten des NS-Volksgerichtshofs, der in Schauprozessen tausende Todesurteile fällte. Dennoch nahm die Bundes-AfD Helferich im Februar 2025 in ihre Fraktion auf. Am 4. Juli bestätigte das Schiedsgericht schließlich Helferichs Ausschluss und begründete dies mit seinen radikalen Äußerungen.3 Gegen den Beschluss kann Helferich noch Rechtsmittel einlegen. Ob sich auch der Bundesverband an dieser Entscheidung orientiert, bleibt abzuwarten. Bereits am Folgetag besuchte Helferich das Sommerfest des rechtsextremen Antaios-Verlags in Schnellroda – Seite an Seite mit Martin Sellner, von dessen „Remigrations“-Konzept sich die Bundestagsfraktion parallel zu distanzieren versuchte.

Martin Sellner (links) und Mathias Helferich liesen sich auf dem Sommerfest des Antaois-Verlages in SChnellroda zusammen fotografien.
Martin Sellner (links) und Mathias Helferich (rechts) posierten gemeinsam für ein Foto auf dem Sommerfest des Antaios-Verlags in Schnellroda. ©Screenshot, https://t.me/MatthiasHelferich1/9451, aufgerufen am 15.07.2025

Geschichtsrevisionistische Vernetzung in Schnellroda

Der Antaios-Verlag, eng mit dem Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek verbunden, dient der extremen Rechten als Plattform für geschichtsrevisionistische Positionen. Auf dem diesjährigen Sommerfest diskutierte ein Podium unter anderem über „Geschichtspolitik“.. Dort trat der Historiker Stefan Scheil auf, der den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion als „Präventivkrieg“ deutet.4 Ein geschichtsrevisionistischer Mythos, der von seriösen Historiker:innen einstimmig zurückgewiesen wird.5 Neben ihm saß der brandenburgische AfD‑Landtagsabgeordnete und ebenfalls Historiker Dominik Kaufner. Dieser beklagte in einem Gastbeitrag für die Sezession zum 8. Mai 2025, dem Tag der Befreiung, eine angebliche „Schuldtheologie“, die „Rumpfdeutschland“ zum „Siedlungsgebiet“ und „Spielball fremder Interessen“ gemacht habe6 - Formulierungen, die an revanchistische Narrative nach den Gebietsverlusten Deutschlands in Folge der beiden Weltkriege anknüpfen. Kaufner inszeniert Deutschland als Opfer einer angeblich von außen erzwungenen Vergangenheitsbewältigung — eine verzerrte Darstellung, die ignoriert, dass die frühe Bundesrepublik die eigene NS‑Vergangenheit weitgehend verdrängte und die Aufarbeitung erst gegen starke innenpolitische Widerstände in den späten 1950er‑Jahren begann. Auf Social Media solidarisierte er sich zudem offen mit Sellner und dessen „Remigrations“-Konzept.

Auf dem Bild sitzen von links nach rechts Erik Lehnert, Dominik Kaufner und Stefan Scheil auf drei Stühlen. Im Hintergrund sind auf einer Trennwand die Logos des Antaios Verlags und der Zeitschrift „Sezession“ zu sehen.
Von links nach rechts: Erik Lehnert, Dominik Kaufner und Stefan Scheil. ©Screenshot, https://t.me/MatthiasHelferich1/9451?single, aufgerufen am 15.07.2025

Richtungsstreit ohne Klärung

In Schnellroda ging es jedoch nicht nur um geschichtspolitische Deutungen, sondern auch um die strategische Ausrichtung der AfD: Schon im Vorfeld hatte der umstrittene Politiker Maximilian Krah für eine Abkehr vom ethnisch definierten Volksbegriff plädiert. Krah ist innerhalb der Partei stark umstritten, nicht zuletzt wegen seiner mutmaßlichen Verbindungen zu russischen und chinesischen Behörden. Bekannt wurde er vor allem durch provokante TikTok‑Auftritte, mit denen er der AfD vor allem bei jüngeren Wähler:innen Aufmerksamkeit und Zuspruch verschaffte. Seine jüngste Abkehr vom Begriff „Remigration“ wertete das völkische Lager jedoch als Verrat. Der aus seinem Landesverband ausgeschlossene Matthias Helferich warf Krah vor, er wolle einen „Vielvölkerstaat“ etablieren. Ein für das Sommerfest in Schnellroda geplantes Streitgespräch zwischen Krah und Sellner kam letztlich nicht zustande: Sellner sagte im Vorfeld ab, obwohl beide vor Ort anwesend waren.

Rückkopplung nach Berlin: Opferinszenierungen und Relativierungen

Das rechtsextreme Vernetzungstreffen in Schnellroda verdeutlichte, dass die von der AfD propagierte Mäßigung vor allem als taktisches Scheinmanöver zu verstehen ist. Wie wenig diese Strategie tatsächlich mit einer inhaltlichen Neuausrichtung der Partei einhergeht, zeigte Co‑Vorsitzende Alice Weidel exemplarisch in ihrer Bundestagsrede am 9. Juli. Darin stilisierte sie die AfD zum Opfer vermeintlich „totalitärer“ Institutionen und warf der Verfassungsrichterkandidatin Frauke Brosius‑Gersdorf vor, die AfD und ihre Wähler:innen „beseitigen“ zu wollen. Tatsächlich hatte Brosius-Gersdorf klargestellt, sie meine damit allein die Parteistrukturen – nicht die Wähler:innen.7 Solche Selbstviktimisierung gehört zum festen Repertoire der AfD-Geschichtspolitik: Weidel sprach von einer „Rückkehr dunkler Zeiten.“ Jede Diktatur beginne mit Parteienverboten8 — ein historisch haltloser Vergleich angesichts der verfassungsgemäßen Verbote der Sozialistischen Reichspartei sowie der Kommunistischen Partei Deutschlands in der frühen Bundesrepublik. Diese Strategie relativiert nicht nur die NS-Vergangenheit und verhöhnt ihre Opfer, sondern diskreditiert zugleich die Instrumente der wehrhaften Demokratie, die die Verfassung zum Schutz vor genau solchen Bestrebungen vorsieht. Zwei Tage später relativierten Abgeordnete der AfD während einer Gedenkstunde zum 30. Jahrestag des Völkermords von Srebrenica den Genozid, den sie ihn als Beleg für das Scheitern von „Multikulti“ deuteten. Der AfD-Parlamentarier Tobias Teich stilisierte die in Serbien verbreitete Leugnung des Genozids als Vorbild für die deutsche Erinnerungskultur.

Fazit

Vor diesem Hintergrund wirken sowohl das neue Positionspapier der Bundestagsfraktion als auch die Distanzierung von Martin Sellner vor allem wie ein taktisches Manöver, um den Druck der Verfassungsschutzbeobachtung zu mindern. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Verharmlosung der NS-Verbrechen, dem Opfermythos und der geschichtspolitischen Revision in den eigenen Reihen ist hingegen nicht erkennbar. Die Vertagung der Richter:innenwahl für das Bundesverfassungsgericht dürfte die AfD unterdessen als Erfolg der von ihr mitgetragenen Diffamierungskampagne werten.

[1] Bundestagsfraktion der AfD: SICHERHEIT FÜR DEUTSCHLAND: Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion. AfD Bundestag, dort datiert 05.07.2025, URL: https://afdbundestag.de/wp-content/uploads/2025/07/SICHERHEIT-FUeR-DEUTSCHLAND-2025.pdf (15.07.2025).

[2] Martin Sellner: Regimechange von rechts. Schnellroda 2023, S. 20.

[3] Redaktion: AfD-Schiedsgericht beschließt Parteiausschluss Helferichs. Beck Aktuell, dort datiert 07.07.2025, URL: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/afd-schiedsgericht-parteiausschluss-bundestagsabgeordneter-helferichs# (15.07.2025).

[4] Stefan Scheil: Blindgänger um „Barbarossa“. In: Sezession 9 (2011), H. 43, S. 44–45.

[5] Peter Widmann: Die Ursachen des zweiten Weltkriegs und die rechtsextreme Propaganda. In: Wolfgang Benz/Peter Reif-Spirek (Hrsg.): Geschichtsmythen. Legenden über den Nationalsozialismus, 2. Aufl., Berlin 2005, hier S. 57.

[6] Dominik Kaufner: 8. Mai – Zeit für eine Revision. Sezession, dort datiert 08.05.2025, URL: https://sezession.de/70211/8-mai-zeit-fuer-eine-revision (15.07.2025).

[7] ZDF: Markus Lanz vom 25. Juli 2024. zdf.de, dort datiert 25.07.2024, URL: https://www.zdf.de/play/talk/markus-lanz-114/markus-lanz-vom-25-juli-2024-100 (15.07.2025).

[8] Deutscher Bundestag: Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 17. Sitzung, dort datiert 09.07.2025, URL: https://dserver.bundestag.de/btp/21/21017.pdf (15.07.2025). S. 1579

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