Faschistischer Pate
Der von Höcke gelobte Artikel („Lesenswert!“) strotzt nur vor antisemitischen Codes, offenem Antiamerikanismus, geschichtsrevisionistischen Verdrehungen und direkten Bezügen auf faschistische Denker. Kunze versucht das
Feindbild Amerika
Zynisch fragt Kunze bereits im Intro des Artikels, ob nicht auch schon die Amerikaner die Welt „safe for democracy“ machen wollten, was mit Hilfe unserer „politischen Lizenznehmern“ 1948 auch gelungen sei.1 Das Zitat „Making the world safe for democracy“ entstammt Woodrow Wilsons Rede vom 02. April 1917 und hat gar nichts mit der Staatsgründung der BRD durch die West-Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg zu tun. Wilsons Rede von 1917 ist als Reaktion auf den uneingeschränkten Uboot-Krieg der Deutschen gegen amerikanische Handelsschiffe im 1. Weltkrieg zu verstehen. Wilson betonte in seiner Rede immer wieder seine Sympathien für das deutsche Volk und seine Ablehnung gegenüber der autoritären Führungsriege im Kaiserreich, die das Volk manipuliert und in den Krieg getrieben habe.2 Mehr noch: Im 14-Punkte-Plan, den Wilson am 8. Januar 1918 vorstellte, waren zentrale Aspekte seiner Vorstellung einer Friedensordnung für die Nachkriegszeit festgehalten: Unter anderem die nationale Selbstbestimmung der Völker – also ganz entgegen der Darstellung Kunzes. Dass sich mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs in Deutschland durch die Novemberrevolution 1918 ganz ohne amerikanisches Zutun schon vor 1948 eine Demokratie herausgebildet hat, nämlich die der Weimarer Republik, wird von Kunze komplett verschwiegen.
Antisemitische Codes
Weite Teile des Artikels kommen wie alle Pamphlete der Neuen Rechten daher: Es wird die angebliche linke Hegemonie über Medien und Zivilgesellschaft beklagt, der unaufhaltsame Verfall demokratischer Institutionen betrauert und gegen Migration polemisiert. Andererseits wird der Autor ausgesprochen eindeutig, wenn er von der „Plutokratie“ schreibt und eine zutiefst antisemitische Karikatur zu Beginn des Artikels positioniert:
Diese zeigt eine große, monströse Gestalt die Amerika darstellen soll und im Original mit „Kultur Terror“ überschrieben war. Auf der Gestalt selbst finden sich allerhand stereotype, antiamerikanische Motive wie vermeintliche Geldgier, Militarismus, Gangstertum, oberflächliche Schönheitsideale und nicht zuletzt eine angebliche jüdische Übermacht, welche die Geschicke des „Monsters“ steuert: Im Schritt der Gestalt weht eine Art Fahne mit Davidstern. Diese Karikatur entstammt einer 1944 veröffentlichen, niederländischen SS-Zeitung und wurde vom norwegischen Nationalsozialisten Harald Damsleth angefertigt.3
Die NS-Propaganda sollte nicht nur die niederländischen SS-Verbände zum Weiterkämpfen motivieren, sondern wurde zwischen Juli und August 1944 auch öffentlich ausgehangen um die Furcht der Zivilbevölkerung vor den Amerikanern zu befeuern. Der Versuch war jedoch vergebens – bereits am 04. September 1944 konnte Ministerpräsident Gerbrandy über „Radio Oranje“ das Überqueren der niederländischen Grenze durch die Alliierten verkünden, was einen Tag später zu landesweiten Freudenfeiern führte („Dolle Dinsdag“). Die z.T. widersprüchlichen Darstellungen der USA als gigantisches Monster, das den rassistischen Ku-Klux-Klan, afroamerikanische Jazz-Musik und das Judentum vereint, ist als Amalgam aller antiamerikanische Ressentiments, die von der NS-Propaganda verbreitet wurden, zu begreifen. In der NS-Propaganda galten die USA als „seelenloses“, ethnisch durchmischtes Land, das mit seiner Vielseitigkeit und seinem Pluralismus einen Angriff auf die scheinbar natürlich gewachsene nationalsozialistische Volksgemeinschaft darstellte.4 Die paradox anmutenden „Kritik“ am amerikanischen Rassismus in Form der Ku-Klux-Klan-Kapuze lässt sich damit erklären, dass die rassistischen Übergriffe des Klans z.B. im völkischen Beobachter als „unzivilisiert“ gedeutet wurden und als „natürliche Reaktion“ der amerikanischen Weißen auf die chaotischen, amerikanischen Verhältnisse zu verstehen seien.5
Bösartige Globalisten vs. Ehrliche Volksdemokratie
In den Darstellungen der neuen Rechten erscheint die Demokratie als künstliche Herrschaft einer globalen Elite, die das Volk ausbeutet und mit Hilfe von „Gehirnwäsche“ seiner Souveränität beraubt. Dem wird eine vermeintlich natürliche Volksherrschaft von unten nach oben entgegengestellt. Das „Volk“ wird nicht als alle im Land lebenden Bürger:innen verstanden, sondern als ethnisch definiertes Volk, wie Björn Höcke in seinem Post selbst noch nachschiebt, wenn er anprangert, dass die Missstände in der Gesellschaft„[…] letztlich [zur] Zerstörung des Demos (Volkes) durch Multikulturalisierung [führen].“ Höcke versucht hierbei wieder den Zusammenhang von „großem Austausch“ durch globale Eliten und den Verlust von Souveränität herzustellen: Eine Verbindung, die bei der neuen Rechten von zentraler Bedeutung ist.
Artikel wie die von Klaus Kunze sind gefährlich, weil sie reale Ängste und individuelle Ohnmachtserfahrungen vieler Menschen antizipieren und mit in Teilen der Gesellschaft anschlussfähigen antiamerikanischen bzw. strukturell antisemitischen Ressentiments verquicken. Gleichzeitig, und das unterscheidet Kunze und Co. von anderen Populist:innen, streut er offene Bezüge auf den Nationalsozialismus ein bzw. nutzt sogar Karikaturen aus SS-Zeitschriften. Damit folgt er einer Strategie der Normalisierung von NS-Positionen, die sich im Umfeld der AfD seit längerem beobachten lässt. Dass Björn Höcke sich in dieser Gedankenwelt wiederfindet, überrascht mittlerweile sicher kaum noch.
[1] Kunze benutzt bewusst nicht den 23. Mai 1949 als Gründungsdatum der BRD, sondern das Jahr 1948 mutmaßlich als Chiffre für die „eigentliche“ Staatsgründung. 1948 steht für die Währungsreform in den von den West-Alliierten kontrollierten Besatzungszonen. Kunze deutet die Währungsreform als Beginn der Herrschaft der globalen „Finanz-Elite“ über das nicht-souveräne Deutschland.
[2] Woodrow Wilson: The World Must Be Made Safe for Democracy, dort datiert 02.04.1917, URL: https://teachingamericanhistory.org/document/the-world-must-be-made-safe-for-democracy (04.11.2024).
[3] Damsleth war in der norwegischen, faschistischen Partei „Nasjonal Samling“ aktiv gewesen.
[4] Vgl. Kristen Williams Becker: Kultur-Terror: The Composite Monster in Nazi Visula Propaganda. In: Niall Scott (Hrsg.): Monsters and the Monstrous: Myths and Metaphors of Enduring Evil, Amsterdam/ New York 2007, hier S. 81.
[5] Den scheinbar „chaotischen“ amerikanischen Lynchexzessen des KKK wurde die „ordentliche“, staatlich organisierte Rassepolitik des NS entgegengesetzt. Diese Ansicht wurde insbesondere vom NS-Akademiker Heinrich Krieger in „Das Rasserecht in den Vereinigten Staaten“ stark gemacht.