Bürgerliche Fassade?
Im Wahlkampf um den Posten als Oberbürgermeister der Kreisstadt Nordhausen ging Prophet 2023 mit Themen wie Haushaltspolitik, Radwegen oder öffentlichem Nahverkehr ins Rennen. Neben den auf den Wahlplakaten positionierten, unverdächtigen Themen ließ sich der OB-Kandidat jedoch auch immer wieder zu Beiträgen hinreißen, die die bürgerliche Fassade bröckeln ließen.
In einem mittlerweile gelöschten Beitrag auf der Seite des AfD Kreisverbandes Nordhausen vom 14. Februar 2021, anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens, bediente Prophet geschichtsrevisionistische Narrative. In seinem Posting sinnierte Prophet über die menschlichen Abgründe im Krieg und nennt beispielhaft „Guernica ... Auschwitz ... Hiroshima und Nagasaki“ sowie die „europäischen Leichenfelder“.1 In dieser Aufzählung setzt Prophet historische Ereignisse in eine Reihe, die vollkommen unterschiedliche Prämissen haben. So unterstützte die deutsche Luftwaffe im baskischen Guernica 1937 die spanischen Faschisten beim Kampf gegen die republikanischen Truppen und bombardierte die Stadt. In Auschwitz gipfelte der industrielle, millionenfache Massenmord an vor allem Jüd:innen, aber auch Sinti:zze und Rom:nja, Pol:innen und sowjetischen Kriegsgefangenen. Hiroshima und Nagasaki stehen für das Ende des Krieges im Pazifik gegen das mit Deutschland verbündete Japan. Das Land führte unter Kaiser Tenno und seiner Militäradministration einen brutalen Krieg im gesamten indopazifischen Raum: Enorme militärische Anstrengungen der Alliierten waren notwendig, um die unterdrückten Länder von der grausamen Besatzung zu befreien. Die „europäischen Leichenfelder“ verallgemeinern Leid, ohne Täter und Opfer zu benennen.
Das nationalsozialistische Deutschland führte einen Vernichtungskrieg in Europa, löschte in den eroberten Gebieten, besonders im Osten, gezielt die Bevölkerung aus und raubte die vorhandenen Ressourcen. Die historische Schuld Deutschlands wird von Prophet abgewehrt und durch ein bewusst vages Narrativ über Leid im Krieg ersetzt. Der Holocaust und der zweite Weltkrieg sind aber keine Schicksalsschläge einer sich irgendwie über die Menschen vollziehenden Geschichte: Es sind konkrete, menschengemachte Handlungen mit Tätern und Opfern.
Tatsachen-Verdrehung und Nazi-Mythen
Doch damit nicht genug: In einem Posting vom 8. Mai 2020, dem Tag der Befreiung, bediente Prophet weitere rechtsextreme Narrative. Für den „Staatsbürger“ Prophet ist der 8. Mai der „Tag der bedingungslosen Kapitulation“2 – nicht der Befreiung. Die DDR sei nach dem Krieg die „nächste linke Diktatur auf deutschem Boden“3 gewesen. Prophet zielt hier klar auf einen weiteren geschichtsrevisionistischen Mythos ab: Die „linken Nationalsozialisten“. Die NSDAP mag in Teilen linke Aktionsformen imitiert und sich revolutionär oder antikapitalistisch geriert haben – sie war im Kern eine rechtsextreme Partei, die mit anderen rechten Kräften (z.B. der DNVP) koalierte. Die NSDAP und ihre zugehörigen Organisationen bekämpften die Sozialist:innen und Kommunist:innen auf der Straße und verboten sofort nach der Machtübernahme ihre Parteien und nahmen die Mitglieder in Haft bzw. ermordeten diese. Die Behauptung, die NSDAP sei links, ist eine klare Tatsachen-Verdrehung.
Im weiteren Verlauf des Beitrags bediente Prophet weitere, in der rechtsextremen Szene beliebte Themen: So zweifelt er die Kriegsschuld Deutschlands an und „hinterfragt“ die Rolle des Völkerbunds, der Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen. Dies stellt sich als besonders perfide dar, da Joseph Goebbels 1933 selbst den Austritt des deutschen Reichs aus dem Völkerbund verkündete. Ähnlich wie im späteren Beitrag zur Bombardierung Dresdens deutet Prophet den „Krieg“ als handelndes, scheinbar undurchschaubares Subjekt. Prophet stellt sich die Frage „warum dieser Krieg von allen Seiten nicht an den Ländergrenzen halt [sic] machte“.4 Die sogenannten Achsenmächte führten per Definition Eroberungskriege: Das Deutsche Reich wollte „Lebensraum im Osten“, Frankreich und Teile Skandinaviens für sich reklamieren. Italien griff vorrangig Länder auf dem Balkan und in Afrika an und Japan verleibte sich große Teile im Indo-Pazifik ein. Die drei Achsenmächte hatten ihre jeweiligen Ideologien, um Ihre Expansionen zu legitimieren. Für das nationalsozialistische „Dritte Reich“ war es die „Volk ohne Raum“-Theorie und die damit verbundene Vernichtung der dort lebenden slawischen Völker. Für das faschistische Italien war es die Restauration des römischen Imperiums und für das restaurativ-antiwestliche Japan die vorgestellte Überlegenheit gegenüber den einheimischen Völkern der eroberten Gebiete.5 Der Krieg der Achsenmächte machte also nicht halt vor den Grenzen, weil es zentraler Dreh- und Angelpunkt des politisch-ideologischen Programms war, fremde Gebiete zu erobern. Prophets Aussage, dass der Krieg „von allen Seiten“ nicht Halt vor Grenzen gemacht hätte, stellt eine Umkehr von Ursache und Wirkung dar: Die Alliierten hatten kein Interesse, z.B. In Frankreich, auf den Philippinen oder in Norwegen einzumarschieren. Das notwendige Zurückschlagen der Expansionspolitik der Achsenmächte brachte sie überhaupt erst in diese Lage.
Alliierte Verbrechen und kein Frieden
Im letzten Abschnitt stellt Prophet die rhetorische Frage in den Raum, ob die „Sozialisten“, die im ganzen Text als imaginierte Sparrings-Partner fungieren, auch den Opfern von „neuer Macht und Willkür“6 gedenken würden. Für Prophet sind dies die Vertreibungen von Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg oder auch die Rheinwiesenlager. Hierbei verweist Prophet auf ein gerade bei Neonazis beliebtes Thema: Angeblich hätten die Alliierten gezielt deutsche Kriegsgefangenen in den westlich des Rheins gelegenen Lagern unterversorgt. In Folge dessen seien bis zu einer Million deutsche Soldaten umgekommen. Seriöse Forscher:innen widerlegten jedoch die These einer bewusst provozierten Unterversorgung und gehen von einer maximalen Anzahl von 40.000 Toten aus. Neben dem in den Vordergrund-Setzen von deutschem Leid, das immer als Folge der nationalsozialistischen Politik einzuordnen wäre, schließt Prophet mit seiner Trauer darüber, „dass wir immer noch keine Friedensverträge haben.“7
Auch dieser Topos ist in rechtsextremen Kreisen beliebt. In Teilen wird damit versucht zu argumentieren, dass dementsprechend immer noch das Deutsche Reich mit seinen damaligen Grenzen existieren würde, d.h. auch mit Teilen Tschechiens oder Polens. Fakt ist: Die Regierung unter Karl Dönitz hat am 7. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterschrieben, die am 8. Mai in Kraft trat. Nicht jeder Krieg in der Historie der Menschheit endete mit einem Friedensvertrag: Besonders nach dem mörderischen Vernichtungskrieg und dem von Deutschland durchgeführten Holocaust wäre dies auch international ein schwer vermittelbares Zugeständnis gewesen, insbesondere den Opfern der nationalsozialistischen Barbarei gegenüber. Nach Kriegsende hätte sich die nachträgliche Ausgestaltung eines Friedensvertrags als sehr schwierig herausgestellt aufgrund der deutschen Teilung in zwei Staaten. Prophets Wunsch, dass nach 1990 der Friedensvertrag endlich hätte kommen müssen, ist isofern obsolet, als dass viele relevante Fragen nach dem Krieg (z.B. die der Grenzen) mit dem 2+4 Vertrag beantwortet wurden. Prophets Wunsch nach einem Friedensvertrag, damit Deutschland seine „Rückkehr in die Völkergemeinschaft abschließen“8 könne, erscheint so eher als Wunsch nach einem Schlussstrich unter die Geschichte der deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus.
Trotz den Versuchen des AfD-Kreisverbandes Nordhausen, sich öffentlich vom Nationalsozialismus zu distanzieren, muss festgehalten werden: Der ehemalige OB-Kandidat Jörg Prophet bespielt ganz bewusst die Klaviatur rechtsextremen Geschichtsrevisionismus. Rechtsextreme Positionen sind also nicht nur bei Höcke und anderen Vertreter:innen auf der Landesebene Realität, sondern auch auf der Lokalebene fest verankert.
1 Hier zitiert nach: Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen: Verfassungsschutzbericht 2021 Freistaat Thüringen. Ministerium für Inneres und Kommunales (Hrsg.), dort datiert: 16.12.2022, S. 27 f., https://verfassungsschutz.thueringen.de/fileadmin/Verfassungsschutz/VSB_2021.pdf (aufgerufen am 24.07.2024)
2Jörg Prophet: Der 8. Mai – meine persönlichen Gedanken. AfD Kreisverband Nordhausen, dort datiert: 08.05.2020, https://www.afd-nordhausen.de/2020/05/08/der-8-mai-meine-persoenlichen-gedanken/ (aufgerufen am 25.07.2024)
3Ebd.
4Ebd.
5Der Historiker Bernd Martin plädierte für die Bezeichnung der drei Achsenmächte als nationalsozialistisch (Deutschland), faschistisch (Italien) und restaurativ-antiwestlich (Japan), um die Problemen bei der Verwendung eines übergreifenden Faschismusbegriffs zu lösen. Ein übergreifender Faschismusbegriff wäre laut Martin vor allem dem Ausmaß des Terrors des NS und dem industriellen Massenmord in Relation zu den anderen Regimen nicht gerecht geworden. Zudem sei der europäische Faschismusbegriff für die japanische Gesellschaft kaum brauchbar gewesen. Vgl. Bernd Martin: Zur Tauglichkeit eines übergreifenden Faschismusbegriffs. Ein Vergleich zwischen Japan, Italien und Deutschland. In: Vierteljahreshälfte für Zeitgeschichte (1). 1981, hier S. 73.
6Prophet: Der 8. Mai.
7Ebd.
8Ebd.