Vorgeschichte
Der EU-Parlamentarier der AfD, Maximilian Krah, stellte im Mai 2024 in der italienischen Zeitung La Republicca die Behauptung in den Raum, nicht alle Männer in SS-Uniformen seien Verbrecher gewesen. Der so öffentlich produzierte Eklat führte unter anderem dazu, dass Krah im Wahlkampf um das Europaparlament nicht mehr öffentlich auftreten durfte: Die Parteispitze versuchte weiteren Schaden zu verhindern. Die rechte ID-Fraktion (Identität und Demokratie) im EU-Parlament erwirkte daraufhin einen
Die Sendung vom 04. September 2024
Markus Lanz versuchte diesen politischen Eklat in der Sendung vom 04. September 2024 noch einmal zu aktualisieren und sprach Tino Chrupalla auf die Entgleisung seines Parteikollegen an. Der AfD Co-Chef entgegnete Lanz, dass die
Chrupallas Aussage zielte auf die Trennung des Charakters der Organisation von ihren konkreten Verbrechen ab. Tatsächlich erwies es sich auch für die Nürnberger Ankläger aufgrund mangelnder Beweise zum Teil als schwierig, Nationalsozialist:innen ihrer konkreten Verbrechen zu überführen: Zeugen waren ermordet, Akten vernichtet und Beweise verloren. Die Ankläger in den Nürnberger Prozessen behalfen sich mit der Taktik, die ganze SS als verbrecherische Organisation zu bewerten, bestraften in aller erster Linie aber vor allem ranghohe Mitglieder. Das Gericht übernahm in seinem Urteil diese Ansicht: Die SS wurde neben dem
Individuelle Schuld und die Rolle der SS im Nationalsozialismus
Markus Lanz‘ unbeholfener Versuch, Chrupalla auf die individuelle Schuld von SS-Angehörigen festzunageln, zielt insofern ins Leere, als dass es viel mehr darum hätte gehen müssen, die Rolle der SS als Organisation im NS-Staat darzustellen. Die hauptamtlichen SS-Männer, d.h. die kämpfenden Verbände der Waffen-SS, die Mörder der Einsatzgruppen, die KZ-Wachmannschaften und die Schreibtischtäter:innen im
NS-Propaganda im „Zweiten“
Tino Chrupalla ist es in Teilen gelungen, in der Talkrunde den Nationalsozialismus von seinen Verbrechen zu trennen: Moderator Markus Lanz hatte nur noch ein „Ui“ herausgebracht. Chrupalla konnte so ohne kompetente Gegenwehr im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Ideologie des Nationalsozialismus ein Stück weiter normalisieren. Darauf ist die AfD angewiesen, um durch den historischen Nationalsozialismus belastete Politiken zu enttabuisieren und wieder für die Gegenwart denkbar zu machen. Wenn Chrupalla in Frage stellt, ob die historischen Nationalsozialist:innen „Nazis“ waren, meint er damit tatsächlich auch seine heutigen Anhänger auf der Straße. Auf den als „Sommerfesten“ getarnten Wahlveranstaltungen der AfD in Thüringen, an denen scharenweise organisierte Rechtsextreme teilgenommen haben, wäre in dieser Logik auch kein einziger „Nazi“ zu finden. Die Relativierung der Vergangenheit wird so auch zu einer Brücke in die Gegenwart für die heutige Selbstverharmlosung der Rechtsextremen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wurde mit der Intention gegründet, die staatlich gelenkte Propaganda des „Dritten Reichs" nicht noch einmal zu ermöglichen. Warum Chrupalla die Möglichkeit gegeben wird, seine geschichtsrevisionistischen Ansichten frei zu entfalten, ist schwer nachvollziehbar.