Die Rede vom ‚objektiven‘ Volksbegriff als wissenschaftliche Maskerade
Kaufner spricht explizit vom „deutsche[n] Volk als objektive Gruppe“, die sich „Abstammung, Sprachverwandtschaft, Siedlungsraum“ definieren lasse. Diese scheinbar nüchterne wissenschaftliche Kategorisierung stellt ein klassisches Muster rechtsextremer Argumentation dar: Man gibt politischer Ideologie einen naturwissenschaftlichen Anstrich, um sie unangreifbar zu machen. Rechtsextreme Akteur:innen benötigen diese wissenschaftliche Tarnung, weil sie ihre identitäre Ideologie als naturgegeben darstellen müssen, um ihr politischen Zwang zu verleihen. Wer behauptet, ‚das Volk‘ sei objektiv bestimmt, macht Zugehörigkeit unverhandelbar und entzieht sie jeder demokratischen Auseinandersetzung. So wird aus einer politisch motivierten Grenzziehung ein scheinbar biologisches Gesetz, das man nur ‚anerkennen‘ müsse. Der Verweis auf Wissenschaft dient daher vor allem dazu, Kritik zu delegitimieren und Ausschluss als sachliche Notwendigkeit erscheinen zu lassen.
Der Kategorienfehler: Von biologischer Verwandtschaft zu kultureller Kontinuität
Selbst wenn DNA-Verwandtschaften zwischen bronzezeitlichen Skeletten und heutigen Menschen nachweisbar sind, begeht Kaufner einen fundamentalen Kategorienfehler: Er springt von biologischer Verwandtschaft zu kultureller Kontinuität, als wäre das eine die logische Folge des anderen. Doch was soll den Mann aus dem Harz heute kulturell mit seinen Vorfahr:innen verbinden? Setzte man die Menschen der Bronzezeit in die Gegenwart – sie würden nichts wiedererkennen, weder Sprache noch Religion, weder Lebens- noch moderne Denkweise.
Der Kulturbegriff ist im rechtsextremen Spektrum genauso Kampfbegriff wie die Imagination eines homogenen Volkes. Rechtsextreme Akteur:innen tun gern so, als ließe sich Kultur klar abgrenzen, bewahren oder sogar vererben – dabei ist der Begriff selbst unscharf, dynamisch und historisch wandelbar. Indem Kaufner Kultur dennoch als etwas Homogenes und Überzeitliches darstellt, verwandelt er sie in ein politisches Werkzeug, in ein vermeintlich festes Identitätsmerkmal, mit dem Zugehörigkeit definiert und Ausschluss legitimiert werden soll.
Die ‚indigene‘ Bevölkerung als Opfermythos
Besonders perfide ist Kaufners Verwendung des Begriffs ‚indigen‘, denn er hat eine spezifische Geschichte und Bedeutung: Er entstand im Kontext des Kolonialismus und bezeichnet Bevölkerungsgruppen, die durch europäische Expansion entrechtet, vertrieben und/oder dezimiert wurden. Diese Gruppen kämpfen bis heute um Anerkennung, Landrechte und kulturelle Selbstbestimmung. Sie sind oder waren Minderheiten in Staaten, die von Siedlergesellschaften dominiert werden.
Wenn Kaufner nun die deutsche Mehrheitsbevölkerung als ‚indigen‘ bezeichnet und beklagt, dass diese Indigenität geleugnet werde, eignet er sich einen Begriff des antikolonialen Widerstands für eine Bevölkerungsgruppe an, die selbst koloniale Geschichte hat – aber Deutschland war Kolonialmacht, nicht kolonisiertes Gebiet. Die deutschsprachige Bevölkerung stellt die absolute Mehrheit im eigenen Nationalstaat und kontrolliert alle politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen. Von Marginalisierung kann keine Rede sein. Diese Begriffsverschiebung ist jedoch kein Versehen, sondern Strategie: Kaufner konstruiert ein Narrativ, in dem die deutsche Mehrheitsbevölkerung zur bedrohten Gruppe wird – bedroht nicht durch koloniale Eroberer, sondern durch Migration und multikulturelle Gesellschaftskonzepte. Er suggeriert, dass den ‚eigentlichen‘ Deutschen ihr angestammtes Recht verweigert werde, wenn Zugewanderte die gleichen staatsbürgerlichen Rechte erhalten. Die Universitäten und öffentlich-rechtlichen Medien, die er als Leugner:innen der deutschen Indigenität anprangert, werden zu Komplizen einer vermeintlichen Entrechtung stilisiert.
Die historische Kontinuität der völkischen Ideologie
Kaufner bedient sich des Begriffs der Autochthonie. Er meint damit, ‚die Volksdeutschen‘ seien ‚eingeboren‘, ‚ureingesessen‘.1 Ein autochthones Volk sei nicht nur zuerst dagewesen, sondern durch die jahrtausendelange Verbindung mit seinem Boden auch biologisch und kulturell einzigartig geprägt. Diese mystische Einheit von „Blut und Boden“ wurde im Nationalsozialismus zur Grundlage völkischer Überlegenheitsfantasien. So suchte etwa die SS-Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. obsessiv nach Beweisen für die germanische Urgeschichte, um die Überlegenheit der ‚arischen Rasse‘ zu belegen und territoriale Ansprüche zu legitimieren. Kaufners Bezug „3000 Jahre deutsche Geschichte“, die im NS-Staat als „Dimension der Geschichtswissenschaft“ gegolten habe, zielt genau in diese Richtung: Tatsächlich war die Konstruktion einer jahrtausendelangen germanischen Kontinuität ein Kernbestandteil der NS-Propaganda, bereits Schulbücher präsentierten eine lineare Entwicklung von ‚den Germanen‘ bis zum „Dritten Reich“ als Vollendung deutscher Geschichte – dass Kaufner diese nationalsozialistische Selbstbezeichnung ohne Anführungszeichen nutzt, sich also nicht zum Begriff distanziert, ist kein Versehen, sondern bewusste Reproduktion dieser propagandistischen Geschichtskonstruktion. Wenn Kaufner nun beklagt, dass diese „3000 Jahre deutsche Geschichte“ nach 1945 „natürlich verlacht wurde“, stellt er die wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Geschichtsmythen als ungerechtfertigte Diffamierung dar. Er verschweigt, wozu diese Mythen dienten: zur Legitimation von Eroberungskriegen, zur Begründung der ‚Lebensraum‘-Ideologie, zur Rechtfertigung des Massenmords an all jenen, die nicht zur imaginierten ‚Volksgemeinschaft‘ gehörten.
Die Ewigkeitsklausel als Feindbild völkischer Ideologie
Kaufners Kritik an der Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes macht seine Agenda deutlich. Diese schützt die Menschenwürde und die demokratische Grundordnung vor Änderungen – sie ist die verfassungsrechtliche Lehre aus dem Nationalsozialismus, wo ein völkisch definiertes ‚Deutschtum‘ zur Grundlage von Entrechtung und Massenmord wurde. Wenn Kaufner diese Klausel als Problem darstellt und einen „nüchternen Umgang mit der Vergangenheit“ fordert, meint er damit: Die Rückkehr zu einem Staatsverständnis, in dem Abstammung über Zugehörigkeit entscheidet. Die Konstruktion der deutschen Bevölkerung als ‚indigene‘ Opfergruppe erfüllt somit mehrere ideologische Funktionen: Sie legitimiert Sonderrechte für ‚Abstammungsdeutsche‘, delegitimiert die Gleichberechtigung von Zugewanderten und ihrer Nachkommen und sie immunisiert gegen den Vorwurf des Rassismus – schließlich kämpfe man ja nur für die Rechte einer ‚unterdrückten indigenen Bevölkerung‘. Dass diese Bevölkerung in Wahrheit die privilegierte Mehrheit darstellt, wird durch die mythische Überhöhung verschleiert.
Fazit: Die Entlarvung des mythischen Volksbegriffs
Die Analyse von Kaufners Tweet zeigt: Der vermeintlich ‚objektive‘ Volksbegriff der extremen Rechten ist nicht wissenschaftlich fundiert, sondern vielmehr ein mythisches Konstrukt, das politische Herrschaftsansprüche naturalisieren soll. Wenn Kaufner heute DNA-Analysen instrumentalisiert wie NS-‚Rassenforscher‘ einst vermessene Schädel, so ändert sich nur die Methode, nicht das Grundmuster: der Versuch, aus biologischen Zufälligkeiten politische Hierarchien abzuleiten. Das Problem bleibt das gleiche: Die Wissenschaften, auf die sich Rechtsextreme berufen, geben ihren Deutungen keinerlei Rückhalt, denn weder Genetik noch Sprachwissenschaft oder Archäologie können eine klar abgrenzbare, über Jahrtausende stabile ‚Volksgruppe‘ mit einem spezifischen kulturellen Erbe nachweisen.
Was sie stattdessen zeigen, ist das genaue Gegenteil: permanente Migration, kultureller Austausch, ständige Transformation. Die „3000-jährige Familiengeschichte“,2 die Kaufner feiert, ist eine nachträgliche Konstruktion, eine Projektion, die aus zufälliger biologischer Verwandtschaft ein politisches Argument schmiedet. Der Begriff der „Autochthonie“ entlarvt dabei die mythische Dimension seines Denkens. Kaufner suggeriert, ‚die Deutschen‘ seien nicht einfach in Mitteleuropa ansässig, sondern gleichsam aus diesem Boden erwachsen – eine organische Einheit, die nun durch Migration bedroht werde. Aus historischer Zufälligkeit wird so ein naturhaftes Schicksal, aus politischen Forderungen werden Naturgesetze. Wer diese quasireligiöse Ursprungserzählung hinterfragt, wird als Leugner:in der Natur selbst diffamiert. Rechtsextreme brauchen diese mythischen Überhöhungen, weil ihre politischen Forderungen ohne sie jeglicher Legitimation entbehren würden. Nur wenn man an eine jahrtausendealte, objektive Volksgemeinschaft glaubt, lassen sich Sonderrechte für ‚Abstammungsdeutsche‘ fordern. Nur wenn man das ‚Volk‘ als bedrohte Einheit inszeniert, können radikale ‚Rettungsmaßnahmen‘ gerechtfertigt werden. Nur wenn Geschichte zur geraden Linie von der Bronzezeit bis heute wird, kann Migration als Bruch mit einer ewigen Ordnung erscheinen.
[Autorin: Berit Kö]
[1] Christoph Kohl: Autochthonie, in: Martin Sabrow/Achim Saupe (Hg.): Handbuch Historische Authentizität, Göttingen 2022, S. 50–57, hier S. 50.
[2] Corinna Perrevoort: Meine Familie lebt seit 3000 Jahren in unserem Dorf. Sensationelle DNA-Spuren entdeckt, in: Bild Zeitung, 9. November 2025, URL: https://www.bild.de/regional/niedersachsen/dna-fund-meine-familie-lebt-seit-3000-jahren-in-unserem-dorf-68e61d99baad99385c954088 (17.11.2025).