Möller und Mandler auf der Suche nach Kultur
Stefan Möller und Daniel Mandler winden sich in den ersten 15 Minuten des Podcasts durch die Erfurter Kulturlandschaft anstatt wie angekündigt „im Schweinsgalopp“ durchzureiten.1 Mandler sinniert über ein vermeintliches „Staatskundemuseum“ in Erfurt, in welchem koloniale Kunst ausgestellt sei. Ob Mandler nicht doch eher die sogenannte "Südseesammlung" des Konsuls und Kolonialbeamten Wilhelm Knappe im Benary-Speicher meint,2 wird wohl das Geheimnis des eher öffentlichkeitsscheuen AfD-Mannes bleiben. Die beiden erwähnen den Dom, die Petersbergfestung und die mittelalterliche, jüdische Badeanstalt (Mikve) in Erfurt, die bis heute mit Wasser aus der Gera versorgt wird. Ihre vermeintliche Wertschätzung jüdischer Kultur erscheint jedoch angesichts antisemitischer Äußerungen ihres Parteikollegen Björn Höcke wenig glaubhaft. Vielmehr wirkt es wie ein rhetorischer Versuch, sich vom Verdacht des Antisemitismus zu distanzieren. Schon kurz darauf spricht Mandler im Kontext des Erfurter Theaters von einem „
Die Recherchen zum Wahlprogramm der Thüringer AfD
Neben ihrer demonstrativen Unkenntnis der Thüringer Kulturlandschaft und scherzhaften Überlegungen, ob etwa die „Böhsen Onkelz“ eine Kulturförderung erhalten sollten, diskutierten Möller und Mandler auch über Franz Langheinrich, dessen Gedicht „Rauscht ihr noch ihr alten Wälder“ dem Thüringer AfD-Wahlprogramm vorangestellt ist. Offenbar war es Mandler, der das Gedicht für das AfD-Programm aussuchte, laut eigener Aussage den politischen Hintergrund aber gar nicht gekannt habe. Mandler selbst kenne das Gedicht in seiner Version als „Thüringer Landlied“, das ihm aus seinem Engagement in einer „Studentenverbindung“ bekannt sei (20:21). Mandler verharmlost Langheinrich als „Dichter der aus Thüringen kam“ und „am Ende seines Lebens der Propaganda der Nationalsozialisten verfiel und jetzt kreidet man ihm an, er wäre einer gewesen.“
Ob Langheinrich wirklich Verfechter des Nationalsozialismus war, „wissen wir alle nicht“, resümieren schließlich beide. Möller beschwichtig, Langheinrich habe dem „damaligen Regime wohl einige konforme Äußerungen gemacht, Richtung Antisemitismus und Kulturpolitik“ die aus heutiger Sicht kritisch zu bewerten seien. Langheinrich war jedoch keineswegs Opfer nationalsozialistischer „Verführung“, was ein gängiges geschichtsrevisionistisches Entlastungsnarrativ darstellt, sondern ein aktiver Teil der NS-Kulturpolitik. Die Nationalsozialist:innen standen in einer langen Tradition völkisch-nationalistischer und antisemitischer Denker und Strömungen, die sich schon vor 1933 gegen Judentum und Bolschewismus richteten. Einer dieser völkischen Vordenker war Langheinrich: Mit der Machtübernahme der NSDAP und der Tilgung von linken oder jüdischen Kulturschaffenden, die z.B. durch das „Schriftleitergesetz“ aus dem Betrieb ausgeschlossen wurden, boten sich für verdiente völkische Schreiberlinge ganz neue berufliche Optionen: Zwischen 1934 und 1936 schrieb Langheinrich für das NSDAP-Parteiblatt "Völkischer Beobachter". Er war also nicht „verführt“ worden, er war ein aktiver Nationalsozialist.
Projektive Abwehr
Der halbherzig wirkende Distanzierungsversuch dient jedoch nur als Anlauf für das eigentliche Manöver: Mandler und Möller kommen auf Hermann Claudius‘ Lied „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ zu sprechen, welches über Jahrzehnte am Ende von SPD-Parteitagen gesungen wurde. Claudius stand in der Weimarer Republik der SPD und den Gewerkschaften nahe, faszinierte sich jedoch mit dem Aufstieg der NSDAP für den Nationalsozialismus und Adolf Hitler. Nachdem bedeutende Literat:innen aus dem NS-Kulturbetrieb verbannt wurden, erlebte Claudius einen sprunghaften Aufstieg und wurde zum Haus- und Hofbarden des Nationalsozialismus.3 Laut Mandler und Möller hätte darüber allerdings niemand berichtet: Eine Falschbehauptung. Den Jusos ist der Umstand, dass sie das Lied eines NS-Dichters singen, bereits 2018 sauer aufgestoßen, was 2021 dazu führte, dass „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘“ gar nicht mehr auf SPD-Parteitagen gesungen wird.4 Im Gegensatz zur SPD hat die AfD jedoch bisher keine Konsequenzen gezogen – und dass Mandler „unwissentlich“ ein Gedicht eines NS-Autors ausgewählt hat, wirkt zutiefst unglaubwürdig.
Angriff auf das Bauhaus
Möller und Mandler deuten an, dass die Idee für die Folge 33 auf Vorstöße der Erfurter Kulturdirektion zur Umgestaltung der Kulturlandschaft zurückzuführen sei. Tatsächlich müssen die Versuche der Delegitimierung der Kunstfreiheit, das Verharmlosen der eigenen NS-Bezüge und das Verächtlichmachen des Engagements gegen Rechtsextremismus von Teilen der Kulturszene in einem größeren Kontext gesehen werden: Die eigenen Vorstellungen der AfD, was deutsche Kultur sei, beschränken sich in der Regel auf deutschtümelnde Phrasen. Konkret werden sie eher in der Negation, wie kürzlich in Sachsen-Anhalt, wo Hans-Thomas Tillschneider (AfD) einen
Die AfD und die Kultur
Die AfD versucht immer wieder mit historischen Bezügen auf z.B. die Weimarer Klassik oder die Romantik eine deutsche, „ursprüngliche Kultur“ zu konstruieren.6 Dass Kultur kein statischer Gegenstand ist und nicht an deutschen Grenzen haltmacht, bringt die Deutschtümelei von Mandler, Möller und Tillschneider schnell an ihre Grenzen. Tatsächlich ist die Thüringer Kulturlandschaft, sowohl in der Hochkultur als auch in der Populärkultur, breit aufgestellt: Die Angriffe der AfD gelten vor allem einem intellektuellen, kulturellen Milieu, dass sich von den völkischen Verunglimpfungen der AfD zurecht bedroht sieht. Lokal verwurzelte Kulturformen wie Kirmes- oder Feuerwehrfeste wären vermutlich ebenso betroffen, wenn sich ihre Veranstalter:innen kritisch gegenüber der AfD äußern würden. Die Vorstellungen von Kulturpolitik der Thüringer AfD zeigt, wie wenig es der Partei tatsächlich um die Förderung und den Schutz kultureller Vielfalt geht. Stattdessen dient Kultur als ideologisches Schlachtfeld, um die eigene völkisch-nationalistische Agenda zu untermauern und jede kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als „Schuldkult“ zu delegitimieren. Die scheinbaren Bezüge zur deutschen Kultur entpuppen sich bei genauer Betrachtung als oberflächlich und selektiv, während wichtige historische, intellektuelle und künstlerische Strömungen abgelehnt werden, sobald sie nicht in das enge Weltbild der Partei passen. Die Kulturszene in der Tradition der Weimarer Klassik betrachtet die AfD vor allem als Kostenfaktor, trotz ihres Versprechens, das „Orchester- und Theaternetz“ in Thüringen zu erhalten.7 Tatsächlich erwägen Möller und Mandler mittelfristig sogar eine Zusammenlegung des Deutschen Nationaltheaters in Weimar mit dem Erfurter Theater (16:30) und konterkarieren damit ihre imaginierte Rolle als Retter der deutschen Kulturnation.
[1] Stefan Möller/Daniel Mandler: Folge 33: Blaue Kulturpolitik - im Schweinsgalopp durch die Kulturszene mit Daniel Mandler.
[2] Wilhelm Knappe war Erfurter und verkaufte seiner Heimatstadt 1899 seine sogenannte „Südseesammlung“ mit circa 600 Exponaten. Knappe war u.a. kaiserlicher Kommissar auf den Marshall-Inseln und Konsul auf Samoa. Vgl. Wilhelm Knappe. Erfurt Web, dort datiert 26.12.2023, URL: https://www.erfurt-web.de/Wilhelm_Knappe (05.11.2024).
[3] Literaten wie z.B. Thomas Mann oder Käthe Kollwitz wurden am 15. Februar gezwungen aus der preußischen Akademie der Künste auszutreten, die ab Juni 1933 in die „Deutsche Akademie der Dichtung“ überführt wurde. Neu berufen in die Akademie wurde u.a. Hermann Claudius. Vgl. Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Frankfurt/ Main; Berlin 1989, S. 35.
[4] Kai Doering: Parteitag: Warum die SPD „Wann wir schreiten…“ nicht mehr singt. Vorwärts, dort datiert 10.12.2021, URL: https://vorwaerts.de/parteileben/parteitag-warum-die-spd-wann-wir-schreiten-nicht-mehr-singt (05.11.2024).
[5] Vgl. Sparkasse am Fischmarkt Erfurt. Architektur Bildarchiv, URL: https://www.architektur-bildarchiv.de/image/Sparkasse-am-Fischmarkt-Erfurt-15513.html (06.11.2024).
[6] AFD Thüringen: Alles für Thüringen. Das Wahlprogramm der AfD für Thüringen, dort datiert 2024, S. 111, URL: https://thueringen-landtagswahl.de/programm/ (06.11.2024).
[7] Ebd., S. 113