Höcke in Cottbus: Kitsch, Hetze und Nostalgie
Björn Höcke ist das, was man in Teilen der ostdeutschen Kernwählerschaft der AfD geflissentlich als „Wessi“ bezeichnen würde. Der gebürtige Westfale hat allerdings über Jahre am Image eines „Ostverstehers“ gearbeitet und bedient nun geschickt die nostalgischen Gefühlswelten von Wismar bis Sonneberg. Dementsprechend durfte der Thüringer Parlamentarier auch beim Wahlkampf in Brandenburg nicht fehlen.
Am 19. September 2024 betrat Höcke in Cottbus die Bühne: Wohlwissend um den herkunftsbedingten Authentizitätsmangel bemühte er so gleich seine Ehefrau als Kronzeugin, die Cottbusserin und ehemalige DDR-Bürgerin ist: In gemeinsamen Gesprächen hätte Sie ihm berichtet, wie sie als Kind im Cottbuser Neubauviertel auf einer Wiese mit einer Puppe zwischen den Plattenbauten gespielt hätte. Diese Wiese, so Höcke, würde man heute gar nicht mehr wiedererkennen: Zerbrochene Bier- und Schnapsflaschen, Unkraut auf dem Rasen und Graffiti an den Wänden. Dies, so Höcke, sei das Bild eines „zerfallenden Staates“. Das mit Glasflaschen und Graffiti notdürftig konstruierte Untergangsszenario ist in der Deutung Höckes die Schuld der „Kartellparteien“.
Die Zukunft mit der Vergangenheit retten
Die notwendige Antwort auf den abzuwehrenden Untergang hat der Thüringer Landesvorsitzende sogleich parat und greift dafür auf die Vergangenheit zurück: „Natürlich war die DDR eine Diktatur“ gab Höcke in Cottbus zu, nur um kurz danach die Vorteile eben dieser Diktatur zu betonen: „Es gab soziale Sicherheit, es gab Vertrauen, es gab Nachbarschaft, Solidarität, innere Sicherheit, gute Bildung, vor allem in den Naturwissenschaften.“ Neben dieser Mischung aus Allgemeinplätzen und Verharmlosung deutet Höcke die DDR als ein Land „das von einem Volk bewohnt wurde, und zwar vom deutschen Volk.“ Damit verbindet der Co-Vorsitzende der Thüringer AfD seinen völkischen Nationalismus mit der nostalgischen Verklärung des Staatssozialismus.
Kurz darauf nutzt Höcke die soeben reaktivierten Erinnerungen des Publikums, um die heutige Bundesrepublik als Wiederkehr der negativen Aspekte der DDR darzustellen. „Blockparteiensystem, Zensur, das Auseinanderfallen von privater und öffentlicher Meinung“ seien Phänomene, welche die DDR-Bürger:innen verabscheut hätten und die heute in der Bundesrepublik wiederauflebten. Auch das Agieren der Geheimdienste sieht Höcke in der Tradition der DDR und spielt damit auf die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz an. Mit dieser Verknüpfung von romantisierter Vergangenheit, gegenwärtigem Verfall und vermeintlicher Wiederkehr totalitärer Strukturen inszeniert die AfD sich und ihre Wähler:innen als in Notwehr befindliche Fundamentalopposition.
Die DDR im Blick der AfD-Wähler:innen
Für viele AfD-Sympathisant:innen erscheint die DDR retrospektiv als ein überschaubarer, ethnisch homogener Staat, in dem die Biografien vorhersehbar waren und die Verhältnisse berechenbar und stabil erschienen. Die Fremden aus den vermeintlichen „sozialistischen Bruderländern“ führten in der Regel ein marginalisiertes Dasein: Sie waren kaserniert untergebracht, hatten kaum Kontakt zur DDR-Bevölkerung und wurden schlechter bezahlt.1 Die von Höcke angesprochene Differenz zwischen öffentlicher und privater Meinung hatte in der DDR einen realen Kern: Die öffentliche Darstellung wurde lange von der Moskauer Exilgruppe um Walter Ulbricht geprägt, deren politische Erfahrung durch die Weimarer Republik, den Kampf gegen die NSDAP und das Exil geformt war. Diese Elite traf auf eine Bevölkerung, die überwiegend aus ehemaligen NS-Profiteuren und Belasteten bestand. Um diese Widersprüche zu kontrollieren, griffen die sowjetischen Besatzer zunächst zu rigiden Entnazifizierungsmaßnahmen und Repression. Nach der Staatsgründung versuchte die DDR, dieses Spannungsverhältnis durch staatliche Integrationsangebote und antifaschistische Lippenbekenntnisse zu überbrücken. Dieses brüchige Bündnis hatte so lange Bestand, wie die DDR ihre Versprechen erfüllen konnte. Doch spätestens ab den 1980er Jahren geriet die sozialistische Planwirtschaft ins Stocken. Während offiziell von Übererfüllungen der Pläne berichtet wurde, verfielen die Innenstädte und die gesellschaftlichen Probleme verschärften sich, was die Diskrepanz zwischen Propaganda und Lebensrealität immer offensichtlicher machte. Diese Erfahrung existiert bei vielen ehemaligen DDR-Bürger:innen als Wahrnehmungsfolie bis heute. Dementsprechend leicht fällt es der AfD Begriffe wie „Blockparteien“ oder „Systempresse“ zu reaktivieren. Gleichzeitig konnten z.B. durch die Massenmobilisierung im Zuge der Proteste gegen die Corona-Schutzverordnung neue Milieus für derartige Anti-Establishment-Parolen gewonnen werden – online wie offline. Die Deutung der Gegenwart mit oder ohne DDR-Vergangenheit muss hierbei gar nicht einheitlich sein – so fern Untergangsszenario und Feindbild stimmen.
Die Mauer als Herausforderung
Während sich die AfD in vielen Fällen als „Vollender der Wende“ zu inszenieren versuchte, blieben einzelne Themenkomplexe sichtlich heikel für die geschichtsrevisionistische Instrumentalisierung der DDR. Die Mauer, welche Ost- und Westberlin, die DDR und die BRD trennte, ist selbst für die geübten Geschichtsfälscher der AfD schwer zu verwerten. Das Eingesperrt-Sein im eigenen Staat dürfte selbst von den größten DDR-Nostalgikern keine Befürwortung erfahren. Hierfür testet die AfD schon das neuste, rhetorische Material: In Höckes Telegram-Channel sowie dessen Social-Media-Kanälen wurde anlässlich des 3. Oktober von der heutigen Mauer fabuliert, die nicht mehr Ost und West, sondern die bodenständigen, ehrlichen Arbeiter von der „Bionade-Bourgeoisie“ trennen würde. Diese neue Mauer sei eine gläserne Decke zwischen Land und Stadt, bodenständig und abgehoben, die Höcke auch in den Parlamenten in Form der Brandmauer gegen die AfD am Werk sieht. Das noch etwas holprige Bild ist bisher nur Online aufgetaucht - ob der Bogen vom „antifaschistischen Schutzwall“ der Innerdeutschen Grenzen hin zur Brandmauer gegen die AfD nicht doch etwas weit gespannt ist, wird sich zeigen.
Die Einordnung der DDR im Wandel
Die DDR war in der klassischen, ostdeutschen Neonazi-Szene lange Zeit, zumindest in der offiziellen Erzählung, aufgrund des verordnetem Antifaschismus verhasst. Viele dieser damaligen Neonazis können heute problemlos ihr Kreuz bei der AfD machen. Die Partei schafft es, die überzeichneten Vorzüge der DDR zu betonen und die schlechten Eigenschaften abzuspalten und auf die Gegenwart zu projizieren. Hierbei nutzt die Partei positiv besetzte, emotionale Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit und suggeriert gleichermaßen das Scheitern der Gegenwart. Die Überbleibsel der Erinnerung an Homogenität, sozialstaatliche Maßnahmen, den Vollzug eines vermeintlichen Volkswillens und der Stallwärme der überschaubaren DDR verbinden sich mit der Feindschaft gegenüber (vermeintlich) gelenkter Presse und den als „Blockparteien“ imaginierten demokratischen Fraktionen. Die Reproduktion dieses ideologischen Amalgams verfängt längst nicht nur bei Bürger:innen, welche die DDR noch aktiv erlebt haben, sondern trifft auch bei jüngeren Generationen auf fruchtbaren Boden. Die AfD bewirtschaftet das Feld aus selektiver DDR-Wahrnehmung und Anti-Establishment-Rhetorik seit dem Aufkommen des BSW nicht mehr alleine. Mit ihrem völkischen Programm mobilisiert sie jedoch auch klassische, rechtsextreme Milieus und kommt so insbesondere in Regionen, in denen es seit Langem eine kulturelle, rechte Hegemonie gab, zu großen Wahlerfolgen. Der Widerspruch, dass sich die angepriesenen, sozialstaatlichen Vorzüge der DDR gar nicht im AfD-Wahlprogramm wiederfinden, scheint die Wähler:innen der Partei bisher nicht zu stören.
[1] Die Vertragsarbeiter kamen vor allem aus Vietnam, Algerien, Angola, Ungarn, Kuba und Mosambik und waren, trotz ideologischer Verrenkungen und Vertuschungsversuchen der SED-Spitze, rassistischer Diskriminierung ausgesetzt, die zum Teil bis hin zu Gewalt, Verfolgung und Mord führte.