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Die AfD im Wahlkampf: Geschichts-revisionismus am rechten Rand

Die AfD bereitet sich auf den Bundestagswahlkampf vor und scheint auf eine geschichtsrevisionistische, völkische und pro-russische Agenda zu setzen. In den letzten Tagen verbreiteten führende Parteivertreter:innen zunehmend verschwörungstheoretische und geschichtsrevisionistische Mythen, um Signale an die rechte Mischszene zu senden und das demokratische System zu diffamieren.

Björn Höcke verbreitete am 28.11.2024 auf X (ehemals Twitter) die Behauptung, die USA würden die Ukraine aufrufen, einen "Volkssturm" zu gründen: Ein offen geschichtsrevisionistisches Narrativ, stellt Höcke hierbei doch einen Zusammenhang zwischen dem ukrainischen Verteidigungskrieg und dem Nationalsozialismus her.
Björn Höcke verbreitete am 28.11.2024 auf X (ehemals Twitter) die Behauptung, die USA würden die Ukraine aufrufen, einen "Volkssturm" zu gründen: Ein offen geschichtsrevisionistisches Narrativ - stellt Höcke hierbei doch einen Zusammenhang zwischen dem ukrainischen Verteidigungskrieg und dem Nationalsozialismus her. ©Screenshot, X, aufgenommen am 02.12.2024

Hashtag Volkssturm

Am 28. November 2024 verbreitete sich auf Social media der Hashtag „Volkssturm“. Kontext dieser Kampagne war der Vorschlag von Vertretern der scheidenden US-Regierung, das Wehrpflichtalter in der Ukraine von 25 auf 18 Jahre abzusenken. Dieser Vorschlag wurde unter anderem von Björn Höcke von der AfD, aber auch von Sevim Dağdelen vom BSW, provokativ als „Volkssturm“ bezeichnet: Eine geschichtsrevisionistische Darstellung, die auch die Realität des aktuellen Konflikts verzerrt.

Der Begriff „Volkssturm“ stammt aus der NS-Zeit und geht auf die Initiative von Martin Bormann, Spitzenfunktionär der NSDAP, zurück. Dieser legte Adolf Hitler den Gesetzesentwurf am 25.09.1944 vor, einen Tag später unterschrieb dieser den „Erlass des Führers über die Bildung des Deutschen Volkssturms“. Der „Volkssturm“ wurde geschaffen, um jeden wehrfähigen Mann zwischen 16 und 60 Jahren in den Verteidigungskampf zu zwingen. Die Maßnahme war ein Zeichen der Verzweiflung des NS-Regimes angesichts der drohenden Niederlage. Sie führte zu hohen Verlusten unter schlecht ausgerüsteten und kaum ausgebildeten Kämpfern, ohne den Kriegsverlauf zu beeinflussen. Die Instrumentalisierung dieses Begriffs durch die AfD ist eine geschichtsrevisionistische Taktik, die die Ukraine delegitimieren soll, indem sie ihre Verteidigung mit dem Angriffs- und Vernichtungskrieg des NS-Regimes gleichsetzt. Die zusätzliche Mobilisierung junger Wehrpflichtiger ist in Verteidigungskriegen üblich. Der Vergleich mit dem „Volkssturm“ relativiert die Gräueltaten des NS-Regimes und dient gleichzeitig der Delegitimierung der Ukraine sowie der Verharmlosung der russischen Aggression.

Alice Weidel war beim österreichischen Privatsender AUF1 zu Gast: Vor Ort verbreitete sie geschichtsrevisionistische Narrative und Verschwörungstheorien.
Alice Weidel war beim österreichischen Privatsender AUF1 zu Gast: Vor Ort verbreitete sie geschichtsrevisionistische Narrative und Verschwörungstheorien. ©Screenshot, AUF1, aufgenommen am 02.12.2024

Alice Weidel bei „Auf1“: Zwischen Verschwörung und Geschichtsrevisionismus

Einen Tag später, am 29.11.2024, erschien auf dem Sender „Auf1“ ein circa 45-minütiges Interview mit Alice Weidel, das als programmatisch für den geplanten Bundestagswahlkampf der AfD gesehen werden kann. Auf1 ist ein privater, österreichischer Sender, der vor allem Verschwörungstheoretiker:innen und Rechtsextremen eine Plattform bietet. Er wird von Stefan Magnet betrieben, der früher in einer neonazistischen Gruppe (Bund freier Jugend) aktiv war und regelmäßig in rechtsextremen Medien wie „Info Direkt“ publizierte.1 Stefan Magnet selbst war es auch, der das Interview mit Alice Weidel durchführte. Angesprochen auf die Schwerpunkte des Wahlkampfes behauptet Weidel zwar, der Fokus würde auf Innen- und Wirtschaftspolitik liegen, gleichermaßen drehten sich viele Passagen des Gesprächs um Verschwörungstheorien und ihre außenpolitische Agenda. So behauptete Weidel u.a. die Existenz eines tiefen Staats, einer Analogie zur amerikanischen Verschwörungstheorie des „Deep-State“, der das Durchsetzen eines vermeintlichen Volkswillens verhindern würde. In Bezug auf die außenpolitischen Positionen sah Weidel überall Kriegstreiber am Werk, ohne ein einziges Mal Putin zu benennen. Die AfD-Vorsitzende reproduzierte auch das insbesondere in der verschwörungstheoretischen Szene beliebte Narrativ, die Bundesrepublik habe keine Verfassung, sondern lediglich ein Grundgesetz. Diese Behauptung basiert auf der Annahme, dass das Grundgesetz (GG) keine „echte“ Verfassung sei. Ziel dieser Unterstellung ist die Delegitimierung der BRD als nicht souveräner Staat, der angeblich immer noch unter der Kontrolle der Alliierten stehen würde. Trotz der alltäglichen politischen und gesellschaftlichen Praxis und der internationalen Anerkennung der BRD hält sich dieses Narrativ in verschiedenen Milieus bis heute und wird von der angehenden Kanzler-Kandidatin der AfD offen reproduziert. Ein Signal an die rechte Mischszene der Montags-Spaziergänger:innen, bei denen sich Weidel im Interview auch ganz offen bedankt.2

Am Tag der Ausstrahlung des Interviews mit Alice Weidel bei AUF1 stellte Höcke auf X den Verfassungsschutz als Wiederkehrer der DDR-Staatssicherheit dar.
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Am Tag der Ausstrahlung des Interviews mit Alice Weidel bei AUF1 stellte Höcke auf X den Verfassungsschutz als Wiederkehrer der DDR-Staatssicherheit dar. ©Screenshot, X, aufgerufen am 02.12.2024
Höcke bezeichnete Thomas Haldenwang am 29.11.2024 als "willigen Vollstrecker" und nahm damit offen Bezug auf Daniel J. Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker". Goldhagen thematisierte als Täter:innen im Holocaust nicht nur NSDAP-Parteieliten, sondern vor allem "ganz normales Deutsche". Das Buch erfuhr eine umfangreiche Kritik aus der Fachwelt, vermochte es aber gleichzeitig eine umfangreiche, öffentliche Debatte über Schuld und Verantwortung im Holocaust anzustoßen.
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Höcke bezeichnete Thomas Haldenwang am 29.11.2024 als "willigen Vollstrecker" und nahm damit offen Bezug auf Daniel J. Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker". Goldhagen beschäftigte sich in seinem Buch mit der Rolle von "ganz normalen Deutschen" im Holocaust. Das Buch erfuhr eine umfangreiche Kritik aus der Fachwelt, vermochte es aber gleichzeitig eine große, öffentliche Debatte über Schuld und Verantwortung im Holocaust anzustoßen. ©Screenshot, X, aufgenommen am 02.12.2024

Der Verfassungsschutz als „williger Vollstrecker“?

Der Thüringer Spitzenpolitiker der AfD Björn Höcke, der auf eine Bundestagskandidatur verzichtet, verbreitete währenddessen auf Social-Media eine Diffamierungskampagne gegen das mögliche Verbotsverfahren gegen die AfD. So bezeichnete er das Bundesamt für Verfassungsschutz als „Stasi“ und betitelte den scheidenden Chef des Amtes, Thomas Haldenwang, als „willigen Vollstrecker“ – eine offene Bezugnahme auf Daniel J. Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“. Das Buch, das 1996 erschien, sorgte für erhebliche Kontroversen, insbesondere in Deutschland, und löste eine breit geführte Diskussion über die Verantwortung der Deutschen für den Holocaust aus. Höckes offensichtlicher Versuch der Schuldumkehr ist mittlerweile programmatisch für die AfD im Umgang mit politischen Gegner:innen: Die Diffamierung mit Hilfe von historischen Bezügen auf den Nationalsozialismus soll nicht nur System und Gegner diffamieren - sie entlastet gleichzeitig auch das eigene Wahlklientel vom Vorwurf des Rechtsextremismus. Gleichermaßen bedient Höcke mit zwei verschiedenen Varianten – eine in Bezug auf die DDR, eine in Bezug auf den NS -  verschiedene Milieus des politischen Spektrums und macht sich damit für ein größeres Klientel wählbar.

Stimmenfang mit Mythen und Verschwörung

Die AfD greift im Bundestagswahlkampf auf geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Narrative zurück, um ihre rechtsextreme Klientel zu mobilisieren und gesellschaftliche Diskurse zu verschieben. Begriffe wie „Volkssturm“ und die Delegitimierung der Bundesrepublik durch den Mythos der „fehlenden Verfassung“ zeigen, wie gezielt historische Tatsachen verdreht werden, um die Demokratie zu diffamieren. Gleichzeitig versucht die Partei den diffusen Wunsch nach Frieden und die Sympathien für das autokratische Russland vieler Bürger:innen zu bespielen, in dem sie die Ukraine und den Westen diffamiert und als eigentliche Kriegstreiber darstellt. Die Verharmlosung von NS-Verbrechen, die Relativierung der Ukraine-Krise und die Verleumdung staatlicher Institutionen wie des Verfassungsschutzes sind eine gefährliche Mischung, die eine ernsthafte Herausforderung für die demokratische Gesellschaft darstellt. Die Partei scheint sich endgültig von ihrem wirtschaftsliberalen Image der euroskeptischen Professoren-Partei verabschiedet zu haben. Ob sie damit auf Bundesebene an ihre Ergebnisse aus den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg anknüpfen kann, wird sich zeigen.

[1] DÖW: AUF1: Volkstreue Apokalyptik, nun auch über Kabel. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, dort datiert 02.2022, URL: https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/februar-2022/auf1-volkstreue-apokalyptik-nun-auch-ueber-kabel.

[2] Alice Weidel: Alice Weidel: Krieg verhindern, Grenzen schließen und Deutschland retten! AUF1, dort datiert 29.11.2024, URL: https://www.auf1.tv/das-grosse-interview/alice-weidel-krieg-verhindern-grenzen-schliessen-und-deutschland-retten (02.12.2024). Ab Minute 22:38.


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