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Mythen als Identitätsstifter: Von Gemeinschaft, Bedrohung und Abwehr

„Mythen bilden unsere Identität“ schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich und postete ein Foto einer Berglandschaft. Sein Beitrag ist mehr als romantische Naturbegeisterung: Im Zusammenspiel von erhabener Landschaft, Legenden und programmatischen Formeln wird deutlich, wie rechtsextreme Akteur:innen versuchen, über mythische Narrative Identität zu konstruieren, Gemeinschaft zu definieren und Bedrohungsszenarien zu etablieren.

Post von Matthias Helferich auf X am 29. Dezember 2025 (Screenshot vom 30. Dezember 2025)
Post von Matthias Helferich auf X am 29. Dezember 2025 ©Screenshot vom 30. Dezember 2025

Die Barbarossa-Fantasie

Die Legende um den schlafenden Barbarossa eignet sich hervorragend für rechtsextreme Projektionen, denn der Sage nach wird der Kaiser in der Stunde höchster Not erwachen, um das Reich zu erneuern. Der Mythos vom wiederkehrenden Kaiser bezog sich ursprünglich auf den Enkel des „Rotbarts“, Friedrich II. Erst im Zuge der Reformation besann man sich auf Friedrich I. als verheißungsvollen, wiederkehrenden Kaiser, um Barbarossa als ‚echten‘ deutschen Kaiser gegen die katholische Kirche in Stellung zu bringen.1 Diese Verschiebung zeigt bereits, wie flexibel und politisch anschlussfähig Mythen sind: Sie lassen sich je nach Bedarf umdeuten, neu besetzen und für aktuelle Machtkämpfe instrumentalisieren.

Die narrative Struktur jedenfalls bietet alles, was völkisches Denken braucht: einen heroischen Erlöser, eine vermeintliche Krisensituation als Legitimation für radikalen Wandel und die Verheißung einer Rückkehr zu angeblicher ehemaliger nationaler Größe. Auf die historischen Hintergründe sowie die rechte Vereinnahmung dieses Mythos sind wir bereits im Beitrag über das Kyffhäuser-Denkmal in Thüringen eingegangen – denn auch dort soll Barbarossa ruhen und auf seinen Moment warten. Helferich verlegt ihn nach Österreich, aber das ist für die Aussage irrelevant: Es geht nicht um (historische) Präzision, sondern um emotionale Aufladung eines Raums. Der „sagenumwobene Untersberg“ wird zur Projektionsfläche, auf die sich beliebige Erlösungsphantasien übertragen lassen. Der Mythos ist ort- und zeitlos zugleich und das macht ihn für politische Instrumentalisierung attraktiv. Er schafft ein Identitätsangebot, das sich jeder Falsifizierung entzieht, weil es nicht auf Fakten, sondern auf Gefühlen beruht.

Gemeinschaft durch Ausgrenzung: Das völkische „Wir“

„Mythen schaffen Gemeinschaft“ schreibt Helferich – aber was für eine? Die Antwort liegt im völkischen Subtext. Die beschworene Gemeinschaft ist keine offene, demokratische, sondern eine ethnisch-kulturell definierte, die über Abstammung und Zugehörigkeit funktioniert. Mythen dienen hier als Grenzziehungsinstrument: Wer die ‚richtigen‘ Mythen teilt, wer sich emotional von ihnen angesprochen fühlt, gehört dazu. Wer nicht, bleibt außen vor. Die Metapher der „Zeitportale, die jene, die sie durchschreiten, in die Zukunft reisen“ lassen, macht diese Exklusivität explizit: Nicht alle dürfen diese Portale passieren – nur „jene“, die als zugehörig gelten. Die vermeintliche Zukunftsorientierung ist dabei eine Täuschung: Die Portale führen nicht in eine offene, gestaltbare Zukunft, sondern in eine mythisch überhöhte Vergangenheit, die als Zukunftsentwurf präsentiert wird. Es ist eine reaktionäre Utopie, die Moderne, Pluralität und demokratische Aushandlungsprozesse als Verfallserscheinungen ablehnt.

Das „Wir“ in Helferichs Formulierung ist dabei kein inklusives, sondern ein kämpferisches. Es konstituiert sich über die implizite Annahme einer Bedrohung von außen – durch jene, die die Mythen angeblich nicht achten, die „Zeitportale“ verschließen wollen, die der „Gemeinschaft“ fremd gegenüberstehen. Der Mythos wird so zum Instrument politischer Mobilisierung: Er schafft Zugehörigkeit über Feindbilder.

Bewahrungsnarrativ und erhabene Naturästhetik

„Wir müssen sie bewahren“ – dieser finale Appell komplettiert die mythenpolitische Strategie. Das Bewahrungsnarrativ suggeriert, dass die beschworenen Mythen bedroht seien, dass eine aktive Verteidigung notwendig sei. Es ist die klassische Struktur rechtsextremer Mobilisierung: Die Konstruktion einer existenziellen Bedrohung, die kollektives Handeln erfordert. Bewahren bedeutet hier immer auch: abwehren, schützen, kämpfen.

Die erhabene Naturästhetik des Bildes – schneebedeckte Gipfel, Nebel in den Tälern, die majestätische Weite – ist kein Zufall. In der rechtsextremen Ikonografie wird diese Ästhetik systematisch eingesetzt: Die Höhe symbolisiert Überlegenheit, die Unberührtheit der Natur kann als eine imaginierte kulturelle „Reinheit“ interpretiert werden, die Weite des Blicks für einen quasi-göttlichen Überblick über das Geschehen. Und der Nebel verweist auf Geheimnisse und ewige Wahrheiten, die für das menschliche Auge unsichtbar sind – die sich aber jenen mit der ‚richtigen‘ Innerlichkeit offenbaren (siehe hierzu ausführlicher unseren Beitrag zum Mythos der Ewigkeit).

Das Bild emotionalisiert die politische Botschaft. Es erzeugt Ehrfurcht, ein Gefühl von Größe und Bedeutsamkeit, das auf die mythische Erzählung übertragen wird. Die Berge werden zum Sakralraum einer völkischen Pseudo-Religion, in der Mythen nicht als kulturelle Konstruktionen verstanden, sondern als ewige Wahrheiten verehrt werden. Die Landschaft wird zum politischen Argument: So erhaben wie die Natur soll auch die beschworene Gemeinschaft sein – unberührt, rein, überlegen.

Fazit: Die Strategie der Mythenpolitik

Helferichs Post offenbart die Funktionsweise rechtsextremer Mythenpolitik in exemplarischer Verdichtung. Mythen werden als Identitätsangebote präsentiert, die vermeintlich natürliche, vorpolitische Zugehörigkeiten stiften. Sie definieren Gemeinschaft exklusiv und schaffen Feindbilder. Sie mobilisieren über Bedrohungsnarrative und emotionalisieren über ästhetische Codes. Die „Zeitportale“ versprechen einen Ausweg aus der als krisenhaft empfundenen Gegenwart – nicht nach vorn, sondern zurück in eine mythisch verklärte Vergangenheit.

 

[Autorin: Berit Kö]

 

[1] Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin, 2009, S. 38.


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