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Jagdschloss Waidmannsheil

Das Jagdschloss Waidmannsheil, ein historisches Anwesen nahe Bad Lobenstein, erlangte in den letzten Jahren unrühmliche Bekanntheit durch seinen Besitzer Heinrich XIII. Prinz Reuß, einem zentralen Akteur der Reichsbürger:innenszene. Das Schloss diente nicht nur als privater Rückzugsort, sondern auch als Treffpunkt für Mitglieder einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung, die einen Umsturz in Deutschland plante – bis eine bundesweite Razzia dem Treiben am 7. Dezember 2022 vorerst ein Ende machte.

Das Jagdschloss Waidmannsheil in Saaldorf.
Das Jagdschloss Waidmannsheil in Saaldorf. ©Jens Schlüter/ Getty Images, aufgerufen am 09.12.2024

Die Familie Reuß und das Jagdschloss Waidmannsheil

Das in Saaldorf gelegene Jagdschloss Waidmannsheil wurde zwischen 1834 und 1837 im neugotischen Stil erbaut.1 Auftraggeber war die Familie Reuß, die bis 1918 in zwei Zweigen über kleine Fürstentümer im heutigen Thüringen herrschte. Das Schloss befand sich bis 1945 im Besitz von Heinrich XLV. (jüngere Linie), der nach dem Tod seines Vaters 1928 als das letzte Gesamtoberhaupt der Familie galt. 1945 wurde Heinrich XLV. durch die sowjetischen Besatzer enteignet und verlor damit auch das Jagdschloss. In der DDR erfuhr das Gebäude eine Umnutzung und diente als Urlaubs- und Schulungsheim des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Gera.2 Das Anwesen wurde 1990 durch die Familie Reuß zurückgekauft. Heinrich XIII. jedoch hätte eigentlich gar keinen Anspruch auf die Immobilie gehabt: Der 1951 geborene Prinz entstammt der Köstritz-Linie und war damit ohne Erbansprüche – wäre der Mann seiner Mutter Woizlawa-Feodora nicht 1935 von Heinrich XLV. adoptiert worden.3 Nach der Rückübertragung unternahm die Familie in den Folgejahren zahlreiche rechtliche Schritte, um weitere Teile des Erbes zurückzufordern. Dies führte 2008 zu einem gerichtlichen Vergleich, der es der Familie ermöglichte, Hunderte von Kunstgegenständen, Jagdtrophäen und historischen Waffen aus Thüringer Museen in ihren Besitz zu überführen. Über 700 dieser Exponate wurden anschließend sofort durch die Familie selbst versteigert.4 In den letzten Jahren traten jedoch weniger die Erbstreitigkeiten, sondern vor allem die verschwörungsideologischen und geschichtsrevisionistischen Aktivitäten von Heinrich XIII. in den Vordergrund.

Prinz Reuß: Zwischen Antisemitismus und Herrschaftsfantasien

So hielt er bei einem Auftritt 2019 in Zürich im Rahmen des „WORLDWEBFORUM“ einen Vortrag mit dem Titel „Why Blue-Blooded Elite Became Servants“, der von antisemitischen  und geschichtsrevisionistischen Narrativen durchsetzt war. So behauptete er, das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand sei von „freimaurerischen Logen“ finanziert worden, die zudem dafür gesorgt hätten, dass Großbritannien die Deutsche Handelsflotte als Kriegsmarine eingestuft hätte. Im Laufe seines Vortrags steigerte sich Reuß in immer radikalere Behauptungen: Hinter Kriegen und Revolutionen weltweit stecke angeblich die Finanzelite, selbst Adolf Hitler sei laut Reuß durch amerikanisches Kapital unterstützt worden - mit dem Ziel, später die Gründung des Staates Israel zu ermöglichen. Den Höhepunkt seiner Ausführungen bildete die Reproduktion der sogenannten BRD-GmbH-Verschwörungstheorie, mit der er die staatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland infrage stellte. Laut Reuß sei die Bundesrepublik lediglich der Nachfolgestaat eines Marionettenregimes unter Adolf Hitler und damit nicht der legitime Nachfolger des Deutschen Kaiserreichs gewesen.5 Die krude Logik dahinter: Wenn das Dritte Reich ein von fremden Mächten gesteuertes Marionettensystem und die BRD der rechtliche Nachfolger Nazi-Deutschlands war, muss das Kaiserreich der letzte, legitime deutsche Staat gewesen sein. Die Weimarer Republik schien Reuß offenbar nicht mal einer Erwähnung wert. Diese diffuse Erzählung mag auf den ersten Blick skurril wirken, hat jedoch ein konkretes Ziel: Mit der Delegitimierung der Bundesrepublik versucht Reuß die juristische Legitimität des Deutschen Kaiserreichs zu konstruieren. Reuß ist als Vertreter des Adels ein möglicher Profiteur einer Wiedererrichtung der Monarchie, ein persönliches Interesse an dieser Verschwörungstheorie seinerseits scheint also naheliegend. Schon eher erklärungsbedürftig ist jedoch, dass Reuß es auch geschafft hat, sich ein umfangreiches Netzwerk aus Unterstützer:innen und Untergebenen aufzubauen.

Die Nähe zur QAnon-Ideologie


Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Ideologie um Heinrich XIII. Prinz Reuß ist die Nähe zur QAnon-Bewegung. Anhänger:innen von QAnon glauben an eine weltweit operierende, satanistische Elite, die Kinder entführt, um sich an deren „Lebensenergie“ zu bereichern. QAnon ist die moderne Neuauflage der jüdischen Ritualmordlegende, wonach Jüd:innen das Blut von Christen trinken würden und die Weltherrschaft anstrebten. Zentraler Bezugspunkt für die aus den USA stammende Bewegung sind kryptische Foreneinträge von „Q“, einer anonymen Online-Figur, die sich als Regierungsinsider gibt und vermeintliches Geheimwissen über den „deep state“ verbreitet. Ähnlich wie bei QAnon behaupten Reuß und seine Anhänger:innen, die Bundesrepublik sei weder souverän noch legitim und stünde unter der Kontrolle globaler Eliten, welche die deutsche Nation unterdrücken würden. Auch das Konzept eines „Tag X“, an dem ein Umsturz erfolgen und vermeintlich korrupte Eliten gestürzt würden, spiegelt typische QAnon-Narrative wider. Die Gruppe um Heinrich XIII. sah sich in einem apokalyptischen Abwehrkampf gegen geheime Eliten: Dementsprechend radikal waren die ausgearbeiteten Pläne zum Umsturz der Herrschenden.

Heinrich XIII. Prinz Reuß im Jahr 2018. Der 1951 geborene Adlige befindet sich seit der Razzia am 07. Dezember 2022 in Untersuchungshaft.
Heinrich XIII. Prinz Reuß im Jahr 2018. Der 1951 geborene Adlige befindet sich seit der Razzia am 07. Dezember 2022 in Untersuchungshaft. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 09.12.2024

Die Umsturzpläne und die „Wahlkommission Reuß“

Bis zur Razzia am 07. Dezember 2022 durchlief die Gruppe einen relativ schnellen Radikalisierungsprozess. Bereits 2019 gründete Prinz Reuß das „Kompetenzteam Freies Deutschland“, das u.a. die Wiedereinsetzung des Kaisers und Gespräche mit dem russischen Außenminister Lawrow forderte. 2020 rief er den Fantasiestaat „Fürstentum Reuß“ aus.6 Mit den zunehmenden Aktivitäten der Gruppe steigerte sich auch ihr Hineinwirken in die Region. Über die Jahre tauchten immer wieder Schreiben auf, teils in der Öffentlichkeit, teils in Briefkästen eingeworfen, die die Ideologie der Gruppe Reuß in die Gemeinde trugen. So hingen 2021 Aushänge unweit des Jagdschlösschens: Aufgerufen wurde zur Wahl eines Verwesers, der im Falle der Abwesenheit des Regenten die Ämter übernehmen würde.7 Im Sommer 2022 fanden viele Anwohner:innen Bad Lobensteins ein Schreiben in ihrem Postkasten, in welchem ihnen erklärt wurde, sie seien staatenlos.8 Der Einwurf enthielt gleichzeitig das Angebot, bei einer Online-Meldestelle „Reichsdokumente“ zu beantragen. Trotz dieser Umtriebe unterhielt der parteilose Bürgermeister der Stadt Bad Lobenstein persönliche Kontakte zu Prinz Reuß und lud diesen beispielsweise zu einer Veranstaltung ein. Auch konnte Prinz Heinrich auf Verbindungen bis in das Berliner Regierungsviertel setzen: Die ehemalige Juristin und Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann (AfD) spielte eine zentrale Rolle innerhalb der Gruppe und sollte nach dem Systemsturz Justizministerin werden. Daneben führte die Gruppe, die auch zahlreiche ehemalige Soldaten in ihren Reihen hatte, Schießübungen durch, sammelte Munition und Waffen und verfügte mit Malsack-Winkelmann über Insiderwissen über das Bundestagsgebäude. Am „Tag X“ sollten dort Geiseln genommen werden um die Kontrolle über die BRD zu übernehmen. Nach dem geplanten Abschaffen des demokratischen Systems hätte in der Logik der Verschwörer das alte Kaiserreich sozusagen nur noch reaktiviert werden müssen – und zwar in den Grenzen von 1871 mit 26 Bundesstaaten, also auch Teilen Polens, Tschechiens und Elsass-Lothringens.

Trotz der Inhaftierung von Prinz Reuß und zahlreichen Mitstreiter:innen im Dezember 2022 tauchen in Thüringen immer wieder Schreiben der sogenannten „Wahlkommission Reuß“ auf: So wurden Anwohner:innen zwischen Ende Oktober und Ende November 2024 aufgefordert, an einer Scheinwahl im Namen der Wahlkommission Reuß teilzunehmen.9 Die verschiedenen Gruppen um Heinrich XIII. weisen zwar personelle Überschneidungen auf, sind aber nicht identisch. Sie bezeugen allerdings einen Radikalisierungsprozess von einem selbsternannten Fürsten und einem Umfeld, das sich immer weiter von der Alltagswelt der Mehrheitsgesellschaft entfernt.

Geschichtsrevisionistische Parallelwelt

Das Jagdschloss Waidmannsheil und Heinrich XIII. Prinz Reuß stehen sinnbildlich für die Versuche der Reichsbürger:innenszene, eine geschichtsrevisionistische Parallelwelt zu konstruieren, in der die demokratische Struktur und die Realität der Bundesrepublik Deutschland delegitimiert werden soll. Durch die Verfälschung historischer Ereignisse – etwa durch antisemitische Erzählungen über den Ersten Weltkrieg oder die Konstruktion eines vermeintlich fortbestehenden Deutschen Kaiserreichs – zielen Reuß und seine Anhänger:innen darauf ab, ihre antidemokratischen Ambitionen als scheinbar historisch legitim darzustellen. Die Verzerrung der Geschichte, wie sie Reuß betreibt, schafft einen Nährboden für Antisemitismus, die Delegitimierung der Demokratie und die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Das Festhalten an einer fiktiven Vergangenheit dient dabei als Grundlage, um in der Gegenwart Feindbilder aufzubauen und politische Umstürze vorzubereiten, wie die mutmaßlich geplanten Aktionen rund um das Jagdschloss eindrücklich zeigen. Trotz der Razzien, der Inhaftierungen und der umfassenden Ermittlungen scheinen Teile des Umfelds von Prinz Reuß weiter aktiv zu sein, wie die erneute Aufforderung zu Scheinwahlen im Herbst 2024 zeigt. Im Jagdschloss selbst ist es seit den Razzien ruhig geworden – die Idee von Prinz Reuß scheint jedoch weiter fortzuleben. 

[1] Anja Löffler: Reußische Residenzen in Thüringen, Weimar 2000, S. 351–352.

[2] Jagdschloss Waidmannsheil. alleburgen.de, URL: https://www.alleburgen.de/bd.php?id=7744 (28.11.2024).

[3] Markus Vonberg: Was den Putsch-Prinzen mit dem Hotzenwald verbindet. In: Südkurier (2022).

[4] Ebd.

[5] Heinrich XIII. Prinz Reuß - Rede beim WORLDWEBFORUM. Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=QZA7xFL1N_o (28.11.2024).

[6] Ludwig Kendzia/Bastian Wierzioch/Axel Hemmerling: Hinweise auf bisher unbekannte geheime Reuß-Gruppe. MDR Thüringen, dort datiert 30.07.2024, URL: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/reuss-reichsbuerger-verschwoerung-geheime-gruppe-100.html (01.12.2024).

[7] Peter Hagen: „Verweser“-Wahl in Saaldorf angekündigt. OTZ, dort datiert 30.04.2021, URL: https://www.otz.de/regionen/bad-lobenstein/article232183371/Verweser-Wahl-in-Saaldorf-angekuendigt.html.

[8] Adefunmi Olanigan/Jannis Holl: Immer Ärger mit dem Prinzen. TAZ, dort datiert 10.12.2022, URL: https://taz.de/Ein-Ortsbesuch-in-Thueringen/!5898638/ (01.12.2024).

[9] Bastian Wierzioch: Aufrufe zu Schein-Wahlen von „Wahlkommission Reuß“ - Wer steckt dahinter? MDR Thüringen, dort datiert 28.11.2024, URL: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/reichsbuerger-reuss-wahl-prozess-106.html#sprung0 (01.12.2024).


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