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Volkstrauertag in Thüringen

Trotz des erhöhten Repressionsdrucks der Behörden gegen die lokale Neonazi-Szene versammelten sich am 17. November 2024 in Eisenach und Hötzelsroda zahlreiche Rechtsextremist:innen, um den Gedenktag für offene NS-Propaganda zu nutzen. Auch in Schleusingen oder Köthen fanden ähnliche Veranstaltungen statt. Die vermehrte Mobilisierung der Szene muss im Kontext der von der AfD forcierten Diskursverschiebung gesehen werden.

Flyer für das "Heldengedenken" am 17. November 2024 in Eisenach.
Flyer für das "Heldengedenken" am 17. November 2024 in Eisenach.

Drei Veranstaltungen im Zeichen des NS-Kults

Das erste Treffen fand auf dem Hauptfriedhof in Eisenach statt und wurde von Patrick Wieschke, einem langjährigen Kader der NPD bzw. heute "Die Heimat", angemeldet. Wie typisch für solche Veranstaltungen wurden die Verstorbenen nationalsozialistischer Kampfverbände durch ein inszeniertes Ritual geehrt: Ein Redner rief die Namen von Organisationen wie der Wehrmacht, der Luftwaffe und der Waffen-SS auf, woraufhin die Anwesenden mit „Hier!“ antworteten. Die Veranstaltung mit etwa 30 Teilnehmer:innen endete mit dem Einspielen von „Dona nobis pacem.“

Mit Einbruch der Dämmerung verlagerte sich die Szene an die Kriegsgräberstätte im nahegelegenen Hötzelsroda. Dort nahmen rund 70 Rechtsextreme an einem Fackelumzug teil, der unter einem Holzkreuz samt Gedenkstein für 358 gefallene Soldaten des Zweiten Weltkriegs endete. Auch hier wurden die Toten der SA, Wehrmacht, Waffen-SS und des Volkssturms ritualisiert angerufen. Die Veranstaltung war von einem Aktivisten der Neonazi-Gruppe "Knockout 51" angemeldet, deren Mitglieder trotz laufender Verfahren und jüngster Verurteilungen weiterhin als zentraler Bestandteil der extrem rechten Szene in Thüringen agieren.1

Bereits einen Tag zuvor, am 16.11.2024, fand im südthüringischen Schleusingen unter der Regie vom lokalen Neonazi-Kader Tommy Frenck das alljährliche Heldengedenken statt. Wie jedes Jahr zog ein Fackelumzug durch die Stadt. Teilnehmer:innen hielten Kränze, Reichskriegsflaggen oder Schilder mit der Aufschrift „Opa war kein Verbrecher“ hoch. An der Veranstaltung nahmen schätzungsweise 60 Personen aus dem rechtsextremen Spektrum teil.

Aufnahme vom "Heldengedenken" auf dem Soldatenfriedhof Hötzelsroda am 17.11.2024.
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Aufnahme vom "Heldengedenken" auf dem Soldatenfriedhof Hötzelsroda am 17.11.2024.
Flyer für das "Heldengedenken 2024" in Schleusingen. Wie jedes Jahr traten der Anmelder Tommy Frenck sowie der Liedermacher Axel Schlimper als Redner auf.
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Flyer für das "Heldengedenken 2024" in Schleusingen. Wie jedes Jahr traten der Anmelder Tommy Frenck sowie der Liedermacher Axel Schlimper als Redner auf.

Das „Heldengedenken“: Historischer Hintergrund

Das Konzept des „Heldengedenkens“ hat seine Wurzeln in der Umdeutung des Volkstrauertags durch die NSDAP. Ursprünglich während der Weimarer Republik etabliert, diente der Volkstrauertag einer Mischung aus kollektiver Trauer um die Gefallenen des Ersten Weltkriegs und der politischen Agitation gegen die als „Schmach“ empfundene Unterzeichnung des Versailler Vertrags.2 Ab 1934 instrumentalisierten die Nationalsozialist:innen den Volkstrauertag, um eine Heroisierung der Gefallenen und Kämpfer des Ersten Weltkriegs zu propagieren. Er wurde in „Heldengedenktag“ umbenannt. Das Hissen der Flaggen wurde symbolträchtig von halbmast auf vollstock geändert, um den kämpferischen Charakter des Gedenkens zu betonen.3 Gleichzeitig wurde der Tag vom Kirchenjahr entkoppelt und an wechselnden Terminen im März begangen.

Das „Heldengedenken“ diente nun der Legitimierung aggressiver, politischer Schritte: Die Remilitarisierung des Rheinlands (1936), der Einmarsch in Österreich (1938) und die Zerschlagung der Tschechoslowakei (1939) fanden zielgerichtet alle kurz vor oder nach dem „Heldengedenktag“ statt. Ab 1940 wurde ein fester Termin, der 16. März, gewählt, um die im Nationalsozialismus gefallenen Soldaten und „Volksgenossen“ in die Propaganda einzubinden.4

Die rechtsextreme Szene in Thüringen nutzt in der Regel den Volkstrauertag im November als Plattform, vermutlich um eine Anschlussfähigkeit an bürgerliche Traditionen herzustellen. Während auch demokratische Akteur:innen an diesem Tag Blumen und Kränze niederlegen, nutzen Rechtsextreme den Tag, um die Toten nicht nur zu betrauern, sondern sie zugleich zu „ehrbaren“ Helden zu machen. Die „Heldengedenken“ in Eisenach, Hötzelsroda oder Schleusingen sind ein Versuch, NS-Ideologie als Teil einer neuen, „deutschen“ Erinnerungskultur zu rehabilitieren, die frei vom „Schuldkult“ ist. In diesem Zusammenhang wird die Wehrmacht nicht nur als vermeintlich „unpolitische“ Institution verklärt, sondern auch die Waffen-SS als Vorbild für Tapferkeit und Opferbereitschaft dargestellt. Dies ist nichts anderes als eine systematische Verzerrung historischer Tatsachen, welche die Gewalt und den industriellen Massenmord des NS-Regimes bewusst außen vor lässt.

Getrennt marschieren, gemeinsam Schlagen

Dass etablierte, militante Neonazistrukturen in Thüringen wieder vermehrt NS-Propaganda verbreiten und sich trotz Repressionsdrucks sicher genug fühlen, um öffentlich der Waffen-SS zu huldigen, ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer jahrelangen Diskursverschiebung, die maßgeblich von der AfD mitgetragen wird. Die Partei strebt mit ihrer geschichtspolitischen Strategie eine Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus und eine Rehabilitation von Teilen der NS-Ideologie an. Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion in Thüringen, spricht von einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und diffamiert die deutsche Erinnerungskultur als „Schuldkult“. Die Parteikollegen Maximilian Krah und Tino Chrupalla relativieren in aller Öffentlichkeit die SS. Mit solchen Aussagen bereitet die AfD ideologisch den Boden, auf dem Veranstaltungen wie das Heldengedenken in Eisenach gedeihen können. Zwar waren bei den rechtsextremen Treffen in Eisenach, Hötzelsroda oder Schleusingen wahrscheinlich keine AfD-Vertreter:innen anwesend, doch inszenierte die Partei selbst eigene Gedenkveranstaltungen. So lud der AfD Kreisverband Eichsfeld nach Heilbad Heiligenstadt ans Denkmal im Stadtpark: Vor Ort betonte Björn Höcke in seiner Rede alliierte Verbrechen und behauptete, dass bei der Flucht und Vertreibung der 14 Millionen Deutschen nach dem Ende des 2. Weltkrieges über 2,5 Millionen Menschen ums Leben gekommen wären – eine geradezu absurde Übertreibung, die klassischer Neonazi-Agitation in nichts nachsteht.

Auf der Veranstaltung der AfD in Heilbad Heiligenstadt legte die Partei Kränze am Denkmal im Stadtpark ab. Björn Höcke betonte in seiner Rede alliierte Kriegsverbrechen
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Auf der Veranstaltung der AfD in Heilbad Heiligenstadt legte die Partei Kränze am Denkmal im Stadtpark ab.
Post im Telegram-Kanal der AfD Eichsfeld: Höcke betonte in seiner Rede vor allem die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung.
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Post im Telegram-Kanal der AfD Eichsfeld: Höcke betonte in seiner Rede vor allem die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung.

Die Veranstaltungen um den Volkstrauertag in Thüringen verdeutlichen einmal mehr, wie die rechtsextreme Szene historische Gedenktage für ihre ideologischen Zwecke instrumentalisiert. Unter dem Deckmantel des Gedenkens wird eine geschichtsrevisionistische Agenda propagiert, die NS-Verbrechen verharmlost und deutsches Leid in den Vordergrund stellt. Unterstützt wird diese Entwicklung durch eine politische Diskursverschiebung, zu der die AfD maßgeblich beiträgt. Die Veranstaltungen in Thüringen der verschiedenen Akteur:innen mögen sich in Habitus und Außenwirkung unterschieden – schlussendlich eint sie dasselbe Ziel, den „Schuldkult“ zu brechen und die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ zu vollführen. Diese Form der unausgesprochenen Zusammenarbeit zwischen AfD und außerparlamentarischen, rechtsextremen Kräften beschrieb der "Chef" der österreichischen Identitären Martin Sellner 2023 in einem Podcast mit dem mecklenburgischen AfD-Mann Nikolaus Krempe unter Bezugnahme auf Moltke als „getrennt marschieren, vereint schlagen“.5

[1] Dominik Lenze: Fackel-Ritual für die Waffen-SS in Eisenach. Belltower  News, dort datiert 19.11.2024, URL: https://www.belltower.news/heldengedenken-fackel-ritual-fuer-die-waffen-ss-in-eisenach-157169/?fbclid=IwY2xjawGpgBlleHRuA2FlbQIxMQABHebbyBcD7CMDVGFDXZS0toKIOcbTHXKTZ0wXnlelSkpUAEZIh2bmgBvjAg_aem_uS6NX7RyrgzJPAMPutjAWw (22.11.2024).

[2] Alexandra Kaiser: Von Helden und Opfern: Eine Geschichte des Volkstrauertags. Frankfurt am Main 2010, S. 25.

[3] Ebd., S. 184.

[4] Ebd., S. 185–186.

[5] Vgl. NDR: AfD-Fraktionschef Kramer sucht Nähe zu Rechtsextremisten. Norddeutscher Rundfunk, dort datiert 06.10.2023, URL: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/AfD-Fraktionschef-Kramer-sucht-Naehe-zu-Rechtsextremisten,afdmv126.html (22.11.2024).


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