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Der Anschlag von Magdeburg und die extreme Rechte

Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20.12.2024, bei dem ein 50-jähriger Mann mit einem Auto durch die Menge gerast ist und dabei mindestens fünf Menschen getötet und über 200 zum Teil schwer verletzt hat, mobilisierte die rechtsextreme Szene einen Tag darauf zu einem sogenannten „Trauermarsch“. Schon kurz nach dem Attentat zeigt sich jedoch, dass die Teilnehmer:innen der rassistischen Mobilmachung dem Täter ideologisch offenbar näherstanden, als sie zugeben würden. Die Kundgebung der rechtsextremen Szene am Magdeburger Hasselbachplatz war geprägt von Geschichtsrevisionismus und offener Verherrlichung nationalsozialistischer Ideologie.

Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt legten Bürger:innen der Stadt vor Ort Kränze und Blumen nieder, um ihre Trauer auszudrücken.
Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt legten Bürger:innen der Stadt vor Ort Kränze und Blumen nieder, um ihre Trauer auszudrücken. ©Screenshot, ZDF, aufgenommen am 23.12.2024

Der Attentäter von Magdeburg

Der Anschlag von Magdeburg rief in seiner Brutalität und Ausführung vielerorts Erinnerungen an den vor acht Jahren stattgefundenen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt durch den islamistisch motivierten Täter Anis Amiri wach. Der Täter von Magdeburg, ein fünfzigjähriger Exil-Saudi, der sich selbst als radikalen Atheisten und Gegner des saudischen Herrschaftsapparats bezeichnete, bewegte sich ideologisch jedoch in einem völlig anderen Spektrum. Auf seinen Social-Media-Profilen äußerte er sich kritisch gegenüber dem Islam und stilisierte sich als Verfolgter des saudischen Regimes. Nach eigener Darstellung habe er zahlreiche Flüchtlinge unterstützt, die aufgrund ihrer Lossagung vom Glauben aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten. Ob diese Selbstdarstellung der Realität entspricht, ist momentan unklar. Etablierte Organisationen wie die säkulare Flüchtlingshilfe lehnten jegliche Kooperation mit ihm ab und distanzierten sich ausdrücklich von ihm. In seiner Gegnerschaft zum Islam schien sich der Attentäter immer weiter zu radikalisieren und glaubte seine neue ideologische Heimat scheinbar bei Rechtspopulist:innen und Rechtsextremen gefunden zu haben. So teilte er z.B. Beiträge von den Profilen von der deutschen, rechtsextremen Influencerin Naomi Seibst oder der Anwärterin auf das Amt der Bundeskanzlerin Alice Weidel (AfD). Auf seinem X-Profil verbreite er unter anderem das Narrativ vom „großen Austausch“: Einem zentralem Verschwörungsmythos der Neuen Rechten. Die Erzählung geht auf den französischen Autoren Renaud Camus zurück, der in seinem 2011 erschienen Buch „Le grand replacement“ behauptete, globale Eliten würden die weiße, europäische Bevölkerung gezielt durch Einwanderung aus Afrika und Nahost austauschen. Insbesondere in der deutschen Rechten wird das Narrativ dahingehend erweitert, dass der vermeintliche große Austausch durch die moralische Geißelung des „Schuldkults“ ermöglicht wird. In der rassistischen Logik der Neuen Rechten unterdrückt die Erinnerung an den Nationalsozialismus das deutsche Volk, das dadurch den großen Austausch widerstandslos über sich ergehen lasse. Der Täter von Magdeburg reproduzierte dieses Narrativ: So forderte er in einem seiner Postings lebenslange Haft für Angela Merkel als Strafe für ihren geheimen Plan, Europa zu islamisieren.1 Als Ex-Muslim sah er sich offenbar selbst als „immun“ gegen die rassistische Logik dieser Verschwörungstheorie, die jedoch nicht zwischen religiösen oder säkularen Überzeugungen unterscheidet, sondern ausschließlich anhand völkischer Kriterien urteilt.

In mehreren Posts bezog er sich positiv auf Alice Weidel von der AfD.
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In mehreren Posts bezog er sich positiv auf Alice Weidel von der AfD. ©Screenshot, X, aufgerufen am 23.12.2024
Auch Inhalte der rechtsextremen, deutschen Influencerin Naomi Seibt teilte der Täter mehrmals.
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Auch Inhalte der rechtsextremen, deutschen Influencerin Naomi Seibt teilte der Täter mehrmals. ©Screenshot, X, aufgenommen am 23.12.2024
Screenshot eines X-Posts vom Täter, in dem er Angela Merkel der Ausführung eines geheimen Plans zur Islamisierung Europas beschuldigte und lebenslange Haft für die Ex-Bundeskanzlerin forderte.
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Screenshot eines X-Posts vom Täter, in dem er Angela Merkel der Ausführung eines geheimen Plans zur Islamisierung Europas beschuldigte und lebenslange Haft für die Ex-Bundeskanzlerin forderte. ©Screenshot, X, aufgerufen am 23.12.2024

Die rassistische Mobilmachung: Mit SA-Parolen gegen Migration

Noch am selben Abend mobilisierten verschiedene rechtsextreme Organisationen wie „Die Heimat“, „Pro Chemnitz“ oder die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) für den 21.12.2024 nach Magdeburg. Am zentral gelegenen Hasselbachplatz kamen hunderte Rechtsextreme zusammen, angeblich um zu trauern. Mitglieder und Anähnge.innen der Partei „Die Heimat“ zeigten ein großes Banner mit der Aufschrift „Remigration“. Der Begriff der „Remigration“ ist dabei ein Euphemismus, der von der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ geprägt wurde: Gemeint ist die massenhafte Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund. Vor Ort sprach unter anderem auch der wegen schwerer Körperverletzung und Volksverhetzung verurteilte Rechtsextremist Thorsten Heise, der auf seinem Grundstück in Fretterode ein  Denkmal  für die SS-Panzerdivision Leibstandarte Adolf Hitler wieder errichtet hat. In Magdeburg heizte Heise die Menge an und reproduzierte offene Bezüge auf den Nationalsozialismus. So forderte er die Menge auf: "Wacht auf! Deutschland erwache endlich aus deinem bösen Traum, und Ihr, deutsche Jugend, werdet mit mir zusammen zum Sturm!"2 Die Aufforderung wurde von Teilen der Versammlung mit „Deutschland erwache“ erwidert – ein Kampfspruch der SA, der unter §86 des Strafgesetzbuches als verfassungsfeindlich fällt.

Heises Rede knüpfte explizit an das sogenannten „Sturmlied“ an, das 1920 vom nationalsozialistischen Dichter Dietrich Eckart verfasst wurde. Eckart wurde in der NS-Propagandazeitschrift „Die Mittelschule“ als Vorkämpfer der nationalsozialistischen Dichtkunst dargestellt und war zwischenzeitlich Herausgeber des Völkischen Beobachters.3 Hitler selbst zitiert Eckart in den Schlussworten von „Mein Kampf.“4 Dem 1922 als Lied vertonten Gedicht entstammt die von der Menge wiederholte Parole „Deutschland erwache!“, die ursprünglich auf einen Liedtext von Theodor Körner für preußische Freikorps aus dem Jahr 1813 zurückgeht. Im Sturmlied selbst wird zum Kampf gegen den inneren Fein aufgerufen, der im Propagandalied von Eckart als „Judas“ identifiziert wird.5 Wörtlich heißt es in der ersten Strophe:

„Läutet das Funken zu frühem Beginnen, Judas erscheint das Reich zu gewinnen. Läutet, dass blutig die Seile sich röten, rings lauter Martern und Brennen und Töten! Läutet Sturm, dass die Erde sich bäumt unter dem Donner der rettenden Rache.“

Der Antisemitismus war Kern der nationalsozialistischen Ideologie und kulminierte im industriellen Massenmord an den europäischen Jüd:innen. Auch für die neurechte Verschwörungstheorie vom „großen Austausch“ ist der Antisemitismus von zentraler Bedeutung: Während heute Bezeichnungen wie „Judas“ vermieden werden, zielen Begriffe wie „globale Eliten“ oder die Nennung prominenter Persönlichkeiten wie George Soros auf dieselbe antisemitische Logik. Diese Erzählungen beschuldigen eine angebliche Verschwörung, die europäischen Nationen durch „ethnische Vermischung“ zu schwächen, um sie leichter kontrollieren zu können. Die Regierung Deutschlands wird in diesem Bild wahlweise als willige, deutschenfeindlichen Handlanger der geheimen Eliten oder als unwissende Erfüllungsgehilfen eines geheimen Plans dargestellt. Folglich wurde die Innenministerin Nancy Faeser als Mittäterin ausgemacht, Bundeskanzler Olaf Scholz als Volksverräter diffamiert.

Magdeburg nach dem Anschlag

Während Bundeskanzler Olaf Scholz am 21.12.2024 persönlich an einer Gedenkveranstaltung in Magdeburg teilnahm, legten auch Vertreter:innen der AfD an der Johanniskirche Kränze nieder. Bei der Gedenkveranstaltung versuchte sich die Partei sichtlich von den radikalen Kadern von JN, Freie Sachsen etc. zu distanzieren. Doch trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz zur Kundgebung am Hasselbachplatz zeigte sich erneut die Strategie der extremen Rechten: Die radikalsten Teile der Szene und die AfD „marschieren getrennt, schlagen aber vereint“. Dieser Satz, ursprünglich dem preußischen General von Moltke zugeschrieben, wurde vom Kopf der österreichischen rechtsextremen Gruppe „Identitäre Bewegung“ als zentrale Taktik für den politischen Aufstieg der AfD interpretiert. Tatsächlich sind die ideologischen Grenzen zwischen den Gruppen längst verschwommen, wie das „Remigration“-Banner der JN eindrucksvoll verdeutlicht – ein Begriff, der inzwischen auch im Sprachgebrauch der AfD angekommen ist.

Mitglieder von "Die Heimat" (ehemals NPD) und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) zeigten auf dem Magdeburger Hasselbachplatz ein Banner mit der Aufschrift "Remigration".
Mitglieder von "Die Heimat" (ehemals NPD) und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) zeigten auf dem Magdeburger Hasselbachplatz ein Banner mit der Aufschrift "Remigration". ©Screenshot, Telegram, aufgenommen am 23.12.2024

Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sind viele Fragen offen. Weder gibt es ein genaues Profil des Täters oder seiner z.T. widersprüchlich anmutenden ideologischen Ausrichtung, noch ist die Frage der Verantwortung der Behörden geklärt. Die rechtsextreme Mobilmachung nach dem Anschlag nutzt gezielt den Schock und die Trauer, um eigene politische Vorstellungen zu propagieren, wie die unverhohlen SA-Huldigungen vom Magdeburger Hasselbachplatz zeigen. Dabei verdrängt die politische Instrumentalisierung den Raum für echte Trauer um die Opfer und das Leid ihrer Angehörigen – und macht das Gedenken selbst zum Schauplatz rechtsextremer Agitation.  

[1] Taleb Al Abdulmohsen: X.com, dort datiert 05.12.2024, URL: https://x.com/DrTalebJawad/status/1864692477019435419 (23.12.2024).

[2] KonLex09: Rechtsextremer „Trauermarsch“ - Rassismus und Antisemitismus. X.com, dort datiert 22.12.2024, URL: https://x.com/KonLex09/status/1870573754050564098 (23.12.2024).

[3] Josef Stolzing-Cerny: Dietrich Eckhart als Dichter und Kämpfer. In: Die Mittelschule (1938), H. 42, S. 468.

[4] Wilhelm Vogelpohl: Dietrich Eckhart zum Gedächtnis. In: Die Mittelschule (1934), H. 2, S. 17–19.

[5] Der Text des Sturmlieds kann in einer von der SA vorgetragenen Version auf der Homepage des Imperial War Museums nachvollzogen werden. Sturmlied. Imperial War Museum, URL: https://www.iwm.org.uk/collections/item/object/80033941 (23.12.2024).

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