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Lüneburger Heide: Wandern mit Wehrwolf und Wolfsangel?

Wer von Linsen/Aller zur Gedenkstätte Bergen-Belsen fährt, kommt am Ortsausgang von Winsen an einem an der Straße aufgestellten etwas eigentümlich anmutenden Findling vorbei. Darauf ist in Frakturschrift der Name „Lindhorst“ zu sehen und eine Wolfsangel, ein unter Rechtsextremen beliebtes Symbol, dessen Verwendung im politischen Kontext verboten ist.

Findling der Familie Lindhorst an der Straße zwischen Winsen/Aller und der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2019.
Findling der Familie Lindhorst an der Straße zwischen Winsen/Aller und der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2019. ©Screenshot Hannoversche Allgemeine Zeitung, aufgenommen am 19.11.2024

Der Stein markiert die Einfahrt zum Anwesen der Millionärsfamilie Lindhorst, die nach 1990 im großen Stil Ländereien in den neuen Bundesländern erwarb. In Thüringen gehört ihr etwa ein Teil des Naturparks Hohe Schrecke. Familienoberhaupt Jürgen Lindhorst machte vor einigen Jahren auf sich aufmerksam, weil er den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zu einem Gesprächsabend auf sein Anwesen in Winsen einlud und mit rassistischen Parolen im verschwörungsideologischen Internet-Sender „Hallo Meinung“ auffiel, den er nach eigenen Angaben auch finanziell unterstützt.1 Auch wegen des Findlings mit dem Wolfsangel-Symbol geriet Lindhorst überregional in die Kritik. Doch trotz Protesten u.a. aus der Gedenkstätte Bergen-Belsen weigerte sich der Unternehmer, den Stein zu entfernen oder wenigstens zu versetzen.2

Wolfsangel – ein rechtsextremes Symbol

Die Wolfsangel ist ein jahrhundertealtes Symbol. Es zeigt eine mit einem Querbalken versehe­ne Sigrune und geht wohl als Zeichen auf eine Wolfsfalle zurück. Seit dem Mittelalter tauchte sie in Stadt- und Adelswappen auf, und im 19. Jahrhundert wurde sie als Grenzmarkierung sowie zur Kennzeichnung von Forstbeschäftigten genutzt. Bis dahin war ihre Verwendung politisch unbelastet. Das änderte sich an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die neu entstehende völkische Bewe­gung, die sich vor allem durch Nationalismus und Antisemitismus auszeichnete, entdeckte das Runenalphabet als Beweis für die Kulturleistung einer angeblich jahrtausendealten germani­schen Rasse. Heute gilt allerdings als unbestritten, dass die ersten Runen, die im zweiten Jahr­hundert nach Christus auftauchten, eine Adaption südeuropäischer Schriften waren.

Für die Völkischen waren nicht nur die Runen, sondern auch die Wolfsangel aber Symbole angeblicher germanischer Kulturhegemonie und Wehrhaftigkeit. Deshalb wurde sie schnell bei ihnen beliebt: Spätestens in den 1920er Jahren war die Wolfsangel ein vor allem von Völkischen und Nationalsozialist:innen genutztes politisches Erkennungszeichen. Gerne wurde sie auf Findlingen angebracht, jenen angeblich urgermanischen und unzerstörbaren Steinen, die in der Kunstgeschichte als die Kennzeichen schlechthin für die völkische Memorialkultur gelten.

Hermann Löns: Naturschützer, Rassist und Begründer des Wolfsangel-Kults

Zur Verbreitung der Wolfsangel als politischem Symbol in völkischen und später national­sozialistischen Kreisen hat maßgeblich Hermann Löns beigetragen, der „Naturschutz“ als „gleichbedeutend mit Rasseschutz“ bezeichnete und schrieb, der „letzte und wichtigste Zweck des gesamten Heimatschutzes“ sei der „Kampf für die Gesunderhaltung des gesamten Volkes, ein Kampf für die Kraft der Nation, für das Gedeihen der Rasse“.3 Überhaupt war Löns, wie viele in seiner Zeit, Nationalist, bisweilen auch mit antisemitischen Ausschlägen. 1910 schrieb er in einem Brief an Artur Kutscher:

„Ich bin Teutone hoch vier. […] Wir haben genug mit Humanistik, National-Altruismus und Internationalismus uns kaputt gemacht, so sehr, dass ich eine ganz gehörige Portion Chauvinismus sogar für unbedingt nötig halte. Natürlich passt das den Juden nicht und darum zetern sie über Teutonismus. Das aber ist der Weg, die Wahrheit und das Leben."4

Das Schlüsselwerk für die Löns-Rezeption durch die Völkischen und die politische Rechte in der Weimarer Republik ist Löns‘ Blut- und Bodenroman "Der Wehrwolf". Völkisches Gemeinschaftsethos verbreite der Roman, urteilt der Germanist Wilhelm Kühlmann, und bezeichnet das Buch als „Gewaltromantik“.5 Es handelt von wehrhaften Heidebauern, die sich im Dreißigjährigen Krieg, zusammengeschlossen als „Wehrwölfe“, mit dem Schlachtruf „Schlagt sie tot!“ gegen gefährliche fremde Eindringlinge wehren, insbesondere auch gegen Sinti:zze und Rom:nja. Nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der politischen Symbolik her war "Der Wehrwolf" ein Schlüsselroman für die extreme Rechte: Als Symbol germanischer Wehrhaftigkeit zieren die christliche Kapelle in dem Heidedorf zwei Wolfsangeln.

Nach dem ersten Weltkrieg, den Löns nicht überlebte, nahmen sich die natio­nalen Revolutionäre des Wehrwolfs (geschrieben übrigens mit „h“ und damit allenfalls indirekt Bezug nehmend auf die germanisch-mythologische Figur des Werwolfs) und der Symbolik der Wolfsangel an. Eine ihrer größten Organisa­tionen war der paramilitärische Verband „Wehrwolf“, gegründet 1923 und aufgelöst 1929. Das Abzeichen seiner Jugendorganisation war die Wolfsangel, die spätestens seit dieser Zeit Erkennungssymbol der extremen Rechten war. Aggressiv trat der Wehrwolf gegenüber der Weimarer Demokratie auf, propa­gierte einen radikalen Antisemitismus und die Eroberung von Lebensraum im Osten.

Nach der Auflösung des Wehrwolf-Verbandes im Jahr 1929 schlossen sich viele seiner Mitglieder der SA oder auch der SS an, andere gingen zu eher nationalrevolutionär orien­tierten Organisationen. Als Mythos blieb der Wehrwolf aber präsent. 1944 griff ihn SS-Chef Heinrich Himmler auf und gründete den Jugendverband „Werwolf“ – zwar ohne „h“, aber doch deutlich in der Tradition der nationalsozialistischen Löns-Rezeption stehend: Der Hitler-Jugend wurde im letzten Kriegsjahr das Löns-Buch als Pflichtlektüre verordnet, und das Abzeichen des Werwolf-Jugendverbandes war ein schwarzer Winkel mit weißer Wolfsangel.

Auch andere NS-Organisationen führten die Wolfsangel in ihren Symbolen, etwa die SS-Division „Das Reich“. Zudem nutzte die nationalsozialistische Polizei-Zeitschrift „Die deutsche Polizei“ das Symbol für ihren Titel.

Cover des Buches „Der Wehrwolf" von Hermann Löns, Ausgabe von 1939.
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Cover des Buches „Der Wehrwolf" von Hermann Löns, Ausgabe von 1939. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 19.11.2024
Emblem der Zeitschrift „Die deutsche Polizei“, herausgegeben im Auftrage des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, März 1939.
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Emblem der Zeitschrift „Die deutsche Polizei“, herausgegeben im Auftrage des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, März 1939. ©Militaria Archive, aufgerufen am 19.11.2024

Der Kult um Hermann Löns rührt ganz maßgeblich von seinem Roman „Wehrwolf“. In den 1920er und 1930er Jahren ließen vaterländische Verbände überall in Deutschland, vor allem aber in Niedersachsen, Gedenksteine für Hermann Löns aufstellen. Am bekanntesten ist sicherlich seine Grabstätte bei Soltau. Sie wurde 1935 von der Reichswehr geschaffen. Im Grab mit Löns‘ angeblichen Gebeinen (die sterblichen Überreste des 1914 als Soldat in Frankreich Gefallenen waren 1934 nach Deutschland überführt worden, aber es gab damals bereits Zweifel an der Identität6) liegt eine Kupferkapsel mit einer von Adolf Hitler unterschriebenen Urkunde. Auf dem Grab liegt ein Findling mit den Namen des Toten und eine Wolfsangel. 

Grab von Hermann Löns aus dem Jahr 1935.
Grab von Hermann Löns aus dem Jahr 1935. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 29.12.2025

Das Nachleben völkischer Symbolik

Nach 1945 nutzten Neonazis die Wolfsangel als Erkennungszeichen, etwa die 1982 verbotene „Junge Front“. Seit dem Verbot dieser Organisation ist die Verwendung der Wolfsangel als Symbol im politischen Kontext verboten. Ansonsten hat sie Bestandsschutz und darf etwa in Wappen oder auf Steinen wie auch in der Forstwirtschaft verwendet werden. Trotz des Verbo­tes im politischen Kontext wird die Wolfsangel aber weiterhin von Rechtsextremisten genutzt. Die NPD (jetzt „Die Heimat“) nutzte etwa im vorletzten Europawahlkampf eine leicht verfremdete Wolfsangel als Kennzeichen für „nationale Schutzzonen“. In der Ukraine wiederum nutzt das u.a. von Rechtsextremen gegründete Asow-Bataillon trotz seiner Eingliederung in die Nationalgarde noch immer die Wolfsangel als Symbol.

Insbesondere in der Lüneburger Heide gibt es bis heute zahlreiche Löns-Denkmäler, von denen viele mit der Wolfsangel versehen sind. Die meisten stammen aus den 1920er und 1930er Jahren, manche sind aber auch neueren Datums. Ein Gedenkstein bei Bockelskamp nahe Celle etwa stammt aus dem Jahr 2004, ein Hinweis darauf, dass der Löns-Kult in der Heide nahezu ungebrochen ist. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass eine 1941, also mitten im Zweiten Weltkrieg angebrachte Gedenktafel für Löns an dessen zeitweiligem Wohnhaus in der Celler Mauernstraße 47, die natürlich ebenfalls mit einer Wolfsangel verziert ist, bis heute ohne jegliche Kontextualisierung stolz bei Touristen-Führungen präsentiert wird.

Auch in Thüringen gibt es bis heute mindestens vier Gedenksteine für Herman Löns: in Gotha-Seebergen (von 1928, 1972 abgerissen und 1998 neu aufgestellt), in Katzhütte im Thüringer Wald (1934), in Neustadt/Südhaz (1928) und in Uhlstädt bei Rudolstadt (1935). Eine kritische Einordnung sucht man auch dort vergeblich.

Löns-Gedenkstein in Bockelskamp bei Celle, 2020.
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Löns-Gedenkstein in Bockelskamp bei Celle, 2020. ©Foto: Jens-Christian Wagner
Hermann-Löns Gedenkstein von 1935 bei Uhlstädt im Saale-Tal, undatiert.
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Hermann-Löns Gedenkstein von 1935 bei Uhlstädt im Saale-Tal, undatiert. ©https://www.komoot.com/de-de/highlight/125468), aufgerufen am 19.11.2024

Fazit

Das Erbe völkischen Denkens und des Nationalsozialismus ist bis heute im öffentlichen Raum präsent und bleibt häufig unkommentiert. Besonders deutlich wird dies am fortdauernden Kult um Hermann Löns und an der Verwendung der Wolfsangel, die tief in völkische und rechtsextreme Traditionslinien eingebettet sind. Ohne kritische Kontextualisierung drohen diese historischen Kontinuitäten zur Normalität zu werden und ihre ideologische Bedeutung unsichtbar zu machen.

 

 

[Autor: Jens-Christian Wagner, aktualisiert am 29.12.2025]

[1] Vgl. Millionär aus Winsen lädt AfD-Politiker Björn Höcke zum Kennenlernen ein, in: Cellesche Zeitung, 5.6.2028 (https://www.cz.de/lokales/celle-lk/millionaer-aus-winsen-laedt-afd-politiker-bjoern-hoecke-zum-kennenlernen-ein-A543AEA4FAF5A7EC24553AAAAA.html; 16.11.2024).

[2] Vgl. etwa Riecht nach Blut und Boden. Unternehmer provoziert Gedenkstätte mit Wehrmachtssymbol, rnd, 21.5.2019 (https://www.rnd.de/panorama/riecht-nach-blut-und-boden-unternehmer-provoziert-gedenkstatte-mit-wehrmachtssymbol-WOQAQPWETH56UADCUEJYOJQ434.html; 16.11.2024).

[3] Hermann Löns, Naturschutz und Rassenschutz, in Ders., Nachgelassene Schriften, hrsg. von Wilhelm Deimann, Leipzig/Hannover 1928, S. 486.

[4] Zit. nach Thomas Dupke, Hermann Löns – Mythos und Wirklichkeit. Eine Biographie, Berlin 1994, S. 161.

[5] Wilhelm Kühlmann: »›Mit Reden richtet man aber nichts aus …‹ Gewaltromantik zwischen Gemeinschaftsethos und Notwehrrecht in Hermann Löns` historischem Bauernroman Der Wehrwolf (1910)«. In: Fabian Lamparter, Dieter Martin und Christoph Schmitt-Maaß (Hg.): Der zweite Dreißigjährige Krieg. Deutungskämpfe in der Literatur der Moderne. Baden-Baden 2019 (Klassische Moderne, Bd. 38), S. 23-36.

[6] Vgl. Hermann Löns: Das Rätsel um sein Grab in der Heide, NDR, 26.9.2024 (https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Hermann-Loens-Das-Raetsel-um-sein-Grab-in-der-Heide,loens112.html).


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