Die Burg Saaleck und die Rudelsburg
Die Burg Saaleck wurde erstmals 1140 urkundlich erwähnt. Aufgrund ihrer strategischen Lage diente sie als bedeutender Verteidigungspunkt entlang der Handelsroute an der Saale. Die Anlage besteht aus zwei markanten Wohntürmen, deren massive Mauern bis heute das Landschaftsbild prägen. Über die Jahrhunderte wechselte die Burg mehrfach den Besitzer, darunter die Markgrafen von Meißen und das Hochstift Naumburg. Seit der Eingliederung des Naumburger Bistums in den sächsischen Kurstaat 1564 verfiel die Burg zunehmend.1 Erst im 19. Jahrhundert erfuhr sie durch den „Thüringisch-Sächsischen Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums und Erhaltung seiner Denkmale“ eine Wiederbelebung. Dieser Verein, zu dessen Ehrenmitgliedern Johann Wolfgang von Goethe und Alexander von Humboldt zählten, sammelte Spenden und initiierte Restaurierungsarbeiten zur Instandsetzung der Anlage. Die Burg Saaleck, sowie die wenige hundert Meter entfernte Rudelsburg, wurden zur Inspiration für Dichter und Musiker: Franz Kugler schrieb 1826 das berühmte Volkslied „An der Saale hellem Strande“, Herman Allmers verfasste 1863 mit „Dort Saaleck, hier die Rudelsburg“ ein für die Studentenbewegung des 19. Jahrhunderts bedeutendes Lied.

Die Saalecker Werkstätten: „Heimatschutzkunst“ gegen die Moderne
Unterhalb der Burg siedelte ab 1901 Paul Schultze-Naumburg die Saalecker Werkstätten an. Der Architekt versuchte eine Kunst- und Handwerksschule als Gegenbewegung zur modernen, industriellen Bauweise zu entwickeln. Seine „volkstumsorientierten“ Bauwerke sollten sich harmonisch in die Natürlichkeit der Landschaft einordnen. Als vorbildlich galten ihm hierbei die beiden mittelalterlichen Festungsanlgen vor seiner Haustür. In der Region erbaute er zahlreiche Villen und Herrenhäuser im „Heimatschutzstil“. In den 1920er Jahren radikalisierte sich Schultze-Naumburg Zusehens und suchte den Kontakt zur NSDAP. In seinen Schriften, wie z.B. „Kunst und Rasse“ aus dem Jahr 1928, verband er seine architektonischen und künstlerischen Vorstellungen mit völkischen Ideen. Schultze-Naumburg griff insbesondere das Bauhaus und die neue Sachlichkeit als „entartet“ bzw. „undeutsch“ an. Die Saalecker Werkstätten entwickelten sich zu einem wichtigen Vernetzungspunkt prominenter NSDAP-Funktionäre: Hier machte Schultze-Naumburg Adolf Hitler am 10. Mai 1930 mit Richard Darré bekannt. Darré verfasste später das Agrarprogramm der NSDAP und wurde durch Heinrich Himmler zum Leiter des „Rasse- und Siedlungshauptamtes“ ernannt. Ebenfalls zum Saalecker Kreis gehörte Wilhelm Frick, der ab 1930 in Thüringen als erster NSDAP-Abgeordneter das Amt für Inneres und Volksbildung bekleidete. Frick berief Hans F.K. Günther („Rassegünther“) auf den Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität Jena. Günthers „Rassentheorien“ sollten einen entscheidenden Einfluss auf die antisemitischen und rassistischen Gesetze der NSDAP haben. Frick ernannte den Saalecker Gastgeber Paul Schultze-Naumburg zum Leiter der Kunstschule in Weimar, also dem 1925 aus Thüringen vertriebenen, ehemaligen Bauhaus. Ebenfalls Teil des Kreises war Hans Severus Ziegler, der 1935 zum Generalintendanten des Weimarer Nationaltheaters ernannt wurde. In seiner Funktion als Intendant hetzte Ziegler gegen „Kulturbolschewismus“ und „entartete Musik“. Im beschaulichen Saaleck kamen so nicht nur wichtige Größen der Partei, sondern auch vorher vereinzelte, ideologische Bausteine zusammen, welche die nationalsozialistische Politik und Weltanschauung entscheidend prägen sollten.


Die Burg Saaleck und die Fememorde
Oberhalb der Werkstätten richtete sich ab dem Jahr 1912 mit Hans Wilhelm Stein ein neuer Pächter auf der Burg Saaleck ein. Der neue Herr der Anlage baute einen der Türme zu einem komfortablen Wohnsitz aus und benannte sich später in Stein-Saaleck um. Die Festungsanlage selbst sollte 1922 zu einem bedeutenden Schauplatz der Geschichte der Weimarer Republik werden: Im Juli 1922 hielten sich auf der Burg Saaleck die beiden Mörder von Walther Rathenau, Erwin Kern und Hermann Fischer, versteckt. Der Mord an Walther Rathenau wird zu den sogenannten Fememorden gezählt: Rechtsextreme Republikfeinde überzogen die junge Demokratie mit Hetze und Verleumdungskampagnen und riefen öffentlich zu Gewalt auf. Ziel ihrer Angriffe waren vor allem Politiker:innen, welche die von ihnen verhasste Republik verkörperten. Opfer wurden u.a. Philipp Scheidemann und Ernst Thälmann, welche die Attentate überlebten, so wie der 1921 ermordete Matthias Erzberger, Finanzminister und Mitglied der Zentrumspartei. Hinter den Angriffen stand die sogenannte „Organisation Consul“ (OC), ein rechtes Terrornetzwerk, das sich vor allem aus Veteranen der Marine rekrutierte. Diese hatten 1919 unter einem ihrer ehemaligen Befehlshaber, Hermann Ehrhardt, den Freikorps „Marine Brigade Ehrhardt“ gegründet. Diese Einheit gilt als Vorläufer der OC und war auch an dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch 1922 in Berlin beteiligt gewesen. Dem Mord am Außenminister Rathenau ging eine monatelange, offen antisemitische Hetzkampagne voraus: Rathenau galt den rechten Republikfeinden als „Reinkarnation einer internationalen jüdisch-kapitalistischen Verschwörung gegen Deutschland“.2
Am Morgen des 24. Juni 1922 griffen Kern und Fischer Walther Rathenau im offenen Wagen vor seiner Villa in Berlin-Grunewald mit Handgranaten und Maschinengewehren an. Rathenau erlag kurze Zeit später seinen Verletzungen. Nach dem Attentat folgte eine in der deutschen Geschichte einmalige Verfolgungsjagd. Die beiden Täter versuchten sich bis nach Bayern durchzuschlagen, wo die OC in München ihr Hauptquartier hatte. Unterschlupf suchten die beiden Mörder unterwegs auf der Burg Saaleck. Nachdem ein Anwohner die beiden Täter auf der Festung zu entdecken geglaubt hatte, umstellte die alarmierte Polizei am 17. Juli 1922 das Areal. Bei dem darauffolgenden Schusswechsel wurde Kern tödlich getroffen, Fischer richtete sich daraufhin selbst. Die beiden Mörder wurden unterhalb der Burg notdürftig beerdigt.3 Der Herr der Burg, Hans Wilhelm Stein, war zum Zeitpunkt der Verhaftung offiziell verreist. Im Gerichtsverfahren im Oktober 1922 gab sich Stein unwissend und wurde freigesprochen.4 Eine Fehleinschätzung des Gerichts, wie sich später zeigen sollte: Nach der Machtübernahme der NSDAP prahlte der Burgherr damit, dass er persönlich für den Unterschlupf der beiden Mörder gesorgt hätte.5 Stein war nicht „verreist“, er organisierte in München Geld und falsche Pässe bei der OC für die beiden bei ihm untergetauchten Attentäter. Das Ausmaß des rechten Terrornetzwerks spielte im damaligen Mordprozess nur eine untergeordnete Rolle, sodass auch die Bedeutung des Burgpächters Stein unterschätzt wurde. Stein war kein Mitglied der OC, unterstützte deren Aktivitäten aber.



Die Fememorde im NS
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen wurden die ehemaligen Attentäter der OC, aber auch anderer rechtsextremer Gruppen, im Nachgang amnestiert und zu Helden der nationalen Sache erklärt: so auch Kern und Fischer. Die beiden Mörder erfuhren am 16. Juli 1933 auf der Burg Saaleck eine propagandistische Ehrung, organisiert von der NSDAP, DNVP und Stahlhelm, sowie unter Beteiligung von SA und SS. In einer inszenierten Zeremonie mit Fackeln und Ansprachen gedachten die Teilnehmer:innen den „gefallenen Märtyrern“. Der ehemalige Brigadeführer Ehrhardt und der Burgherr Stein weihten persönlich eine Gedenktafel mit den eingravierten Namen der „Helden“ am Ostturm der Burg ein. Beide Attentäter wurden auf einen repräsentativen Platz auf dem Friedhof unterhalb der Burg umgebettet: Ihr Grabstein wurde mit einem Spruch von Ernst Moritz Arndt graviert. Auch der Burgherr selbst trug weiter zur Verherrlichung der Attentäter bei: Stein schrieb eine Monografie über die beiden Männer und ihren Märtyrertod auf der Burg Saaleck samt eigens dafür verfasstem Hohelied auf den „Opfertod zweier deutscher Männer“.6

Die Burg Saaleck und die Werkstätten nach dem NS bis heute
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde im Zuge der Entnazifizierung zunächst der Schriftzug samt Stahlhelm und Eichenlaub aus dem Grabstein der beiden Attentäter entfernt. Nach der Wiedervereinigung entwickelte sich das Grab auf dem Friedhof zunehmend zu einem Anziehungspunkt für die regionale Neonaziszene, darunter auch Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes, aus dessen Strukturen später der NSU hervorging. Die Gemeindepfarrerin beschloss, mit Unterstützung der Bundeswehr, den Grabstein im Jahr 2000 vollständig abzutragen. Trotz dessen blieb der Friedhof ein Ziel für rechtsextreme Propagandaaktivitäten: 2012 errichteten mutmaßliche Akteure aus dem Umfeld der NPD (heute: Die Heimat) in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen neuen Gedenkstein, der kurze Zeit später von der Gemeinde entfernt wurde. 2018 folgte die Aufstellung eines Holzkreuzes am Grab der Attentäter durch rechtsextreme Aktivist:innen, die sich damit bewusst in die Traditionslinie des Terrors der Weimarer Republik und dessen Glorifizierung im Nationalsozialismus stellten. Zwischen dem präfaschistischen Terror der 1920er Jahre und den neonazistischen Anschlägen der Gegenwart, wie dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, lassen sich zumindest einige Parallelen erkennen. Auch die Fokussierung der Ermittlungsbehörden auf einzelne Täter:innen, anstatt auf die sie unterstützenden Netzwerke, fallen ins Auge.7 Bis heute treffen sich nahezu jährlich um den 17. Juli herum Rechtsextreme, um im kleinen Kreis den vermeintlichen "Helden" zu gedenken.
Die rechten Aneignungen beschränkten sich jedoch nicht nur auf die Verherrlichung der Mörder Rathenaus. Auch die Saalecker Werkstätten unterhalb der Burg wurden immer wieder Ziel von Rehabilitierungsversuchen des Erbes von Paul Schultze-Naumburg. Aus dem Umfeld des nahegelegenen, rechtsextremen „Instituts für Staatspolitik“ gab es seit 2013 durch den Historiker Norbert Borrmann gezielte Versuche, Schultze-Naumburgs Bedeutung als Architekt und Ideologe neu zu bewerten und positiv darzustellen. Gleichzeitig diskreditierte er die Entfernung des Grabsteins der Attentäter durch die Gemeindepfarrerin im Jahr 2000 als „unduldsam-ausmerzend“.8 Auch die AfD unternahm Versuche, Schultze-Naumburgs Angriffe auf das Bauhaus in die Gegenwart zu übertragen: So brachte Hans-Thomas Tillschneider im Oktober 2024, anlässlich des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums, im Landtag von Sachsen-Anhalt einen Antrag mit dem Titel „Irrweg der Moderne“ ein. Schon der Titel des Antrags zitierte Schultze-Naumburg, und auch inhaltlich bemühte er sich, den modernen Vorstellungen von Architektur und Design eine vermeintlich traditionell deutsche Ästhetik entgegenzustellen.
Heute ist die Burg Saaleck vor allem ein beliebtes Ausflugsziel für Tourist:innen, die die historische Anlage, die Ausstellung und den Ausblick über das Saaletal genießen. Die Saalecker Werkstätten, einstiger Treffpunkt der NSDAP-Parteielite unterhalb der Burg, wurden 2018 von der „Marzona Stiftung Neue Saalecker Werkstätten“ übernommen. Seitdem beherbergt das Gelände unter anderem ein modernes Architekturbüro und wird von der „Design Akademie Saaleck“ als Raum für freies Denken und kreatives Gestalten neu interpretiert.9
[1] Max-Planck-Institut für Geschichte (Hrsg.): Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Bd. 1. Berlin, New York 1997 (Germania Sacra 35), S. 72.
[2] Martin Sabrow: Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution. Göttingen 2022, S. 22.
[3] Christoph Diekmann: Der Mörderstein. In: Zeit (2000).
[4] Sabrow: Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution, S. 247.
[5] Hans Wilhelm Stein-Saaleck: Burg Saaleck: Die Türme des Schweigens. Eckhartsberga 1938, S. 15.
[6] Ebd., S. 31.
[7] Saaleck und das Gedenken an die Mörder Walther Rathenaus. Miteinander e.V., dort datiert 24.06.2022, URL: https://www.miteinander-ev.de/en/2022/06/24/traditionslinien-rechten-terrors/ (22.01.2025).
[8] Norbert Borrmann: Saaleck - Burg. In: Erik Lehnert/Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Deutsche Orte, Schnellroda 2018 (Staatspolitisches Handbuch 4), hier S. 175.
[9] Arne Cornelius Wasmuth: Die Saalecker Werkstätten. Ein „unbequemes Denkmal“ in Transformation. In: Hilde Stroble (Hrsg.): Ver/störende Orte. Zum Umgagng mit NS-kontaminierten Gebäuden, Wien 2024, hier S. 182–183.