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Hohe Schrecke: Wandern mit Wehrwolf und Wolfsangel?

Im Nordosten Thüringens gibt es ein wunderschönes Wandergebiet: Den Naturpark „Hohe Schrecke“, ein bewaldeter Höhenzug oberhalb der Unstrut. Der Naturpark gehört einem Privatunternehmer, der Naturerbe Hohe Schrecke GmbH. Sie gehört zur Lindhorst-Gruppe, einem weit verzweigten familiengeführten Unternehmensverbund aus Winsen an der Aller (Niedersachsen).

Blick auf den Schulzenberg in der "Hohen Schrecke". Der Höhenzug erstreckt sich über die Landkreise Kyffhäuser und Sömmerda.
Blick auf den Schulzenberg in der "Hohen Schrecke". Der Höhenzug erstreckt sich über die Landkreise Kyffhäuser und Sömmerda.

2023 kam das Unternehmen in die Thüringer Schlagzeilen, weil es im Naturpark offenbar rechtswidrig zahlreiche Buchen gefällt hatte.1 Unternehmensgründer Jürgen Lindhorst wiederum machte vor einigen Jahren auf sich aufmerksam, weil er den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zu einem Gesprächsabend auf sein Anwesen in Winsen einlud und mit rassistischen Parolen im verschwörungsideologischen Internet-Sender „Hallo Meinung“ auffiel, den er nach eigenen Angaben auch finanziell unterstützt.2

2020 geriet Jürgen Lindhorst überregional in die Kritik, nachdem er an der Einfahrt zu seinem Anwesen, die an der von Winsen zur nahe gelegenen Gedenkstätte Bergen-Belsen liegt, einen Findling mit seinem Familiennamen und einer Wolfsangel aufgestellt hatte, ein unter Rechtsextremen beliebtes Symbol, dessen Verwendung im politischen Kontext verboten ist. Trotz Protesten u.a. aus der Gedenkstätte Bergen-Belsen weigerte sich der Unternehmer, den Stein zu entfernen oder wenigstens zu versetzen.3

Findling der Familie Lindhorst an der Straße zwischen Winsen/Aller und der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2019.
Findling der Familie Lindhorst an der Straße zwischen Winsen/Aller und der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2019.

Wolfsangel – ein rechtsextremes Symbol

Die Wolfsangel ist ein jahrhundertealtes Symbol. Es zeigt eine mit einem Querbalken versehe­ne Sigrune und geht wohl als Zeichen auf eine Wolfsfalle zurück. Seit dem Mittelalter tauchte sie in Stadt- und Adelswappen auf, und im 19. Jahrhundert wurde sie als Grenzmarkierung sowie zur Kennzeichnung von Forstbeschäftigten genutzt. Bis dahin war ihre Verwendung politisch unbelastet.

Das änderte sich an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die neu entstehende völkische Bewe­gung, die sich vor allem durch Nationalismus und Antisemitismus auszeichnete und die besonders in Thüringen stark war, entdeckte das Runenalphabet als Beweis für die Kulturleistung einer angeblich jahrtausendealten germani­schen Rasse. Heute gilt allerdings als unbestritten, dass die ersten Runen, die im zweiten Jahr­hundert nach Christus auftauchten, eine Adaption südeuropäischer Schriften waren.

Für die Völkischen waren nicht nur die Runen, sondern auch die Wolfsangel aber Symbole angeblicher germanischer Kulturhegemonie und Wehrhaftigkeit. Deshalb wurde sie schnell bei ihnen beliebt: Spätestens in den 1920er Jahren war die Wolfsangel ein vor allem von Völkischen und Nationalsozialisten genutztes politisches Erkennungszeichen. Gerne wurde sie auf Findlingen angebracht, jenen angeblich urgermanischen und unzerstörbaren Steinen, die in der Kunstgeschichte als die Kennzeichen schlechthin für die völkische Memorialkultur gelten.

Hermann Löns: Naturschützer, Rassist und Begründer des Wolfsangel-Kults

Zur Verbreitung der Wolfsangel als politischem Symbol in völkischen und später national­sozialistischen Kreisen hat maßgeblich Hermann Löns beigetragen, der „Naturschutz“ als „gleichbedeutend mit Rasseschutz“ bezeichnete und schrieb, der „letzte und wichtigste Zweck des gesamten Heimatschutzes“ sei der „Kampf für die Gesunderhaltung des gesamten Volkes, ein Kampf für die Kraft der Nation, für das Gedeihen der Rasse“.4 Überhaupt war Löns, wie viele in seiner Zeit, Nationalist, bisweilen auch mit antisemitischen Ausschlägen. 1910 schrieb er in einem Brief an Artur Kutscher: „Ich bin Teutone hoch vier. […] Wir haben genug mit Humanistik, National-Altruismus und Internationalismus uns kaputt gemacht, so sehr, dass ich eine ganz gehörige Portion Chauvinismus sogar für unbedingt nötig halte. Natürlich passt das den Juden nicht und darum zetern sie über Teutonismus. Das aber ist der Weg, die Wahrheit und das Leben."5

Das Schlüsselwerk für die Löns-Rezeption durch die Völkischen und die politische Rechte in der Weimarer Republik ist Löns‘ Blut- und Bodenroman "Der Wehrwolf". Völkisches Gemeinschaftsethos verbreite der Roman, urteilt der Germanist Wilhelm Kühlmann, und bezeichnet das Buch als „Gewaltromantik“.6 Es handelt von wehrhaften Heidebauern, die sich im Dreißigjährigen Krieg, zusammengeschlossen als „Wehrwölfe“, mit dem Schlachtruf „Schlagt sie tot!“ gegen gefährliche fremde Eindringlinge wehren, insbesondere auch gegen Sinti:zze und Rom:nja. Nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der politischen Symbolik her war "Der Wehrwolf" ein Schlüsselroman für die extreme Rechte: Als Symbol germanischer Wehrhaftigkeit zieren die christliche Kapelle in dem Heidedorf zwei Wolfsangeln.

Nach dem ersten Weltkrieg, den Löns nicht überlebte, nahmen sich die natio­nalen Revolutionäre des Wehrwolfs (geschrieben übrigens mit „h“ und damit allenfalls indirekt Bezug nehmend auf die germanisch-mythologische Figur des Werwolfs) und der Symbolik der Wolfsangel an. Eine ihrer größten Organisa­tionen war der paramilitärische Verband „Wehrwolf“, gegründet 1923 und aufgelöst 1929. Das Abzeichen seiner Jugendorganisation war die Wolfsangel, die spätestens seit dieser Zeit Erkennungssymbol der extremen Rechten war. Aggressiv trat der Wehrwolf gegenüber der Weimarer Demokratie auf, propa­gierte einen radikalen Antisemitismus und die Eroberung von Lebensraum im Osten.

Nach der Auflösung des Wehrwolf-Verbandes im Jahr 1929 schlossen sich viele seiner Mitglieder der SA oder auch der SS an, andere gingen zu eher nationalrevolutionär orien­tierten Organisationen. Als Mythos blieb der Wehrwolf aber präsent. 1944 griff ihn SS-Chef Heinrich Himmler auf und gründete den Jugendverband „Werwolf“ – zwar ohne „h“, aber doch deutlich in der Tradition der nationalsozialistischen Löns-Rezeption stehend: Der Hitler-Jugend wurde im letzten Kriegsjahr das Löns-Buch als Pflichtlektüre verordnet, und das Abzeichen des Werwolf-Jugendverbandes war ein schwarzer Winkel mit weißer Wolfsangel.

Auch andere NS-Organisationen führten die Wolfsangel in ihren Symbolen, etwa die SS-Division „Das Reich“. Zudem nutzte die nationalsozialistische Polizei-Zeitschrift „Die deutsche Polizei“ das Symbol für ihren Titel.

Cover des Buches „Der Wehrwolf" von Hermann Löns, Ausgabe von 1939.
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Cover des Buches „Der Wehrwolf" von Hermann Löns, Ausgabe von 1939.
Emblem der Zeitschrift „Die deutsche Polizei“, herausgegeben im Auftrage des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, März 1939.
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Emblem der Zeitschrift „Die deutsche Polizei“, herausgegeben im Auftrage des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, März 1939.

Der Kult um Hermann Löns rührt ganz maßgeblich von seinem Roman „Wehrwolf“. In den 1920er und 1930er Jahren ließen vaterländische Verbände überall in Deutschland, vor allem aber in Niedersachsen, Gedenksteine für Hermann Löns aufstellen. In Thüringen gibt es bis heute mindestens vier solcher Steine, in Gotha-Seebergen (von 1928, 1972 abgerissen und 1998 neu aufgestellt), in Katzhütte im Thüringer Wald (1934), in Neustadt/Südharz (1928) und in Uhlstädt bei Rudolstadt (1935). Eine kritische Einordnung sucht man dort vergeblich.

Hermann-Löns Gedenkstein von 1935 bei Uhlstädt im Saale-Tal, undatiert.
Hermann-Löns Gedenkstein von 1935 bei Uhlstädt im Saale-Tal, undatiert.

Nach 1945 nutzten Neonazis die Wolfsangel als Erkennungszeichen, etwa die 1982 verbotene „Junge Front“. Seit dem Verbot dieser Organisation ist die Verwendung der Wolfsangel als Symbol im politischen Kontext verboten. Ansonsten hat sie Bestandsschutz und darf etwa in Wappen oder auf Steinen wie auch in der Forstwirtschaft verwendet werden. Trotz des Verbo­tes im politischen Kontext wird die Wolfsangel aber weiterhin von Rechtsextremisten genutzt. Die NPD (jetzt „Die Heimat“) nutzte etwa im vorletzten Europawahlkampf eine leicht verfremdete Wolfsangel als Kennzeichen für „nationale Schutzzonen“. In der Ukraine wiederum nutzt das u.a. von Rechtsextremen gegründete Asow-Bataillon trotz seiner Eingliederung in die Nationalgarde noch immer die Wolfsangel als Symbol.

Das Erbe völkischen Denkens und des Nationalsozialismus begegnet uns ständig im öffentlichen Raum. Häufig gibt es vor Ort keinerlei kritische Kontextualisierung. Insbesondere gilt das für den Kult um Hermann Löns, der bis heute ungebrochen ist und sich neben vielen Löns-Denkmälern auch in zahllosen nach ihm benannten Straßen zeigt, auch in Thüringen.

[1] Vgl. Hohe Strafzahlungen für Holzeinschlag: Firma soll 130.000 Euro bezahlen, Bericht des MDR, 15.2.2023 (https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/strafe-holzeinschlag-baeume-hohe-schrecke-lindhorst-100.html; 19.11.2024), sowie Jürgen Lindhorst, Wir erleben eine Politik ohne Sinn und Verstand, Hallo Meinung, 2020, abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=qehHt0-EGCg (19.11.2024).

[2] Vgl. Millionär aus Winsen lädt AfD-Politiker Björn Höcke zum Kennenlernen ein, in: Cellesche Zeitung, 5.6.2028 (https://www.cz.de/lokales/celle-lk/millionaer-aus-winsen-laedt-afd-politiker-bjoern-hoecke-zum-kennenlernen-ein-A543AEA4FAF5A7EC24553AAAAA.html; 19.11.2024).

[3] Vgl. etwa Riecht nach Blut und Boden. Unternehmer provoziert Gedenkstätte mit Wehrmachtssymbol, rnd, 21.5.2019 (https://www.rnd.de/panorama/riecht-nach-blut-und-boden-unternehmer-provoziert-gedenkstatte-mit-wehrmachtssymbol-WOQAQPWETH56UADCUEJYOJQ434.html; 19.11.2024).

[4] Hermann Löns, Naturschutz und Rassenschutz, in Ders., Nachgelassene Schriften, hrsg. von Wilhelm Deimann, Leipzig/Hannover 1928, S. 486.

[5] Zit. nach Thomas Dupke, Hermann Löns – Mythos und Wirklichkeit. Eine Biographie, Berlin 1994, S. 161.

[6] Wilhelm Kühlmann: »›Mit Reden richtet man aber nichts aus …‹ Gewaltromantik zwischen Gemeinschaftsethos und Notwehrrecht in Hermann Löns` historischem Bauernroman Der Wehrwolf (1910)«. In: Fabian Lamparter, Dieter Martin und Christoph Schmitt-Maaß (Hg.): Der zweite Dreißigjährige Krieg. Deutungskämpfe in der Literatur der Moderne. Baden-Baden 2019 (Klassische Moderne, Bd. 38), S. 23-36.


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