Die Kyffhäuser-Treffen der AfD
Die AfD sucht beständig nach historischen Mythen und Symbolen, um ihre politischen Ziele zu legitimieren. Fündig wurde sie dabei unter anderem im Kyffhäuserkreis. Im März 2015 gründeten Björn Höcke, Andreas Kalbitz und andere den parteiinternen Zusammenschluss „Der Flügel“, der im Sommer desselben Jahres erstmalig zum Kyffhäuser-Treffen lud. Inhaltliche Grundlage war die sogenannte „Erfurter Resolution“, die für einen bewusst reaktionären Kurs der Partei und für Bündnisse mit Bewegungen wie PEGIDA plädierte. Ein erster Entwurf der Resolution soll laut der Journalistin Melanie Amann von Götz Kubitschek, einem prominenten Vordenker der Neuen Rechten, stammen.1 Das Kyffhäuser-Treffen fand 2015-2017 am Denkmal sowie in einer nahegelegenen Gastwirtschaft statt, musste aber 2018 und 2019 auf Druck der Zivilgesellschaft nach Burgscheidungen bzw. Leinefelde verlegt werden. Die Zusammenkunft entwickelte sich zu einem Schaulaufen führender AfD-Mitglieder und ihrer Unterstützer:innen, das großes mediales Interesse auf sich zog. Nach dem gescheiterten Ausschlussverfahren gegen Höcke (2017/2018) als Symbolfigur des „Flügels“, wurde 2019 auf dem Kyffhäuser-Treffen indirekt eine neuerliche Auseinandersetzung um die weitere Ausrichtung der Partei sichtbar: Zum alljährlichen Treffen blieben zahlreiche Parteigrößen bewusst fern - bis auf Alexander Gauland. Dieser hielt einige Jahre seine schützende Hand über Höcke und versuchte sich damals vor in Ort in Worten der Mäßigung. Seit 2020 ist der „Flügel“ zwar formell aufgelöst und die Treffen gehören der Vergangenheit an: In Wirklichkeit aber ist der "Kyffhäusergeist" inhärenter Teil der AfD geworden.
Der Kyffhäuser-Mythos und seine Vereinnahmung
Die Legende besagt, dass Kaiser Friedrich I. „Barbarossa“ (Rotbart) in Zeiten größter Not aus seinem Schlaf tief im Berg erwachen und das Reich retten würde.2 Friedrich I. (1122–1190) starb während des Dritten Kreuzzugs in Kleinasien, doch sein Mythos hielt sich und erlebte insbesondere im 19. Jahrhundert ein Hoch.3 Nach der Reichsgründung 1871 wurde die Sehnsucht nach mythisch aufgeladenen Orten nationaler Identität virulent.4 Der Kyffhäuser wurde zum Symbolort der deutschen Identitätspflege: Bereits 1881 vereinten sich z.T. völkische und antisemitische Studentenverbindungen am Berg im „Kyffhäuser-Verband“. 1888 setzte sich der Deutsche Kriegerbund für den Bau des Denkmals ein, das Barbarossa als gefallenen Helden und Kaiser Wilhelm I. („Barbablanca“ also Weißbart) als dessen vermeintliche Reinkarnation darstellt.
Nach der Niederlage im 1. Weltkrieg und dem Ende der Hohenzollern-Dynastie entwickelte sich das Kyffhäuser-Denkmal zu einem Symbol für das Fortleben der alten national-konservativen, antiliberalen Vorstellungen in der Weimarer Republik. Revanchisten und Kriegerverbände propagierten den sogenannte „Kyffhäusergeist“: Dieser speiste sich aus der Agitation gegen den „Schandvertrag“ von Versailles und der Erzählung der
Die Nationalsozialist:innen erweiterten das Barbarossa-Denkmal u.a. um eine Hitler-Büste und einige Schriftzüge („Treue ist das Mark der Ehre“).6 Zudem versuchte sich Reichskriegerführer Wilhelm Reinhard an der Umwidmung des Kyffhäuser-Denkmals zu einer vermeintlichen Kultstätte germanischer Vorfahren. Insgesamt jedoch war das NS-Regime bemüht eigene ästhetische wie mystische Vorstellungen durchzusetzen und distanzierte sich vom monarchistischen Erbe.7 Nachdem das Denkmal die Entnazifizierung überstand, wurde es in der DDR zu einem ungeliebten Objekt, das sich allen „sozialistischen Historisierungsversuchen“ entzog.8 Seit der Wiedervereinigung war das Monument vor allem ein touristisches Ausflugsziel, das jährlich bis zu 200.000 Besucher:innen locken konnte.9 Nach der Gründung des „Flügels“ 2015 erlebte das Kyffhäuser-Denkmal ein neues Kapitel in seiner politischen Vereinnahmung durch rechtsextreme Kräfte.
Neue Rechte und die Arbeit am Mythos
Seit der Gründung des „Flügels“ 2015 nutzte dieser dezidiert völkische Teil der AfD die Kulisse des Barbarossa-Denkmals, um sich als Bewahrer des Kyffhäusergeistes zu inszenieren. Dies geschah maßgeblich unter dem Einfluss des Strategen der Neuen Rechten Götz Kubitschek. Dieser begeistert sich offenkundig auch für den Mythos um Friedrich I.: Zu Hause in Schnellroda trinkt er sein Bier gern aus einem Humpen mit Barbarossa-Bildnis.10 Der Bezug auf den „Kyffhäusergeist“ als Chiffre für nationale Wiederauferstehung und antidemokratische Gesinnung in einem demokratischen Staat – der Weimarer Republik - entspricht ganz dem Rollenverständnis, das Kubitschek, Höcke und Co. von sich selbst in der Gegenwart haben. Auf dem Kyffhäuser-Treffen 2018 formulierte das Höcke in seiner Rede sogar folgendermaßen aus: „Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss, heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, liebe Freunde, meine hier, wir entscheiden uns in dieser Frage: Wolf.“11 Der Ausspruch enthielt einen doppelten Bezug: Einerseits bemühte Höcke das Hammer-oder-Amboss-Bild vom späteren Reichskanzler Bernhard von Bülow, der 1890 damit versuchte die Flottenpolitik sowie die expansionistischen Bestrebungen des Kaiserreichs zu rechtfertigen. Andererseits bezog er sich auf Goebbels Leitartikel im NSDAP-Organ „Der Angriff“, in dem er 1928 den Einzug in den Reichstag folgendermaßen kommentierte: „Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen [. . ]. Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“12 Der ehemalige Geschichtslehrer agitierte mit einer Goebbels-Anspielung und dem Rückenwind des "Kyffhäusergeistes" gegen parlamentarische Demokratie und „inneren Feinde“, die Höcke in Form von „
Die AfD nach den Kyffhäuser-Treffen
Der Barbarossa-Mythos und das Kyffhäuser-Denkmal sind seit jeher Gegenstand unterschiedlicher Deutungen. Seit der Kaiserzeit jedoch sind die dominanten Interpretationen antiliberal, nationalistisch und militaristisch geprägt. Für die Neue Rechte stellt das Kyffhäuser-Denkmal ein Wallfahrtsort dar, zu dem man fahren müsse, wenn man zum "Kern der deutschen Frage" vordringen möchte.14 Die AfD konnte am Kyffhäuser-Denkmal an Traditionen völkischer und zum Teil antisemitischer Studentenverbindungen aus der Kaiserzeit und an die revanchistischen Verbände der Weimarer Republik anknüpfen. Der bekannte Barbarossa-Mythos vom wiederkehrenden Kaiser stellte zudem einen scheinbar unverfänglichen Bezugspunkt für die Mitte der Gesellschaft dar. Seit der formellen Auflösung des „Flügels“ 2020 finden die Kyffhäuser-Treffen nicht mehr statt: Die völkischen und geschichtsrevisionistischen Positionen innerhalb der Partei sind so weit gefestigt, dass die AfD nicht mehr auf das Barbarossa-Denkmal als Austragungsort angewiesen ist.
Der Landkreis Kyffhäuser begann sich bereits 2020 gegen die Vereinnahmung des Monuments durch die AfD zu wehren und setzte sich verstärkt dafür ein, das Areal zu einem europäischen Friedensdenkmal umzugestalten – eine Deutung, die den Ort von kriegsverherrlichenden und nationalistischen Bedeutungen entlasten soll.15
[1] Melanie Amann: Angst für Deutschland, die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert. München 2017, S. 148.
[2] Der Mythos vom wiederkehrenden Kaiser bezog sich ursprünglich auf den weniger abenteuerlustigen Enkel des „Rotbarts“, Friedrich II. Erst im Zuge der Reformation besann man sich auf Friedrich I. als verheißungsvollen, wiederkehrenden Kaiser. Hintergrund für diesen mythologischen Wechsel war das in Stellung bringen von „Barbarossa“ als „echten“ deutschen Kaiser gegen die katholische Kirche. Vgl. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen, 3. Aufl. Berlin 2009, S. 38.
[3] Gründe hierfür sind u.a. die Romantik, der endgültige Zerfall des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nationen (1806) und die napoleonischen Kriege. Die sich herausbildenden Nationalbewegung griff auf zahlreiche Mythen und Sagen zurück und bereitete so den ideologischen Rahmen für die spätere Reichsgründung.
[4] Gunther Mai: Denkmäler und politische Kultur im 19. Jahrhundert. In: Gunther Mai (Hrsg.): Das Kyffhäuser-Denkmal 1896-1996, Köln; Weimar; Wien 1997, hier S. 12.
[5] Herbert Gottwald: Ein Kaiserdenkmal im Sozialismus: Das Kyffhäuser-Denkmal in SBZ und DDR. Das Kyffhäuser-Denkmal 1896-1996, Köln; Weimar; Wien 1997, hier S. 237–238.
[6] Der Reichskriegerbund, in den der Kyffhäuser-Verband überführt worden war, stellte zudem 1939 eine Statue für Paul Von Hindenburg auf, die erst 2004 wieder ausgegraben wurde.
[7] Gottwald: Ein Kaiserdenkmal im Sozialismus: Das Kyffhäuser-Denkmal in SBZ und DDR, S. 239–240.
[8] Ebd., S. 261.
[9] Barbarossa als Touristenmagnet und Mythos der extremen Rechten. Deutschlandfunk Kultur, dort datiert 03.09.2019.
[10] Christian Fuchs/Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten. Reinbek bei Hamburg 2019, S. 47.
[11] Hier zitiert nach: Marc Röhlig: Auf National-Treffen der AfD: Björn Höcke spricht von Wölfen und Schafen – wie Goebbels. In: Spiegel (2018).
[12] Hier zitiert nach: Peter D. Stachura: Der kritische Wendepunkt? Die NSDAP und die Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 26 (1978), H. 1, S. 81.
[13] Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen, S. 63.
[14] Erik Lehnert: Kyffhäuser. In: Erik Lehnert/Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Deutsche Orte, 2. Aufl., Schnellroda 2018 (Staatspolitisches Handbuch 4), hier S. 113.
[15] Julia Gilfert: Der Kyffhäuser – ein Denkmal zwischen rechter Vereinnahmung und zivilgesellschaftlichem Engagement. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): Schwerpunkt Demokratie unter Druck, Jena 2022 (Wissen schafft Demokratie. 12).