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Höcke und die Instrumentalisierung historischer Begriffe

Björn Höcke eröffnete den Wahlkampf der Thüringer AfD am 20.7.2024 in Arnstadt. Die Rede ist auf der Video-Plattform YouTube hochgeladen und wirkt aufwendig in Szene gesetzt. Neben zahlreichen antisemitischen Codes instrumentalisierte der Thüringer AfD-Vorsitzende auch immer wieder die DDR-Erfahrung seines Publikums.

Björn Höcke im Spotlight bei seinem Wahlkampfauftritt am 20.07.2024 in der Stadthalle Arnstadt.
Björn Höcke bei seinem Wahlkampfauftritt am 20.07.2024 in der Stadthalle Arnstadt. Bei seiner mit Spotlight und Headset inszenierten Darbietung griff Höcke zahlreiche Verschwörungstheorien auf und instrumentalisierte die DDR-Vergangenheit zahlreicher Zuhörer:innen für Stimmungsmache gegen Politik und Zivilgesellschaft.

Björn Höcke und der Osten 

Der Auftritt Höckes war gespickt mit Dogwhistle-Rhetorik gegen das Establishment und antisemitischen Codes (z.B. "Great Reset", "Globale Agenten“). Höcke nutzte allerdings auch mehrmals historisch eindeutig konnotierte Begriffe, um Stimmung gegen Politik und Zivilgesellschaft zu machen. Zu Beginn seines Auftritts inszenierte sich der Thüringer AfD-Vorsitzende einmal mehr als Vermittler zwischen Ost- und Westdeutschen. Die mitgereisten, westdeutschen Wahlkampfhelfer könnten sich hier in Thüringen, Sachsen und Brandenburg mal so „richtig erholen“ (06:24).1 Die Suggestion ist eindeutig: Der „normale“ Osten als Gegensatz zum liberalen und von Migration geprägten Westen. Der Thüringer AfD-Vorsitzende selbst stammt aus Nordrhein-Westfalen, ist also kein „Einheimischer“ im Landesverband. Das Bild der zugezogenen, westdeutschen Politik-Elite schafft er trotzdem zu vermeiden. Im Gegenteil: Höcke erfreut sich bei den potenziellen Wähler:innen großer Beliebtheit – wohl auch dank einer Rhetorik, die gezielt die Vergangenheit seiner Zuhörer:innen anspricht.

Wie „in der unseligen DDR“?!

Nach einer guten Viertelstunde reaktivierte Höcke das erste Mal die DDR-Erfahrung seines Auditoriums: In Folge der Correctiv-Recherchen zum sogenannten Potsdam-Treffen hätte die Politik angeblich Massendemonstrationen veranlasst. Höcke spricht von "Regierungsdemonstrationen, die wir zuletzt in den Zeiten der unseligen DDR erlebt haben." (19:18) Höcke konstruiert das Bild eines von der Politik bezahlten und angeleiteten Aufmarschs. Die DDR war eine Diktatur, die massiv in das Leben ihrer Bürger:innen eingriff und die öffentliche Meinung durch eine kontrollierte Medienlandschaft beeinflusste. Inszenierte Großveranstaltungen, wie z.B. die „Geburtstage“ der DDR, waren vor allem deshalb so gut besucht, weil der Kollektivzwang, daran teilzunehmen, so groß war. Großevents wurden häufig von kompletten Betrieben und Schulen besucht: Nicht-Teilnehmer:innen hatten mit Konsequenzen zu rechnen. Unangenehme Fragen, Drangsalierung in Schule und Betrieb bis hin zu Überwachung durch die Staatssicherheit waren allgegenwärtige Bedrohungen. Den Unangepassten waren in der DDR zudem viele Wege, wie z.B. zu höherer Bildung oder besseren Anstellungen, verstellt. In der Bundesrepublik hat heutzutage niemand Konsequenzen zu fürchten, wenn er nicht an einer Demonstration teilnimmt. Niemand wird deswegen entlassen oder darf nicht Studieren gehen. Freie Meinungsäußerung ist vom Grundgesetzt geschützt und muss nicht hinter verschlossenen Türen geäußert werden. Höckes Gleichsetzung von DDR-Aufmärschen mit selbst organisierten Demonstrationen der Zivilgesellschaft relativiert das Leid der tatsächlichen Opfer der DDR-Diktatur und delegitimiert gleichzeitig die freie Meinungsäußerung von AfD-Gegner:innen als angeblich von der Politik orchestriert.

Im Verlauf der Rede streute Höcke weitere Begriffe ein, welche die DDR-Erfahrung der Zuhörer:innen wiederbeleben sollten: So seien die Ermittlungen gegen den Kandidaten für das Europa-Parlament, Maximilian Krah, politisch motiviert gewesen. Die Durchsuchung bei Krahs Mitarbeiter Jian G. sei „Zersetzung“ (20:25). Mit der gezielten Verwendung dieses Begriffs versuchte Höcke ein weiteres Mal die Gegenwart mit der Vergangenheit zu deuten. Das Ministerium für Staatssicherheit definierte unter operativer Zersetzung Maßnahmen zur Bekämpfung subversiver Aktivität durch Beeinflussung, Bedrohung und Erpressung von „feindlich negativen Kräften“.2 Diese "feindliche negativen Kräfte" waren für das Regime alle Unangepassten und Oppositionellen, die sich zum Beispiel in der Kirche oder in der alternativen Jugendkultur engagierten. Die "Zersetzung" erfolgte in aller Regel durch inoffizielle Mitarbeiter. Ziel sollte es sein, das Weltbild zu erschüttern bzw. allmählich zu verändern. Gegen Jian G. wurde jedoch nicht wegen seiner politischen Einstellung, sondern wegen „Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall“3 ermittelt. Jian G. steht also unter dringendem Tatverdacht, Straftaten begangen zu haben. Höckes Versuch, die Strafverfolgung der heutigen Bundesrepublik mit der politischen Verfolgung durch das Regime der DDR in eins zu setzen, bagatellisiert das Leid der tatsächlichen Opfer, die unter der Überwachung, Drangsalierung, Bedrohung bis hin zu Inhaftierung durch das Ministerium für Staatssicherheit gelitten haben.

Totalitarismus à la Björn Höcke 


Nachdem die DDR-Vergleiche beim Publikum bereits funktioniert hatten konnte sich der AfD-Vorsitzende seiner Sache sicher sein und den bisher angeschlagenen, geschichtsrevisionistischen Ton noch einmal verschärfen. So nannte Höcke das kürzlich in Kraft getretene Verbot des Magazins „Compact“, das in der rechtsextremen Szene angesiedelt war und von Jürgen Elsässer betrieben wurde, eine „totalitären Aktion“ (22:25). Der Begriff des Totalitarismus wurde insbesondere in der Anfangszeit der italienischen, faschistischen Bewegung als Selbstbezeichnung der „Schwarz-Hemden“ verwendet. Totalitarismus bedeutete für Mussolini  und seine Mitstreiter die absolute Durchdringung der Gesellschaft. Das Ziel war die Wiederauferstehung des römischen Reichs sowie die Schaffung eines neuen, kämpferischen Menschen. Der Faschismus definierte sich durch eine pseudoreligiöse Wiedererweckungsbewegungsbewegung und fanatischem Nationalismus. 

Darüber hinaus fand der Begriff auch in der Erforschung autoritärer Regime durch seine Gegner:innen Gebrauch. So nutzten beispielsweise marxistische Theoretiker den Begriff für ihre Gegner-Analysen in den 1940er Jahren. Eine weitere Wiederbehebung erlebte der Begriff nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der komparativen Diktatur-Forschung.4
Der Begriff des Totalitarismus ist also unzertrennlich mit der (Selbst-)Beschreibung der italienischen Faschisten sowie der Erforschung autoritärer Diktaturen verbunden. Höckes Verwendung des Begriffs im Kontext des Compact-Verbots stellt eine Verharmlosung der totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts dar und ist eine Tatsachenverdrehung, wie sie für die AfD exemplarisch ist. Das Compact-Magazin hat sich wiederholt gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewendet und zentrale Element eines friedlichen Zusammenlebens in Anerkennung der Menschenwürde aller negiert. Sollte das Verbot des Magazins durch das Innenministerium vor Gericht nicht standhalten, kann Compact theoretisch wieder publizieren. Eine solche Möglichkeit, die auf der Basis von Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative beruht, gibt es in einem totalitären System nicht. Nancy Faesers Macht als Innenministerin könnte nicht mal dem Anspruch nach totalitär sein: Sie muss ihrer Koalition, der Opposition, der Judikative, der Gesellschaft und den Medien Rede und Antwort stehen und in der Wahl zur nächsten Legislaturperiode wieder bestehen.

Verwischen der Begrifflichkeiten

Höcke zielt mit der Nutzung von eindeutig konnotierten Begriffen wie „Zersetzung“ oder „totalitär“ auf die Suggestivkraft eben dieser Worte ab: Die Zuhörer:innen sollen das Gefühl bekommen, die Regierung würde mit diktatorischen Methoden vorgehen. Die Kollateralschäden von Höckes Rhetorik sind aber eben all jene, die in der Vergangenheit tatsächlich unter „Totalitarismus“ oder „Zersetzung“ gelitten haben. Mit dem Verwischen des historischen Kontexts verkehrt Höcke die Bedeutung der Begriffe ins Gegenteil: Wenn das von Nancy Faeser geführte Innenministerium „totalitär“ agiert und die Verhaftung eines scheinbar korrumpierbaren Mitarbeiters im EU-Parlament Zersetzung ist, kann sich die AfD um Björn Höcke als vermeintlich demokratische Opposition inszenieren.

1 Björn Höcke: Björn Höcke | Rede zum Wahlkampfstart am 20.07.2024 in Thüringen, dort datiert 20.07.2024, URL: https://www.youtube.com/watch?v=hjTJkZMUFgE (23.07.2024).

2 Siegfried Suckut (Hrsg.): Das Wörterbuch der Staatssicherheit: Definitionen zur „politisch-operativen Arbeit“. Berlin 2016, S. 422.

3 Bundesanwaltschaft: Festnahme wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit. Generalbundesanwaltschaft, dort datiert 23.04.2024, URL: https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/Pressemitteilung-vom-23-04-2024.html (23.07.2024).

4 Faschismus – Begriff und Theorien, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 06.05.2016, http://docupedia.de/zg/esposito_faschismus_v1_de_2016 (aufgerufen am 25.07.2024).

 


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