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Oberschloss Kranichfeld

Das Oberschloss Kranichfeld ist ein Renaissanceschloss im oberen Ilmtal im Weimarer Land, das ehemals dem Fürstenhaus Reuß gehörte. Hinter der pittoresken Fassade verbirgt sich jedoch eine besonderre Geschichte rechtsextremen Geschichtsrevisionismus: Das Schloss wurde 1939 von der SS erworben. Neben der zentralen Verwaltung aller SS-Kulturdenkmäler plante Himmler dort eine Sternwarte zur Bestätigung der pseudowissenschaftlichen "Welteislehre". Häftlinge aus dem nahegelegenen KZ Buchenwald wurden für die umfangreichen Arbeiten herangezogen und mussten unter schwersten Bedingungen schuften.

Ansicht auf das Schloss durch die Vorburg. Der Umbau der alten Wehranlage zum Renaissance-Schloss begann 1530 durch das Fürstenhaus Reuß.
Ansicht auf das Schloss durch die Vorburg. Der Umbau der alten Wehranlage zum Renaissance-Schloss begann 1530 durch das Fürstenhaus Reuß.

Verwaltungssitz für Kultstätten der SS und pseudowissenschaftliche Sternwarte

Erste Erwähnungen auf eine Festungsanlage datieren bis ins 12. Jahrhundert zurück. Im 16. Jahrhundert begann der Umbau zum Renaissance-Schloss, dessen Struktur und Erscheinungsbild im Wesentlichen bis heute besteht. Das Schloss brannte 1934, wahrscheinlich im Zuge von Brandstiftung, aus. Im Jahr 1939 erwarb es die SS, genauer die „Gesellschaft zur Förderung und Pflege deutscher Kulturdenkmäler“, angeblich um dort eine SS-Führerschule einzurichten. Erst nach dem Kauf wurde das private Interesse Heinrich Himmlers offengelegt:

„Der Reichsführer SS will das Schloss auf seinen ursprünglichen Grundriss zurückbringen lassen. Der runde Turm und ein Haus dazu sollen Wohnmöglichkeit und Aufenthaltsraum bei Reisen durch Thüringen bieten. Der Hauptinhalt des Schlosses soll jedoch eine Sternwarte werden.“1

1942 zog das „Amt W VIII Sonderaufgaben“ des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes in die Vorburg des Oberschlosses ein, das im Deutschen Reich die Verwaltung aller Kulturdenkmäler der SS übernommen hatte. Beide Vorhaben auf dem Oberschloss Kranichfeld, die Verwaltung der SS-Kulturdenkmäler und die angestrebte Sternwarte, spiegeln zwei, zum Teil bizarre Versuche der SS wider, historische Stätten für ihre Idee einer angeblichen germanischen Hochkultur zu vereinnahmen, bzw. mit ihnen – gegen jede historische oder wissenschaftliche Evidenz – die Menschheitsgeschichte umschreiben zu wollen. 

„Förderung deutscher Kulturdenkmäler“

Seit 1936 unterhielt die SS die „Gesellschaft zur Förderung und Pflege deutscher Kulturdenkmäler“. Finanziert durch Darlehen, darunter 13 Millionen Reichsmark von der Dresdner Bank, erwarb die Organisation Stätten im gesamten Deutschen Reich, mit denen Heinrich Himmler die Überlegenheit einer „arischen Rasse“ belegen wollte. Zu den später vom Amt in Kranichfeld verwalteten Stätten gehörten unter anderem2:

  • Haithabu (Schleswig-Holstein): Die Ausgrabungen sollten die Kulturhöhe eines fiktiven großgermanischen Reiches belegen.
  • Externsteine (Kreis Lippe): Die markante Felsgruppe wurde als Standort eines germanischen Heiligtums, der „Irminsul“, fantasiert.
  • Sachsenhain (Verden an der Aller): An der vermeintlichen Stelle des „Blutgerichts von Verden“, an der Karl der Große 782 die Anführer der Sachsen hingerichtet haben soll, ließ Himmler eine Weihestätte als Aufmarschplatz der SS errichten.
  • Wewelsburg (Kreis Paderborn): Die Planungen sahen den Ausbau des Renaissanceschlosses als zentrale Schulungs- und Versammlungsstätte der SS vor. Die Bauarbeiten mussten durch Häftlinge des KZ Niederhagen, seit 1943 ein Außenlager des KZ Buchenwald, durchgeführt werden.
  • Stiftskirche St. Servatii (Quedlinburg): Die Grablege Heinrichs I. (876–936) diente zur Inszenierung des ostfränkischen Königs als Vorkämpfer germanischer und deutsch-nationaler Weltanschauung und zur Legitimation der eigenen Expansionspläne nach Osten.

 

Ansicht auf die rekonstruierten Häuser der alten Wikingersiedlung Haithabu (dänisch Hedeby). Die Nationalsozialist:innen führten hier umfangreiche Ausgrabungen durch und hofften so Hinweise auf eine umfangreiche germanische Geschichte zu finden.
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Ansicht auf die rekonstruierten Häuser der alten Wikingersiedlung Haithabu (dänisch Hedeby) in Schleswig-Holstein. Die Nationalsozialist:innen führten hier umfangreiche Ausgrabungen durch und hofften so Hinweise auf eine frühgermanische Hochkultur zu finden.
Ansicht auf die Externsteine von Nordosten. Diese sagenumwobene Felsformation faszinierte auch die Nationalsozialist:innen: Heinrich Himmler gründete eigens eine Stiftung zur Erforschung dieser vorgeblichen germanischen Kultstätte.
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Ansicht auf die Externsteine im Teutoburger Wald von Nordosten. Diese sagenumwobene Felsformation faszinierte auch die Nationalsozialist:innen: Heinrich Himmler gründete eigens eine Stiftung zur Erforschung dieser vermeintlichen germanischen Kultstätte.
Panoramablick über die Anlage Sachsenhain, auf der die NS-Ideologen eine heidnische Kultstätte und einen SS-Weihplatz einrichteten.
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Panoramablick über die Anlage Sachsenhain, auf der die NS-Ideologen eine heidnische Kultstätte und einen SS-Weihplatz einrichteten.
Ansicht auf die Wewelsburg, die bereits ab 1934 von der NSDAP angemietet und ab 1939 als Versammlungsort für SS-Gruppenführer genutzt werden sollte. Die Wewelsburg ist als kultischer Ort der SS bis heute ein beliebtes Ausflugsziel für Neonazis.
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Ansicht auf die Wewelsburg, die bereits ab 1934 von der NSDAP angemietet und ab 1939 als Versammlungsort für SS-Gruppenführer genutzt werden sollte.
Heinrich Himmler 1938 in der Stiftskirche St. Servatius zur sogenannten "Heinrichsfeier".
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Heinrich Himmler 1938 in der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg zur sogenannten "Heinrichsfeier".

Sternwarte für die „Welteislehre“

Heinrich Himmler war ein überzeugter Anhänger der abstrusen „Welteislehre“, einer Pseudowissenschaft, basierend auf den „Eingebungen“ des österreichischen Ingenieurs Hanns Hörbiger. Dieser behauptete, dass alle Planeten des Universums, außer der Sonne und der Erde, aus Eis bestünden. In einer wirren Theorie wurde etwa der nordische Mythos der „Götterdämmerung“ durch den Sturz eines Eismondes auf die Erde erklärt. Für Himmler war klar: Der arische Urmensch stamme gar nicht vom Affen ab, sondern sei als göttliche Kraft mit dem Eis auf die Erde gekommen.4 Da keine seriösen Astronomen bereit waren, diese Absurdität auch nur zu diskutieren, plante Himmler eigene Sternwarten.5 Dort sollte „deutsche Wissenschaft“ betrieben werden, um „Beweise“ für die göttliche Herkunft der Germanen finden zu können.

KZ-Außen- und Arbeitserziehungslager

Für den Aufbau von Residenz und Sternwarte waren umfangreiche Aufräum- und Sicherungsarbeiten notwendig. Mit dem nahen KZ Buchenwald verfügte die SS über billige Arbeitskräfte. 1941 wurde in der Vorburg des Schlosses eines der ersten Außenlager Buchenwalds für bis zu 90 Häftlinge eingerichtet. Sie berichteten später vom extremen Arbeitstempo auf der Baustelle. Mehrfach mussten die Arbeiten am Oberschloss jedoch infolge kriegsbedingter Bauverbote unterbrochen werden und im April 1942 wurden sie wegen fehlender Baugenehmigungen eingestellt.

Monate später wurden erneut KZ-Häftlinge in Kranichfeld eingesetzt, um Fachwerkbauten für das Amt W VIII zu errichten, das nach Bombenschäden aus Berlin verlegt worden war. 1944 richtete die Weimarer Geheime Staatspolizei ein Arbeitserziehungslager für inhaftierte jugendliche Ausländer im Schloss ein. Neben den Arbeitserziehungshäftlingen, deren Behandlung sich wenig von dem der KZ-Häftlinge unterschied, wurden auch tschechische Facharbeiter von einem anderen „Kulturdenkmal“ der SS, der Burg Busau in Mähren, in Kranichfeld beschäftigt.

Das Oberschloss Kranichfeld heute 

Unter Heinrich Himmler entwickelte sich das Oberschloss Kranichfeld zu einem Ort, an dem die SS ihre rassistischen und pseudowissenschaftlichen Theorien zu manifestieren versuchte. Himmler nutzte die angebliche „Förderung deutscher Kulturdenkmäler“, um eine germanische Überlegenheitsideologie zu konstruieren und mit pseudohistorischen und -wissenschaftlichen Projekten die Geschichte im Sinne der NS-Ideologie zu verfälschen. Das Schloss befindet sich heute unter der Verwaltung der "Thüringer Schlösser und Gärten". Die Ausstellung des Museums befindet sich aktuell im Umbau und wird voraussichtlich im Frühjahr 2025 wiedereröffnet. Einer der Schwerpunkte der neuen Ausstellung soll auch die Funktion des Schlosses als KZ-Außenlager sein. 

[1] RF SS, Hauptabteilung für Sonderaufgaben, an Reichsstatthalter in Thüringen, 8.7.1940. Landesarchiv Weimar, Th. Ministerium des Innern, A 949, Bl. 386.

[2] Enno Georg: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS, Stuttgart 1963, S. 122.

[3] Heinrich der Löwe diente schon Hitler als Pate für den Paradigmenwechsel in geplanten Expansionspolitik: Vom "ewigen Germanenzug nach dem Süden" (für den Friedrich I. "Barbarossa" stand) sollte mit Heinrich die Orientierung gen Osten legitimiert werden. Vgl. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen, 3. Aufl. Berlin 2009, S. 66. 

[4] Michael H. Kater schreibt in seiner Studie zum Ahnenerbe der SS: „Wiederholt ließ er [Himmler] sich vernehmen, die Arier stammten nicht vom Affen ab wie der Rest der Menschheit, sondern seien göttergleich vom ‚Himmel‘ auf die Erde herniedergestiegen. Vor ihrer Erdengeburt aber seien sie als lebendige Keime im „ewigen" Eise des Weltraumes konserviert gewesen. Diese vom Himmel abstammenden germanischen Vorfahren waren, nach Himmler, auch im Besitz übernatürlicher Kräfte und Kenntnisse gewesen.“ Kater, Michael H., Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945, 4. Aufl. München 2006, S. 50.

[5] Brigitte Nagel: Die Welteislehre. Ihre Geschichte und ihre Rolle im ‚Dritten Reich‘, Berlin/Diepholz 2000, S. 74.


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