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Geschichts-revisionismus auf dem Waldfriedhof Halbe

Der Waldfriedhof im brandenburgischen Halbe, ein bedeutender Erinnerungsort an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, gerät seit den 1990er Jahren immer wieder ins Visier rechtsextremer Kreise. Im Dezember 2024 wurde der Friedhof erneut für eine ideologische Vereinnahmung instrumentalisiert: Aktivist:innen schmückten die Gräber mit tausenden LED-Lichtern, um der „gefallenen Helden“ der Kesselschlacht von Halbe zu gedenken. Die Entfernung dieser Dekoration durch die Polizei löste eine orchestrierte Empörungskampagne aus, angeheizt durch rechtsextreme Medien und unterstützt von der AfD.

Der Waldfriedhof Halbe liegt im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald und ist eine der größten Kriegsgräberstätten in Deutschland.
Der Waldfriedhof Halbe liegt im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald und ist eine der größten Kriegsgräberstätten in Deutschland. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 02.01.2024

Hintergrund

Die Kesselschlacht von Halbe zählt zu den letzten und verlustreichsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs in Europa. Mitte April 1945 begann die Rote Armee ihren Großangriff auf Berlin und schloss während dieser Offensive am 25. April einen gewaltigen Kessel um die Region Halbe und Lübben. Rund 200.000 deutsche Soldaten der 9. Armee und der 4. Panzerarmee unter General Theodor Busse sowie tausende Zivilist:innen wurden eingeschlossen. Obwohl die Rote Armee den Eingekesselten die Kapitulation anbot, lehnte General Busse diese ab. Die nun eingekesselte 9. Armee sollte sich auf Hitlers Befehl hin mit der von der Elbe kommenden 12. Armee unter General Walther Wenck vereinigen, um weiter nach Berlin vorzustoßen und die Rote Armee zurückzuschlagen. Die unerfahrenen und schlecht ausgebildeten Soldaten der 12. Armee waren jedoch nicht in der Lage, diesen Befehl auszuführen. Auch die Versuche von SS-Verbänden von Norden her durch die sowjetischen Linien zu brechen, scheiterten.

Das Unterfangen, bis nach Berlin vorzustoßen, schien damit in weiter Ferne. Doch statt sich den Sowjets zu ergeben, fasste General Busse offenbar einen anderen Entschluss. Nach mehreren gescheiterten Anläufen gelang es ihm am 1. Mai mit etwa 25.000 Soldaten und 5.000 Zivilist:innen, den Kessel zu durchbrechen und sich westwärts zur Elbe durchzuschlagen. Das Ziel war Tangermünde, um dort in die aussichtsreichere Kriegsgefangenschaft der Amerikaner zu gelangen. Der Großteil der eingeschlossenen Truppen – rund 120.000 Soldaten – geriet jedoch in sowjetische Gefangenschaft.1 Die Ausbruchsversuche aus dem Kessel führten zu enormen Verlusten, deren genaue Zahl bis heute schwer festzustellen ist, da immer noch Leichen in Brandenburg geborgen werden. Der Historiker Gerd-Ulrich Herrmann schätzt, dass etwa 20.000 Rotarmisten, 30.000 deutsche Soldaten und 5.000 Zivilist:innen ihr Leben verloren.2

Die Leichen der Opfer wurden zunächst provisorisch von Anwohner:innen, deutschen Kriegsgefangenen und sowjetischen Soldaten bestattet. 1951 wurde der Waldfriedhof Halbe als zentrale Gedenkstätte eingerichtet. Neben den Toten der Kesselschlacht fanden dort auch hingerichtete Wehrmachtsdeserteure, umgekommene sowjetische Zwangsarbeiter:innen sowie umgebettete Tote aus dem sowjetischen Speziallager 5 in Ketschendorf ihre letzte Ruhe. Bis heute wurden über 28.000 Opfer dort bestattet. Der Waldfriedhof Halbe ist nicht nur eine Ruhestätte, sondern auch ein Ort der Mahnung und Versöhnung. Seit 2001 kümmert sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge um die Pflege des Friedhofs. Auf dem Gelände wurde im selben Jahr die Skulptur „Trauernde“ des russischen Bildhauers Sergej Schtscherbakow enthüllt. Das Aufstellen der Skulptur geht auf eine Initiative zweier ehemaliger deutscher bzw. sowjetischer Soldaten zurück, die sich 1945 im Kessel von Halbe gegenüberstanden und ein Zeichen für deutsch-russische Verständigung und Frieden setzen wollten.3

Rechtsextreme Vereinnahmung

Parallel zur Verwirklichung des Soldatenfriedhofs Halbe als Gedenkort und Mahnmal wurde er seit den 1990er Jahren allerdings auch zu einem regelrechten Wallfahrtsort für die rechtsextreme Szene. Regelmäßig versammelten sich neonazistische Aktivist:innen um vor Ort den „gefallenen Helden“ zu gedenken. Die rechte Szene bezog sich damit unmittelbar auf das nationalsozialistische Heldengedenken. Das Land Brandenburg sah sich gezwungen zu reagieren und änderte 2006 sogar das Versammlungsgesetz, um die Aufmärsche zu verhindern.4 Auch in jüngerer Zeit versuchten rechtsextreme Akteur:innen, den Soldatenfriedhof geschichtsrevisionistisch zu instrumentalisieren. Dabei wichen die Aktivist:innen deutlich von der martialischen Optik früherer Aufmärsche ab. Statt aggressivem Auftreten drapierten sie kleine LED-Lichter und Kränze. Die Außenwirkung soll ein harmloses Gedenken suggerieren, das geradezu unpolitisch daherkommt. So auch im Dezember 2024: In Anlehnung an die heidnische Tradition der Wintersonnenwende, die auch im NS kultiviert wurde, platzierten die Aktivist:innen am 21. Dezember über 5.000 LED-Lichter an den (deutschen) Gräbern in Halbe. Zur Feier der Aktion teilten die Akteur:innen in ihrem Telegram-Kanal ein Gedicht von Thilo Scheller aus dem Jahr 1939. Scheller war Reichsarbeitsdienstführer und Inhaber des Herman-Löns-Preises 1943.5 Das Gedicht selbst ist als Weihnachtsgedicht getarnt, strotzt aber nur vor soldatischem Heldentum und völkischer Agitation. Neben dem Beitrag eines NS-Dichters teilten die Aktivist:innen auch historische NS-Propaganda, die so gar nicht zur harmlosen Selbstinszenierung passt.

Im Telegram-Kanal "Waldfriedhof Halbe", der mutmaßlich von den Organisator:innen der Aktion betrieben wird, wurde am 24. Dezember ein Gedicht des Nationalsozialisten Thilo Scheller aus dem Jahr 1939 geteilt.
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Im Telegram-Kanal "Waldfriedhof Halbe", der mutmaßlich von den Organisator:innen der Aktion betrieben wird, wurde am 24. Dezember ein Gedicht des Nationalsozialisten Thilo Scheller aus dem Jahr 1939 geteilt. ©Screenshot, Telegram, aufgerufen am 02.01.2024
Am selben Tag wurde auch dieses Bild mit der Unterschrift "Frohe Weihnachten" geteilt.
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Am selben Tag wurde auch dieses Bild mit der Unterschrift "Frohe Weihnachten" geteilt. ©Screenshot, Telegram, aufgerufen am 02.01.2024
Tatsächlich handelt es sich dabei aber um ein leicht bearbeitetes Bild aus der NS-Propaganda-Zeitschrift "Frauen-Warte" aus dem Jahr 1943. Der obere Bildrand wurde offenbar retuschiert, um den nationalsozialistischen Ursprung zu kaschieren.
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Tatsächlich handelt es sich dabei aber um ein leicht bearbeitetes Bild aus der NS-Propaganda-Zeitschrift "Frauen-Warte" aus dem Jahr 1943. Der obere Bildrand wurde offenbar retuschiert, um den nationalsozialistischen Ursprung zu kaschieren. ©thirdreicharts.com, aufgerufen am 02.01.2024

Nachdem die Akteur:innen am 21. Dezember die LED-Lichter vor Ort drapiert hatten, räumte die lokale Polizei die Beleuchtungsmittel am 27. Dezember vollständig ab und warf sie in einen Container auf dem Friedhof. Die Empörung der Szene war groß, auch angesichts der Tatsache, dass es für die Räumung scheinbar keine rechtliche Grundlage gab. Das Platzieren der Lichter verstieß offenbar nicht gegen das brandenburgische Versammlungsgesetz. Die Polizei begründete ihr Vorgehen im Nachgang mit der Mobilisierung der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Soldatenfriedhof und rechnete offenbar alle Lichter den „Die Heimat“-Aktivist:innen zu. Wenige Tage später entschuldigte sich die Polizei bei den vermeintlich unpolitischen Akteur:innen vom "Waldfriedhof" und bot ihnen die Rückgabe der Kerzen an.6

Rechte Skandalisierung

Die lokalen Aktivist:innen erhielten zügig Unterstützung aus der Szene. Vor allem das rechtsextreme Compact-Magazin nutzte die Gelegenheit zur Skandalisierung des Polizeieinsatzes. Der Neonazi Michael Brück bezeichnete die Räumung der Lichter in einem Online-Beitrag des Magazins als „Schande von Halbe“ und sprach von einem „würdelosen Schauspiel“. Er forderte eine vollständige Aufklärung sowie „disziplinarische Konsequenzen“ für die beteiligten Polizeibeamten.7 Gleichzeitig vermarktete Compact die Situation, um revisionistische Propaganda zu verbreiten: Eine Sondermünze für die „Deutschen Ostgebiete“ – Schlesien, Pommern, Sudetenland und Ostpreußen – wurde prominent beworben. Das revisionistische Silberstück kann im Onlineshop des Magazins für 74,95 Euro erworben werden.

Doch nicht nur Compact versuchte, (politisches) Kapital aus der Situation zu schlagen. Auch die AfD nutzte die Ereignisse, um sich öffentlichkeitswirksam zu positionieren. Bereits am 29. Dezember 2024 deutete der brandenburgische Landesvorsitzende René Springer den Polizeieinsatz als „Angriff auf das abendländische Erbe“ um.8 Für den Neujahrstag am 1. Januar 2025 rief die Landes-AfD zu einer erneuten Aktion auf dem Soldatenfriedhof Halbe auf. Christoph Berndt, Spitzenkandidat der Partei und Fraktionsvorstizender, verkündete: „Wir bringen die schändliche Grabberäumung von Halbe in Ordnung!“ Neben Berndt versammelten sich zahlreiche Mitglieder der rechtsextremen „Freien Sachsen“ sowie andere neonazistische Akteure, um gemeinsam LED-Lichter und Kränze an den Soldatengräbern niederzulegen.

Christoph Berndt, Vorsitzender der Brandenburger AfD, rief für den Neujahrstag 2025 zu einer neuerlichen Grablichtniederlegung auf.
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Christoph Berndt, Vorsitzender der Brandenburger AfD, rief für den Neujahrstag 2025 zu einer neuerlichen Grablichtniederlegung auf. ©Screenshot, Telegram, aufgerufen am 02.01.2024
Christoph Berndts Besuch vor Ort in Halbe wurde in Szene gesetzt und fotografisch dokumentiert. Die Partei machte mit dieser Aktion erneut deutlich, dass sie sich als parlamentarischer Arm des Geschichtsrevisionismus versteht.
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Christoph Berndts Besuch vor Ort in Halbe wurde in Szene gesetzt und fotografisch dokumentiert. Die Partei machte mit dieser Aktion erneut deutlich, dass sie sich als parlamentarischer Arm des Geschichtsrevisionismus versteht. ©Screenshot, Telegram, aufgerufen am 02.01.2025
Das rechte Magazin Compact nutzte die Situation für die Vermarktung ihrer geschichtsrevisionistischen Silbermünze, die für 74,95€ im Onlineshop des Magazins erworben werden kann.
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Das rechte Magazin Compact nutzte die Situation für die Vermarktung ihrer geschichtsrevisionistischen Silbermünze, die für 74,95€ im Onlineshop des Magazins erworben werden kann. ©Screenshot, compact-shop.de, aufgerufen am 02.01.2024

Einordnung

Die erneute Instrumentalisierung des Soldatenfriedhofs in Halbe durch rechtsextreme Akteur:innen unterstreicht die besorgniserregende Gefahr des Geschichtsrevisionismus. Unter dem Deckmantel vermeintlich unpolitischer Gedenkaktionen versuchen rechte Gruppierungen, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren und eine Täter-Opfer-Umkehr zu inszenieren. Die Kämpfe um den Kessel von Halbe waren weder heroisch noch strategisch sinnvoll. Sie hatten keinen Einfluss auf die bereits auf der Konferenz von Jalta festgelegten Grenzziehungen und dienten primär dem Ziel, der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen – nicht dem Schutz von Zivilist:innen. Der verantwortliche General Busse lehnte ein Kapitulationsangebot der Sowjets ab und opferte so zehntausende von Leben, um eine Gefangenschaft in amerikanischen Lagern zu erreichen. Diese Entscheidung spiegelte nicht nur die Angst vieler Wehrmachtsangehöriger vor Vergeltungsmaßnahmen wider, die in den von den Deutschen begangenen Verbrechen an Millionen von sowjetischen Soldaten und Zivilist:innen wurzelte, sondern auch die jahrelange Indoktrination durch antisowjetische NS-Propaganda. Gleichzeitig verstärkten Berichte über tatsächliche sowjetische Kriegsverbrechen diese Furcht.

Die Verklärung der Opfer als „Helden“ entzieht die Ereignisse ihrem historischen Kontext. Sie ignoriert nicht nur die systematischen Verbrechen der Wehrmacht gegen sowjetische Soldaten und Zivilist:innen, sondern betont einseitig deutsches Leid. Solche Darstellungen dienen nicht der Erinnerung oder Aufklärung, sondern dem Zweck, nationalistische und völkische Ideologien zu legitimieren. Das scheinbar harmlose „Gedenken an die Vorfahren“ zielt auf eine Trennung der Ideologie des Nationalsozialismus von seiner politischen Praxis ab, zu der ganz zentral auch der Eroberungs- und Vernichtungskrieg gehört hat. Mit dieser Entpolitisierung des Krieges und seiner Handelnden soll eine unbeschwerte Identifizierung mit der deutschen Vergangenheit ermöglicht werden, die nur heroische Soldaten und unschuldige Opfer, aber keine Verbrecher und Täter kennt.

[1] Katrin Rautenberg/Erardo Rautenberg: Rechtsextremisten in  Halbe – Eine große Herausforderung für alle Demokraten! 2006, S. 8.

[2] Der Kessel von Halbe. „Bloß schnell nach Westen“. In: Militär & Geschichte 2023 (2023), H. 3, S. 8–21.

[3] Rautenberg, Rautenberg: Rechtsextremisten in  Halbe – Eine große Herausforderung für alle Demokraten!, 2006, S. 10.

[4] Ebd., S. 6.

[5] Thilo Scheller. In: Der Spiegel (1958), H. 34.

[6] Frank Pawlowski: Waldfriedhof Halbe – deshalb entfernte die Polizei Tausende Kerzen. In: Märkische Allgemeine Zeitung (2024), Dahme-Spreewald.

[7] Michael Brück: Kerzen gegen das Unrecht: Am Neujahrstag nach Halbe. In: Compact (2024).

[8] Rene Springer: „Entfernung von Grablichtern grenzt an Kulturbruch“. AfD Landesverband Brandenburg, dort datiert 29.12.2024, URL: https://us20.campaign-archive.com/?u=6b858a2e407ecdfe2843457e9&id=abc7710ab3 (02.01.2025).

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