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Höcke lobt antisemitischen Artikel mit Karikatur aus SS-Zeitung

Am 30. Oktober 2024 teilte Björn Höcke über Telegram und Facebook einen Artikel des Online-Formats „Wir selbst“. Laut Selbstbezeichnung eine „Zeitschrift für Nationale Identität“. Der Artikel ist von Klaus Kunze geschrieben, der in jungen Jahren bei der Burschenschaft Germania und beim Ring Freiheitlicher Studenten aktiv war, später für die Republikaner antrat und in jüngerer Zeit vor allem als Anwalt Neonazis oder die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck vertrat. Klaus Kunze wird der neuen Rechten zugeordnet und sieht sich insbesondere in der gedanklichen Tradition von Carl Schmitt. Im Artikel selbst wird eine antisemitische Karikatur aus einer SS-Zeitung verbreitet.

Höcke teilte am 30.10.2024 auf Facebook und Telegram Kunzes Artikel und betitelte diesen als "Lesenswert". Im Artikel selbst ist nach dem Einführungstext die Karikatur aus der SS-Zeitung positionieret.
Höcke teilte am 30.10.2024 auf Facebook und Telegram Kunzes Artikel und betitelte diesen als "Lesenswert". Im Artikel selbst ist nach dem Einführungstext die Karikatur aus der SS-Zeitung positionieret.

Faschistischer Pate

Der von Höcke gelobte Artikel („Lesenswert!“) strotzt nur vor antisemitischen Codes, offenem Antiamerikanismus, geschichtsrevisionistischen Verdrehungen und direkten Bezügen auf faschistische Denker. Kunze versucht das strukturell antisemitische Bild einer globalen Elite zu konstruieren, die im Franchise-Stil weltweit Demokratie-Dependancen „lizensiert“ um ihre Profite zu sichern. Das Ganze versucht Kunze mit Hilfe des „Ehernes Gesetzes der Oligarchie“ nach Robert Michels zu „belegen“. Michels versuchte anhand der Parteienstruktur der SPD Anfang des 20. Jahrhunderts nachzuweisen, dass Volksparteien automatisch zu Bürokratien mit einer mächtigen, korrumpierbaren Elite führen würden: Der von Michels untersuchte Zeitraum war begrenzt, die Übertragbarkeit der Erkenntnisse in ein „universales Gesetz“ umso problematischer. Michels wird von Kunze als „linker Denker“ dargestellt, was für sein Frühwerk durchaus stimmen mag – sein späteres Engagement in der faschistischen Partei Italiens lässt Kunze allerdings unerwähnt. Das dürfte den Autor auch weiter gar nicht stören, zumal ihm das „Gesetz der Oligarchie“ sowieso nur als Steigbügel dient, um seine eigenen Ressentiments zu legitimieren.  

Feindbild Amerika

Zynisch fragt Kunze bereits im Intro des Artikels, ob nicht auch schon die Amerikaner die Welt „safe for democracy“ machen wollten, was mit Hilfe unserer „politischen Lizenznehmern“ 1948 auch gelungen sei.1 Das Zitat „Making the world safe for democracy“ entstammt Woodrow Wilsons Rede vom 02. April 1917 und hat gar nichts mit der Staatsgründung der BRD durch die West-Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg zu tun. Wilsons Rede von 1917 ist als Reaktion auf den uneingeschränkten Uboot-Krieg der Deutschen gegen amerikanische Handelsschiffe im 1. Weltkrieg zu verstehen. Wilson betonte in seiner Rede immer wieder seine Sympathien für das deutsche Volk und seine Ablehnung gegenüber der autoritären Führungsriege im Kaiserreich, die das Volk manipuliert und in den Krieg getrieben habe.2 Mehr noch: Im 14-Punkte-Plan, den Wilson am 8. Januar 1918 vorstellte, waren zentrale Aspekte seiner Vorstellung einer Friedensordnung für die Nachkriegszeit festgehalten: Unter anderem die nationale Selbstbestimmung der Völker – also ganz entgegen der Darstellung Kunzes. Dass sich mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs in Deutschland durch die Novemberrevolution 1918 ganz ohne amerikanisches Zutun schon vor 1948 eine Demokratie herausgebildet hat, nämlich die der Weimarer Republik, wird von Kunze komplett verschwiegen.

Antisemitische Codes

Weite Teile des Artikels kommen wie alle Pamphlete der Neuen Rechten daher: Es wird die angebliche linke Hegemonie über Medien und Zivilgesellschaft beklagt, der unaufhaltsame Verfall demokratischer Institutionen betrauert und gegen Migration polemisiert. Andererseits wird der Autor ausgesprochen eindeutig, wenn er von der „Plutokratie“ schreibt und eine zutiefst antisemitische Karikatur zu Beginn des Artikels positioniert:

Die im Text verwendete Karikatur entstammt einer niederländischen SS-Zeitung aus dem Jahr 1944. Neben zahlreichen antiamerikanischen Stereotypen, die z.T. schon vor der NS-Zeit in Deutschland verbreitet waren, lassen sich auch mehrere konkrete historische Bezüge ausmachen: So steht z.B. der Boxhandschuh am linken, oberen Arm des "Monsters" für die beiden Boxkämpfe zwischen dem Deutschen Max Schmeling und dem Amerikaner Joe Louis.
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Die im Text verwendete Karikatur entstammt einer niederländischen SS-Zeitung aus dem Jahr 1944. Neben zahlreichen antiamerikanischen Stereotypen, die z.T. schon vor der NS-Zeit in Deutschland verbreitet waren, lassen sich auch mehrere konkrete historische Bezüge ausmachen: So steht z.B. der Boxhandschuh am linken, oberen Arm des "Monsters" für die beiden Boxkämpfe zwischen dem Deutschen Max Schmeling und dem Amerikaner Joe Louis.
Titelblatt der niederländischen SS-Zeitung, wahrscheinlich aus dem Jahr 1941. Wie in vielen anderen besetzten Gebieten stellte die SS auch in den Niederlanden Freiwilligenverbände auf. Diese bildeten Anfangs eine Art Hilfspolizei und formierten sich später zu kämpfenden Verbänden der Waffen-SS.
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Titelblatt der niederländischen SS-Zeitung, wahrscheinlich aus dem Jahr 1941. Wie in vielen anderen besetzten Gebieten stellte die SS auch in den Niederlanden Freiwilligenverbände auf. Diese bildeten Anfangs eine Art Hilfspolizei und formierten sich später zu kämpfenden Verbänden der Waffen-SS.

Diese zeigt eine große, monströse Gestalt die Amerika darstellen soll und im Original mit „Kultur Terror“ überschrieben war. Auf der Gestalt selbst finden sich allerhand stereotype, antiamerikanische Motive wie vermeintliche Geldgier, Militarismus, Gangstertum, oberflächliche Schönheitsideale und nicht zuletzt eine angebliche jüdische Übermacht, welche die Geschicke des „Monsters“ steuert: Im Schritt der Gestalt weht eine Art Fahne mit Davidstern. Diese Karikatur entstammt einer 1944 veröffentlichen, niederländischen SS-Zeitung und wurde vom norwegischen Nationalsozialisten Harald Damsleth angefertigt.3
Die NS-Propaganda sollte nicht nur die niederländischen SS-Verbände zum Weiterkämpfen motivieren, sondern wurde zwischen Juli und August 1944 auch öffentlich ausgehangen um die Furcht der Zivilbevölkerung vor den Amerikanern zu befeuern. Der Versuch war jedoch vergebens – bereits am 04. September 1944 konnte Ministerpräsident Gerbrandy über „Radio Oranje“ das Überqueren der niederländischen Grenze durch die Alliierten verkünden, was einen Tag später zu landesweiten Freudenfeiern führte („Dolle Dinsdag“). Die z.T. widersprüchlichen Darstellungen der USA als gigantisches Monster, das den rassistischen Ku-Klux-Klan, afroamerikanische Jazz-Musik und das Judentum vereint, ist als Amalgam aller antiamerikanische Ressentiments, die von der NS-Propaganda verbreitet wurden, zu begreifen. In der NS-Propaganda galten die USA als „seelenloses“, ethnisch durchmischtes Land, das mit seiner Vielseitigkeit und seinem Pluralismus einen Angriff auf die scheinbar natürlich gewachsene nationalsozialistische Volksgemeinschaft darstellte.4 Die paradox anmutenden „Kritik“ am amerikanischen Rassismus in Form der Ku-Klux-Klan-Kapuze lässt sich damit erklären, dass die rassistischen Übergriffe des Klans z.B. im völkischen Beobachter als „unzivilisiert“ gedeutet wurden und als „natürliche Reaktion“ der amerikanischen Weißen auf die chaotischen, amerikanischen Verhältnisse zu verstehen seien.5

Bösartige Globalisten vs. Ehrliche Volksdemokratie

In den Darstellungen der neuen Rechten erscheint die Demokratie als künstliche Herrschaft einer globalen Elite, die das Volk ausbeutet und mit Hilfe von „Gehirnwäsche“ seiner Souveränität beraubt. Dem wird eine vermeintlich natürliche Volksherrschaft von unten nach oben entgegengestellt. Das „Volk“ wird nicht als alle im Land lebenden Bürger:innen verstanden, sondern als ethnisch definiertes Volk, wie Björn Höcke in seinem  Post selbst noch nachschiebt, wenn er anprangert, dass die Missstände in der Gesellschaft„[…] letztlich [zur] Zerstörung des Demos (Volkes) durch Multikulturalisierung [führen].“ Höcke versucht hierbei wieder den Zusammenhang von „großem Austausch“ durch  globale Eliten und den Verlust von Souveränität herzustellen: Eine Verbindung, die bei der neuen Rechten von zentraler Bedeutung ist.  

Artikel wie die von Klaus Kunze sind gefährlich, weil sie reale Ängste und individuelle Ohnmachtserfahrungen vieler Menschen antizipieren und mit in Teilen der Gesellschaft anschlussfähigen antiamerikanischen bzw. strukturell antisemitischen Ressentiments verquicken. Gleichzeitig, und das unterscheidet Kunze und Co. von anderen Populist:innen, streut er offene Bezüge auf den Nationalsozialismus ein bzw. nutzt sogar Karikaturen aus SS-Zeitschriften. Damit folgt er einer Strategie der Normalisierung von NS-Positionen, die sich im Umfeld der AfD seit längerem beobachten lässt. Dass Björn Höcke sich in dieser Gedankenwelt wiederfindet, überrascht mittlerweile sicher kaum noch.

[1] Kunze benutzt bewusst nicht den 23. Mai 1949 als Gründungsdatum der BRD, sondern das Jahr 1948 mutmaßlich als Chiffre für die „eigentliche“ Staatsgründung. 1948 steht für die Währungsreform in den von den West-Alliierten kontrollierten Besatzungszonen. Kunze deutet die Währungsreform als Beginn der Herrschaft der globalen „Finanz-Elite“ über das nicht-souveräne Deutschland.

[2] Woodrow Wilson: The World Must Be Made Safe for Democracy, dort datiert 02.04.1917, URL: https://teachingamericanhistory.org/document/the-world-must-be-made-safe-for-democracy (04.11.2024).

[3] Damsleth war in der norwegischen, faschistischen Partei „Nasjonal Samling“ aktiv gewesen.

[4] Vgl. Kristen Williams Becker: Kultur-Terror: The Composite Monster in Nazi Visula Propaganda. In: Niall Scott (Hrsg.): Monsters and the Monstrous: Myths and Metaphors of Enduring Evil, Amsterdam/ New York 2007, hier S. 81.

[5] Den scheinbar „chaotischen“ amerikanischen Lynchexzessen des KKK wurde die „ordentliche“, staatlich organisierte Rassepolitik des NS entgegengesetzt. Diese Ansicht wurde insbesondere vom NS-Akademiker Heinrich Krieger in „Das Rasserecht in den Vereinigten Staaten“ stark gemacht.


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