Die Rolle der Schutzstaffel während des Aufstiegs des Nationalsozialismus
Die Schutzstaffel wurde nach dem Ende des Parteiverbots der NSDAP im April 1925 als eine Art Leibwache für Adolf Hitler gegründet. Sie stellte in der politisch umkämpften Weimarer Republik neben der SA den Saalschutz für Parteiveranstaltungen. Im Zuge der 1920er Jahre wuchs sie beträchtlich und gewann an Bedeutung, bevor sie ab den 1930er Jahren auch als parteiinterne Polizei fungierte.
Im Zuge der Machtübernahme differenzierte sich die SS in verschiedene Unterabteilungen aus. Unter anderem wurde die "Stabswache Berlin" gegründet, die ab September 1933 offiziell als Leibstandarte SS Adolf Hitler (LSSAH) agierte. Die Einheit wurde zum Teil aus "alten Kämpfern" aus der Münchener Zeit gestellt und war in Berlin-Lichterfelde kaserniert. Im Juni 1934 spielte sie eine zentrale Rolle in der sogenannten „Nacht der langen Messer“ bei der Ermordung der SA-Führung. Ab 1938 nahmen SS-Einheiten auch an militärischen Operationen, wie z.B. dem Einmarsch in Österreich, teil. Die Rolle der SS wandelte sich im Zuge des Machtausbaus von einer Prätorianergarde für den „Führer“ hin zu einer Doppelfunktion: Zum einen war sie eine Staat-im Staate-Organisation, die massiv an Verbrechen des NS-Regimes beteiligt war, zum anderen eine militärische Elite-Truppe neben der regulären Wehrmacht.
„Leibstandarte SS Adolf Hitler“ im beschaulichen Marienfels
Das Dorf Marienfels im Rhein-Lahn-Kreis im Taunus beherbergte im Winter 1939/1940 die „Leibstandarte SS Adolf Hitler“, noch vor dem sogenannten Westfeldzug. Im Zuge der militärischen Expansion des „Dritten Reichs“ gewann die Einheit immer mehr an militärischer Bedeutung und wurde ab 1942 in eine „Panzer-Division“ umgeformt. Die LSSHA war nachweislich an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt wie z.B. der Erschießung von Kriegsgefangenen in der Normandie oder dem Malmedy-Massaker von 1944.1 Darüber hinaus waren Teile der LSSAH an der Durchführung des Holocaust beteiligt, beispielsweise bei der Massenerschießungen von Jüd:innen am
Laut dem Lokalhistoriker Jan Brunner kam es in der Zeit der Stationierung der LSSAH im beschaulichen Marienfels zu freundschaftlichen Verbindungen zwischen Lokalbevölkerung und SS-Männern.2 Der spätere Kameradschaftsverband der Panzer-Division bat die Gemeinde 1971 um die Pacht einer kleinen Parzelle auf dem lokalen Friedhof über einen Zeitraum von 30 Jahren– einer Bitte, der der Bürgermeister Willi Debus anscheinend gern nachkam. Dieser war bereits von 1937 bis 1945 im Amt gewesen.3 Nach der Errichtung des Gedenksteins, auf dem offen besagte SS-Verbände glorifiziert wurden, entwickelte sich der Friedhof zu einer Pilgerstätte für ehemalige Kameraden und Neonazis, insbesondere am sogenannten Volkstrauertag. Nach dem Auslaufen des Pachtvertrages im Jahr 2001 verwilderte das Objekt Zusehens und wurde 2004 durch Unbekannte zerstört. Die Gemeine trug die Reste des Denkmals 2006 endgültig ab.
Thorsten Heise holt die Reste nach Fretterode
Nach vergeblichen Versuchen alter und neuer Kameraden zur Wiedererrichtung des Denkmals in Marienfels bzw. in Orten der Nachbargemeinden wurde durch Recherchen 2006 der Plan bekannt, wonach ehemalige SS-Angehörige das alte Denkmal an einem neuen Ort errichten wollten. Der damalige Thüringer NPD-Kader Torsten Heise bot hierfür sein Privatgelände in Fretterode an, wo es im Sommer 2006 wieder errichtet wurde.4 Optisch wurde das Original versucht zu replizieren. Seitdem stellt das Denkmal erneut einen rechtsextremen Wallfahrtsort dar und wird rege besucht von diversen Akteur:innen der Szene wie organisierten Neonazis, Landsmannschaften und anderen Geschichtsrevisionist:innen.
Glorifizierung und Geschichtsrevisionismus
Geschichtsrevisionist:innen führen gern ins Feld, die kämpfenden Verbände der SS seien abzugrenzen von den Totenkopf-Verbänden, die für ihre grausamen Methoden und Kaltblütigkeit bei der Führung der Konzentrations- und Vernichtungslager bekannt sind. Dem wäre entgegenzusetzen, dass das Bild der „sauberen Waffen-SS“ historisch absolut unhaltbar ist. Die LSSAH und andere Truppenteile waren durch ihre Schulung und den antrainierten, elitären Habitus deutlich weiter ideologisiert als die deutsche Wehrmacht.5 In der Folge waren Sie ohne zu zögern bereit sich an Massakern zu beteiligen und einen „Weltanschauungskrieg im Westen zu führen.“6 Eine Glorifizierung eben dieser Verbände ist offener Geschichtsrevisionismus. Der Zynismus den Opfern gegenüber und die Heroisierung der vermeintlich edlen Kämpfer hat bis heute in Fretterode eine Heimstätte.
1 Vgl. Peter Lieb: Militärische Elite? Die Panzerdivisionen von Waffen-SS und Wehrmacht in der Normandie 1944 im Vergleich. In: Jan Erik Schulte/Bernd Wegner/Peter Lieb (Hrsg.): Die Waffen-SS, Paderborn 2014 (Krieg in der Geschichte 74), hier S. 351.
2 Jan Brunner: Ortsgeschichte von Marienfels. Regionalgeschichte.net, dort datiert 30.07.2020, URL: https://www.regionalgeschichte.net/rhein-lahn/marienfels.html#cLL28 (08.08.2024).
3 Ebd.
4 Freistaat Thüringen: Verfassungsschutzbericht 2006, dort datiert 2006, S. 36.
5 Das soll nicht heißen, dass die Wehrmacht nicht ebenso an Kriegsverbrechen und Massenerschießungen von z.B. Jüd:innen beteiligt war.
6 Lieb: Militärische Elite? Die Panzerdivisionen von Waffen-SS und Wehrmacht in der Normandie 1944 im Vergleich, S. 353.