
Bürgerliche Fassade?
Im Wahlkampf um den Posten als Oberbürgermeister ging Prophet 2023 mit Themen wie Haushaltspolitik, Radwegen oder öffentlichem Nahverkehr ins Rennen. Neben den auf den Wahlplakaten positionierten, unverdächtigen Themen veröffentlichte der OB-Kandidat jedoch mehrere Beiträge, welche die bürgerliche Fassade bröckeln ließen.
Bereits 2020 publizierte Prophet einen mittlerweile gelöschten Text unter dem Titel „Luftangriffe auf Nordhausen“ auf der Webseite des AfD-Kreisverbandes. Die Bombardierung Nordhausens am 3. und 4. April 1945 ist ein in der Stadt umstrittenes Thema und wurde immer wieder durch Rechtsextreme instrumentalisiert. In seinem Beitrag polemisiert Prophet gegen die „Filetierung Deutschlands“ durch die Alliierten und behauptet, die Nachkriegsplanung habe zwischen „Unselbstständigkeit“ und „Agrarland“ geschwankt. Damit griff er den von der NS-Propaganda verbreiteten „Morgenthauplan“ auf, der eine Umwandlung Deutschlands in ein Agrarland vorsah. Prophet verschwieg dabei, dass dieses Konzept bereits 1944 verworfen wurde. Noch weiter ging er mit seiner Gleichsetzung von Nationalsozialist:innen und Alliierten: Sieger und Besiegte seien gleichermaßen unmoralisch gewesen. Die amerikanischen GIs, die am 11. April 1945 das KZ Dora befreiten und noch einige hundert Überlebende retten konnten, wären angeblich nur für die fortschrittliche Technologie der unter Tage produzierten „Wunderwaffen“ gekommen. Die Befreier hätten so das "wahre Gesicht" gezeigt.1 Dass die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten nicht nur das KZ Dora, sondern auch unzählige andere Lager befreiten und tausende Leben retteten, lässt Prophet unerwähnt.

Nazi-Mythen und Fake History
In einem weiteren Posting vom 8. Mai 2020, dem Tag der Befreiung, bediente Prophet erneut rechtsextreme Narrative. Für den „Staatsbürger“ Prophet ist der 8. Mai der „Tag der bedingungslosen Kapitulation“ – nicht der Befreiung. Die DDR sei nach dem Krieg die „nächste linke Diktatur auf deutschem Boden“ gewesen. Prophet verweist hierbei auf den Mythos der „linken Nazis“, eine in der revisionistischen Szene verbreitete Legende. Die NSDAP hat sich in Teilen revolutionär bzw. antikapitalistisch geriert – sie war im Kern eine antikommunistische Partei, die mit anderen rechtsextremen Kräften (z.B. der DNVP) koalierte. Die Nationalsozialist:innen bekämpften die Kommunist:innen auf offener Straße und verboten nach der Machtübernahme die KPD, nahmen die Mitglieder in Haft oder ermordeten diese. Der Mythos der „linken Nazis“ ist eine Tatsachenverdrehung, die darauf abzielt, das politische Gegenstück, also die Rechte, als einzig vernünftige Lehre aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts darzustellen. Prophet verdreht die Geschichte, um den Regierungsanspruch der AfD zu begründen.
Im weiteren Verlauf des Postings zweifelt Prophet Deutschlands Schuld am Zweiten Weltkrieg an und „hinterfragt“ die Rolle des Völkerbunds, der Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen. Joseph Goebbels selbst verkündete am 14. Oktober 1933 den Austritt aus dem Völkerbund, da die NSDAP-geführte Regierung die Rüstungsbeschränkungen umgehen wollte. Neben dieser Relativierung der Verantwortung Nazi-Deutschlands stellt Prophet die Frage „warum dieser Krieg von allen Seiten nicht an den Ländergrenzen halt [sic] machte“. Die Achsenmächte führten gezielte Eroberungskriege, angetrieben von ideologischen Expansionszielen: Deutschland strebte „Lebensraum im Osten“ an, Italien wollte ein neues Römisches Imperium errichten, und Japan beanspruchte Gebiete im Indopazifik. Prophets Aussage, der Krieg habe „von allen Seiten“ keine Grenzen respektiert, verdreht Ursache und Wirkung: Die Alliierten marschierten nur ein, um die aggressiven Expansionspläne der Achsenmächte zurückzudrängen.
Alliierte Verbrechen und Reichsbürger:innen-Ideologie
In demselben Beitrag vom 8. Mai 2020 stellt der Nordhäuser Unternehmer die rhetorische Frage, ob die „Sozialisten“, gemeint ist die damalige Thüringer Regierung unter Bodo Ramelow, auch den Opfern von „neuer Macht und Willkür“ gedenken würden. Konkret benennt der Nordhäuser Unternehmer u.a. die Rheinwiesenlager. Ein besonders in der westdeutschen Neonazi-Szene verbreiteter Mythos: Angeblich hätten die Alliierten 1945 gezielt deutsche Kriegsgefangenen in den westlich des Rheins gelegenen Lagern unterversorgt. Infolgedessen seien bis zu einer Million deutsche Soldaten umgekommen. Seriöse Forscher:innen widerlegten die These einer bewusst provozierten Unterversorgung und gehen von einer maximalen Anzahl von 40.000 Toten aus. Neben dem Betonen von deutschem Leid, das immer als Folge der nationalsozialistischen Politik einzuordnen wäre, schließt Prophet mit seiner Trauer darüber, „dass wir immer noch keine Friedensverträge haben.“ Auch dieses Thema ist in rechtsextremen Kreisen beliebt. Geschichtsrevisionist:innen versuchen damit zu suggerieren, dass Deutschland immer noch besetzt oder nicht souverän wäre. Fakt ist: Die Regierung unter Karl Dönitz hat am 7. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterschrieben, die am 8. Mai in Kraft trat. Nicht jeder Krieg in der Geschichte endete mit einem Friedensvertrag: Besonders nach dem von Deutschland ausgehenden Vernichtungskrieg und dem Holocaust wäre dies international ein schwer vermittelbares Zugeständnis gewesen. Aufgrund der Teilung in zwei deutsche Staaten und der Blockkonfrontation hätte sich eine nachträgliche Ausgestaltung als schwierig erwiesen. Prophets Anliegen ist auch insofern obsolet, als dass zentrale Fragen, wie die Grenzregelungen und die volle Souveränität Deutschlands, bereits im 2+4-Vertrag abschließend geklärt wurden. Der Wunsch nach einem Friedensvertrag, damit Deutschland seine „Rückkehr in die Völkergemeinschaft abschließen.2 könne, erscheint so eher als Wunsch nach einem Schlussstrich unter die Geschichte. Zudem ist er ein ideologisches Andockangebot für die "Reichsbürger:innen"-Szene.
Schiefe Vergleiche und Schuldumkehr
In einem mittlerweile ebenfalls gelöschten Beitrag vom 14. Februar 2021, anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens, bediente Prophet erneut geschichtsrevisionistische Narrative. In seinem Posting sinnierte Prophet über die menschlichen Abgründe im Krieg und nennt beispielhaft „Guernica ... Auschwitz ... Hiroshima und Nagasaki“ sowie die „europäischen Leichenfelder“.3 In dieser Aufzählung setzt Prophet historische Ereignisse in eine Reihe, die vollkommen unterschiedliche Prämissen haben. Die deutsche Luftwaffe unterstützte im baskischen Guernica 1937 die spanischen Faschisten beim Kampf gegen die republikanischen Truppen und bombardierte die Stadt. In Auschwitz gipfelte der industrielle, Massenmord an vor allem Jüd:innen, aber auch Sinti:zze und Rom:nja, Pol:innen und sowjetischen Kriegsgefangenen. Hiroshima und Nagasaki stehen für das Ende des Krieges im Pazifik gegen das mit Nazi-Deutschland verbündete Japan. Die „europäischen Leichenfelder“ verallgemeinern Leid, ohne Täter und Opfer zu benennen. Die historische Schuld Deutschlands wird von Prophet abgewehrt und durch ein bewusst vages Narrativ über Leid und Krieg ersetzt. Der Holocaust und der Zweite Weltkrieg sind aber keine Schicksalsschläge einer sich irgendwie über die Menschen vollziehenden Geschichte: Es sind konkrete, menschengemachte Handlungen.
Ein Geschichtsrevisionist im Landtag
Jörg Prophet steht exemplarisch für die Verbreitung geschichtsrevisionistischer Mythen innerhalb der AfD. Seine wiederholten Veröffentlichungen relativieren die deutsche Verantwortung am Zweiten Weltkrieg, verkehren Täter-Opfer-Verhältnisse und bieten Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme. Dass Prophet am 30. Januar 2025 – nur einen Tag nach der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus – nicht zum Vizepräsidenten des Landtags gewählt wurde, dürfte nicht zuletzt auf die öffentliche Skandalisierung seiner Positionen zurückzuführen sein.
[Aktualisiert am 31.01.2025]
[1] Alle Zitate aus: Jörg Prophet: Luftangriffe auf Nordhausen. Nordthueringen.de, dort datiert 03.04.2020, URL: https://www.nordthueringen.de/_daten/mm_objekte/2023/09/673880_0913_60705274.pdf (03.12.2024).
[2] Alle Zitate aus: Jörg Prophet: Der 8. Mai - Meine persönlichen Gedanken. AfD Nordhausen, dort datiert 08.05.2020, URL: https://www.afd-nordhausen.de/2020/05/08/der-8-mai-meine-persoenlichen-gedanken/ (02.08.2024).
[3] Zitiert nach: Freistaat Thüringen: Verfassungsschutzbericht 2021. Verfassungsschutz.thueringen.de, dort datiert 09.05.2022, URL: https://verfassungsschutz.thueringen.de/fileadmin/Verfassungsschutz/VSB_2021.pdf (27.01.2025).