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»Arbeit macht frei« – CDU-Politiker kommentiert Facebook-Post mit NS-Parole

Unter einem Post der Partei Die Linke hat der CDU-Kommunalpolitiker Marco Walczak Mitte Oktober 2025 die Worte »Arbeit macht frei …« geschrieben. Die Losung ist durch seine Verwendung als Torinschrift an mehreren nationalsozialistischen Konzentrationslagern bekannt. Seine Rechtfertigung, unwissend gehandelt zu haben, ist ein Lehrstück für Geschichtsrevisionismus: die Relativierung eindeutiger NS-Symbolik durch behauptete Unkenntnis – und damit die voranschreitende Normalisierung von Nazi-Sprache in Politik und Gesellschaft.

Das Eingangstor ins Stammlager von Auschwitz begrüßte die Häftlinge mit dem zynischen Ausspruch "Arbeit macht frei."
Das Eingangstor des Stammlagers Auschwitz I begrüßte die Häftlinge mit dem Ausspruch "Arbeit macht frei." Das "B" steht auf dem Kopf: Wohl ein stiller Protest der polnischen Häfltinge, die den zynischen Ausspruch anbringen mussten. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 28.10.2025

Zynismus und Spott: Die Funktion der Parole im Nationalsozialismus

Der Torbogen am Eingang des wohl bekanntesten ehemaligen Konzentrationslagers trägt den Schriftzug »Arbeit macht frei«. Doch nicht nur in Auschwitz, sondern auch in vielen weiteren Konzentrationslagern ließ die SS den Leitspruch anbringen: in Dachau, Sachsenhausen, Flossenbürg, Theresienstadt und Groß-Rosen. Die inhaftierten Menschen sollten die Parole als Ansporn und Hoffnung auf Freiheit begreifen, sie sollten glauben, ihr Überleben liege in ihrer Hand: Wer nur vorbildlich und hart arbeite, könne wieder freikommen. Tatsächlich waren Freilassungen niemals vorgesehen. Die Realität hinter den KZ-Toren waren systematische Ausbeutung, psychologische Folter und Erniedrigung, Erschöpfung bis zum Tod, Mord.

Die Arbeit als wichtiges Element im Selbstbild der Nazis

Die Parole »Arbeit macht frei« spiegelt ein zentrales Element des nationalsozialistischen Selbstbildes wider: »Die Nationalsozialist:innen glaubten, dass das, was sie als Arbeit definierten, sie frei mache – von allem Schlechten, von allem Jüdischen.«1 Arbeit war im NS-Staat keine neutrale Tätigkeit, sondern eine völkisch-rassistische Kategorie: Die ›deutsche Arbeit‹, das heißt die Arbeit von Mitgliedern der ›Volksgemeinschaft‹ für den deutschen ›Volkskörper‹, wurde zur Tugend stilisiert. Ihr Gegenbild war antisemitisch konstruiert: Jüdische Menschen galten als ›raffgierig‹, als darauf bedacht, ihren eigenen Wohlstand zu mehren, als nicht solidarisch und als Parasiten, die sich am ›deutschen Volkskörper‹ zu ihrem eigenen Vorteil labten. Diese Dichotomie war grundlegend für die nationalsozialistische Weltanschauung: Wer ›deutsch‹ war und arbeitete, gehörte dazu. Wer als ›jüdisch‹ markiert wurde, konnte niemals dazugehören. Doch auch innerhalb der als ›deutsch‹ definierten Bevölkerung sorgte die Arbeitsideologie für brutale Ausgrenzung: Wer nicht zum Wohle der Gemeinschaft beitrug, seinen Körper also nicht durch Arbeit dem Staat zur Verfügung stellte, wurde als ›asozial‹ und ›arbeitsscheu‹ stigmatisiert. Daher gerieten nach der Machtübernahme der Nazis rasch Obdachlose und Bettler:innen ins Visier der Polizei; während der sogenannten »Bettlerrazzia« wurden zwischen dem 18. und 23. September 1933 zehntausende Menschen unter der Anschuldigung, zu betteln oder obdachlos zu sein, verfolgt und inhaftiert.2

Auch politisch andersdenkende Deutsche – etwa Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen und andere Oppositionelle –, die sich widerständisch zeigten und/oder gegen den NS-Staat agitierten, wurden verfolgt. Unter dem euphemistischen Leitspruch »Erziehung durch Arbeit« wurden sie ab 1933 in Konzentrations- und Arbeitslager eingesperrt und mussten schwerste körperliche Arbeit verrichten. Hier sollte Geist und Körper gebrochen werden; wer überlebte, war also sowohl psychisch als auch physisch zerstört, invalide und damit nach NS-Logik ohnehin unbrauchbar für die ›Volksgemeinschaft‹. Die angebliche ›Erziehung‹ führte daher selten zu Integration, sondern vielmehr zu Ausgrenzung und Tod.

Zu sehen ist ein Eisenes Lagertor. Über der Kleinen Tür in der Mitte steht "Arbeit macht frei" in metallenden Buchstaben.
Lagertor des Konzentrationslagers Dachau, vermutlich 1940. Das KZ Dachau war das erste Konzentrationslager der SS und wurde im März 1933 zunächst in einer ehemaligen Pulverfabrik eingerichtet. ©KZ-Gedenkstätte Dachau

»Arbeit macht frei«: Ein ›Holocaust Icon‹

Ruth Klüger (1931–2020) überlebte mehrere Konzentrationslager und erinnerte sich in ihren Memoiren an den Zynismus der Nazis:

»Jeder kennt heute den Spruch ›Arbeit macht frei‹ als Motto einer mörderischen Ironie. Es gab noch andere derartige Sprichwörter aus den Querbalken unserer Baracke. ›Reden ist Silber, Schweigen ist Gold‹ war eines. Noch besser war ›Leben und leben lassen‹. Ein früherer Transport, den es nicht mehr gab, hatte diese Sprüche anfertigen müssen. Ich starrte sie täglich an, angewidert von ihrem absoluten Wahrheitsanspruch, den diese Wirklichkeit als totale Lüge blossstellte.«3

Der lakonische Nebensatz – »Ein früherer Transport, den es nicht mehr gab« – offenbart die ganze Perfidie: Die Menschen, die gezwungen wurden, diese verhöhnenden Sprüche anzufertigen, waren bereits ermordet worden. »Leben und leben lassen« – während sie systematisch vernichtet wurden. »Arbeit macht frei« – während die Arbeit sie tötete. Die Parolen waren kalkulierte Verhöhnung und psychologische Folter.

Und Klüger schrieb: »Jeder kennt heute den Spruch.« Ihre Memoiren erschienen im Jahr 1992. Diese Beobachtung gibt einen Hinweis darauf, dass die Parole auch vor über 30 Jahren schon fest im kollektiven Gedächtnis verankert war. Denn sie ist kein nebulöses historisches Detail, sondern ein feststehendes ›Holocaust Icon‹! Darunter versteht man Dinge, zum Beispiel Viehwaggons, Baracken, gestreifte Häftlingsuniformen u.v.m., die sogleich mit dem systematischen Massenmord an den Jüdinnen und Juden assoziiert werden und so symbolischen Charakter erlangt haben: »Diese Objekte haben über Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg eine visuelle Sprache geschaffen, die überall verstanden wird, und selbst Menschen, die ein eher begrenztes geschichtliches Wissen haben, verbinden den ›Arbeit macht frei‹-Schriftzug mit Auschwitz und dem Holocaust.«4

Geschichtsrevisionismus durch (behauptete) Unwissenheit

Nach massiver öffentlicher Kritik bezeichnete der CDU-Kommunalpolitiker Marco Walczak seinen Kommentar als »schlimmen Fauxpas« und behauptete, er habe »unwissentlich der geschichtlichen Bedeutung« gehandelt.5 Er erklärte: »Es besteht und bestand kein Zusammenhang zum NS-Regime. Ich habe lediglich darauf hinweisen wollen, dass arbeitende Menschen keine Sanktionen zu befürchten haben und somit frei in ihren Entscheidungen sind.«6 

Walzaks Rechtfertigung ist entweder ein Zeugnis erschreckender historischer Ignoranz – was man als für einen Mandatsträger disqualifizierend bewerten könnte – oder sie ist bewusste Geschichtsverfälschung. Denn diese Verteidigungsstrategie folgt einem geschichtsrevisionistischen Muster, das sich in drei Aspekte gliedern lässt:

1. Individualisierung und Kontextentzug

Der Kommentar wird als isolierter persönlicher Fehler präsentiert, losgelöst von jeder historischen Bedeutung. Die NS-Parole wird ihrer Geschichte beraubt und zu einer ›eigentlich harmlosen‹ Redewendung umgedeutet. Das systematische Verbrechen wird zum individuellen Versehen erklärt – als könne man die Bedeutung einfach ignorieren oder neu erfinden.

2. Umdeutung und semantische Überschreibung

Walczak definiert die Bedeutung aktiv um: Nicht mehr ›KZ-Terror und Massenmord‹, sondern ›Freiheit von Sanktionen beim Bürgergeld‹. Die historische Bedeutung wird überschrieben, als sei sie verhandelbar. Diese Strategie verschiebt Schritt für Schritt, was sagbar ist. Wenn ein Kommunalpolitiker behaupten kann, »Arbeit macht frei« habe »keinen Zusammenhang zum NS-Regime«, dann wird NS-Vokabular normalisiert und der Boden bereitet für weitere sprachliche Grenzverschiebungen.

3. Täter-Opfer-Umkehr

Walczak beklagte, er werde seit Wochen »aus dem linken Spektrum angefeindet«, daher habe für ihn nun die »Abwehr möglicher Konsequenzen aus dem linken Spektrum« Priorität. Hintergrund dieser ›Anfeindungen‹ sei, »dass er ein Dorffest mitorganisiere, bei dem in diesem Jahr zum ersten Mal auch der AfD die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich mit einem Infostand zu präsentieren«.7

Hier wird aus dem Kommunalpolitiker, der eine NS-Parole verwendete, das Opfer angeblicher ›linker Verfolgung‹. Die Kooperation mit der rechtsextremen AfD hingegen wird als demokratisches Geschehen dargestellt.

Weiter erklärte Walczak: »Langsam aber sicher macht Politik und ehrenamtliches Engagement echt keinen Spaß mehr, weil man mehr und mehr ins Visier der politischen Mitbewerber gerät und scheinbar nur noch ein Schwarz-Weiß Denken vorherrscht.«8 Hier wird also die Kritik am Gebrauch von NS-Vokabular als »Schwarz-Weiß-Denken« diffamiert, als übertriebene political correctness. Wer auf die historische Bedeutung hinweist, wird also zum/zur Aggressor:in erklärt.

Fazit: Die Normalisierung des Unsagbaren

Dieses Muster ist gefährlich, weil es funktioniert: Es verschiebt die Debatte weg von der NS-Parole hin zur Frage, ob Kritik ›überzogen‹ sei. Es normalisiert die Verwendung von Holocaust-Symbolik als ›Meinungsfreiheit‹ und diskreditiert historisches Bewusstsein als ideologische Verbohrtheit.

Geschichtsrevisionismus beginnt nicht mit der offenen Holocaust-Leugnung, sondern mit solchen scheinbar harmlosen Verschiebungen. Wenn NS-Parolen als ›Missverständnisse‹ durchgehen, dann verschiebt sich Schritt für Schritt, was sagbar ist. Die Strategie der behaupteten Unwissenheit ist dabei besonders perfide: Niemand kann beweisen, was jemand wusste. Doch genau deshalb müssen demokratische Parteien und die Gesellschaft klare Grenzen ziehen. Was nötig wäre: Konsequenzen statt Verwarnungen,9 gestärkte politische Bildung – auch für Politiker:innen –, gesellschaftliche Wachsamkeit. Denn eines ist klar: »Arbeit macht frei« bedeutet Auschwitz, bedeutet Massenmord, bedeutet Verhöhnung der Opfer. Diese Bedeutung ist nicht verhandelbar. Wer sie relativiert, betreibt Geschichtsrevisionismus – und bereitet den Boden für weitere Grenzüberschreitungen.

 

 

[Autorin: Berit Kö]

Quellenverzeichnis

[1] Nikolas Lelle: »Arbeit macht frei«. Zum Zusammenhang nationalsozialistischer Fremd- und Selbstbilder mit Praktiken der Verfolgung und Vernichtung, in: Im Zugriff von Fürsorge und Polizei. Erfahrungen sozialrassistischer Verfolgung im Nationalsozialismus (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung 5), Göttingen 2024, S. 13–23, hier S. 13.

[2] Ebd., S. 15.

[3] Ruth Klüger: Weiter leben. Eine Jugend, Göttingen 1992, S. 119.

[4] Susanne Siegert: Gedenken neu denken. Wie sich unser Erinnern an den Holocaust verändern muss, München 2025, S. 76

[5] O.A.: CDU-Lokalpolitiker kommentiert auf Facebook mit NS-Parole, in: Spiegel, URL: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/niedersachsen-cdu-lokalpolitiker-kommentiert-auf-facebook-mit-ns-parole-a-39f9e703-6edd-46f7-9a22-e6bf8644ff98 (27.10.2025).

[6] Johannes Tapken: CDU-Politiker aus Seevetal sorgt mit Kommentar „Arbeit macht frei“ für Empörung, in: Seevetal aktuell, URL: https://seevetal-aktuell.de/2025/10/20/cdu-politiker-aus-seevetal-sorgt-mit-kommentar-arbeit-macht-frei-fuer-empoerung/ (27.10.2025).

[7] O.A.: CDU-Kommunalpolitiker kommentiert Linke-Post mit NS-Parole, in: Mindener Tageblatt, URL https://www.mt.de/regionales/niedersachsen/CDU-Kommunalpolitiker-kommentiert-Linke-Post-mit-NS-Parole-24199347.html (27.10.2025).

[8] Johannes Tapken: CDU-Politiker aus Seevetal sorgt mit Kommentar „Arbeit macht frei“ für Empörung.

[9] CDU Seevetal: Stellungnahme zum Fall Marco Walczak, 23. Oktober 2025, URL: https://cdu-seevetal.de/uncategorized/stellungnahme_walczak/ (27.10.2025).


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