Möller im Morgenmagazin
Im Rahmen des Wahlkampfes war Stefan Möller am 23. August 2024 im ZDF-Morgenmagazin zu Gast. Moderator Andreas Wunn konfrontierte ihn zunächst mit der Aussage seines Parteikollegen Tino Chrupalla, die SPD sei „bereit fürs Schafott", also eine Hinrichtungsplattform, die vor allem in der frühen Neuzeit Gebrauch fand. Möller relativierte diese Aussage als metaphorisch gemeinten „Fehlgriff“. Im weiteren Verlauf des Interviews lenkte Wunn das Gespräch auf ein Gedicht des Nationalsozialisten Franz Langheinrich, das dem Thüringer AfD-Programm vorangestellt ist. Der Journalist Frederik Schindler berichtete zuerst über den Skandal in der Online-Ausgabe der
Historischer Kontext
Möller hat zwar Recht, wenn er darauf hinweist, dass es 1912, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gedichts, noch keine „Nazis“ gab. Allerdings reicht der ideologische Ursprung des Nationalsozialismus bis ins 19. Jahrhundert zurück. Völkisches Denken, Antisemitismus und soldatisches Heldentum sind ebenso wie die schwärmerische Verklärung der Natur keine Erfindung der NSDAP und ihrer Dichter, sondern waren schon im deutschen Kaiserreich weit verbreitet. Bereits die Romantik des frühen 19. Jahrhunderts, die sich als Gegenbewegung zur Aufklärung und zur Weimarer Klassik verstand, trug manche dieser Elemente in sich. Die idealisierte Naturverehrung oder die Betonung volkstümlicher Bräuche und Mythen boten eine Grundlage, die sowohl in den Texten von Autoren wie Langheinrich als auch später in der völkischen Ideologie der NSDAP aufgegriffen wurde.1
Die Strategie der AfD
Möllers Auftritt im ZDF-Morgenmagazin ist beispielhaft für die Doppelstrategie der AfD aus gezielter Provokation und nachträglicher Selbstverharmlosung. Insbesondere der Landessprecher der AfD nutzt dieses Vorgehen immer wieder. Möller ist Mitunterzeichner der „Erfurter Resolution“, also der Gründungserklärung des rechtsextremen „Flügels“ der Partei, der mittlerweile formell aufgelöst wurde. Zusammen mit Björn Höcke gibt er die Richtung der Thüringer AfD vor. Die stetige, verbale Eskalation, zu der auch AfD-Einflüsterer Götz Kubitschek in seinen Pamphleten rät, ist ein bewusst genutztes Instrument, um den Rahmen des Sag- und Machbaren zu verschieben. Die Reproduktion der SA-Parole „Alles für Deutschland“ durch Höcke oder das Gedicht eines Nationalsozialisten als Vorrede für das AfD-Programm sind gezielt herbeigeführte Skandale, nach denen die AfD zurückrudert und sich als Opfer von Zuschreibungen und Medienkampagnen inszeniert. Ob und wie lang die Thüringer:innen diese Taktik mitmachen und bewerten, wird sich zeigen. Dass das Gedicht vom Nationalsozialisten Franz Langheinrich nur aufgrund seiner heimattümelnden Verklärung der Natur auf Seite 1 des AfD-Wahlprogramms in Thüringen gelandet ist, konnte der AfD-Landessprecher Stefan Möller jedenfalls nicht glaubhaft erklären.
1 Das bedeutet natürlich nicht, dass sich eine direkte Linie von der Romantik zum Nationalsozialismus ziehen lässt. Die Romantik kann ideengeschichtlich als Gegenthese zur Aufklärung verstanden werden. Die Aufklärung war mit politischen Umbrüchen wie der Französischen Revolution verbunden, durch die der individuelle Bürger (Citoyen) als aktiver Teilnehmer und Gestalter der Gesellschaft begriffen wurde. In der Romantik hingegen dominierte das Bild eines Menschen, der durch Schicksal und innere Gefühlswelten geprägt ist. Während die politische Emanzipation in Frankreich vereinfacht gesagt auch die des Individuums mit sich brachte, blieb diese Entwicklung im deutschsprachigen Raum weitgehend aus oder ging mit dem Scheitern der Revolution von 1848/1849 vorerst wieder verloren. Der Nationalsozialismus greift in seinem Schicksalsglauben, seinen düsteren Untergangsphantasien und der Verklärung scheinbarer Natürlichkeit immer wieder auf Elemente der Romantik zurück.