Offene NS-Verherrlichung
Ähnlich wie im südthüringischen Schleusingen fand in Friedrichroda jährlich ein geschichtsrevisionistisches Treffen zum sogenannten „Heldengedenken“ statt. Die Veranstaltung wurde mindestens seit 2002 durchgeführt. Die Teilnehmer:innenzahl bewegte sich in der Regel zwischen 50 und 100 Personen, die ausschließlich dem neonazistischen Spektrum zuzuordnen waren. Die Organisatoren knüpften offen an den historischen Nationalsozialismus an.
War bereits der in der Weimarer Republik eingeführte Volkstrauertag eine gesellschaftlich umstrittene, weil geschichtsrevisionistische, Veranstaltung, war das von den Nationalsozialisten eingeführte „Heldengedenken“ offene Heroisierung der kämpfenden Soldaten. Das Heldengedenken hatte eine zentrale ideologische Rolle im Nationalsozialismus. Im Kontext des vermeintlichen Ehrentages, der jährlich im März begangen wurde, unternahm die NSDAP-Führung aggressive, politische Schritte wie z.B. die Remilitarisierung des Rheinlands, den Einmarsch in Österreich oder die Zerschlagung der „Rest-Tschechei“.
Friedrichroda im Speziellen hat eine besondere Rolle für das geschichtsrevisionistische „Heldengedenken“. In der kleinen Gemeinde wurden Flugzeuge des Typs Horten IX produziert. Diese „Wunderwaffe“ der Nationalsozialisten sollte, ähnlich den V-Waffen, die erhoffte Wende im Krieg gegen die Alliierten bringen. Das „Nurflügler-Flugzeug“ mit Tarneigenschaften kam jedoch nie in Serienproduktion.1Ähnlich wie in den unterirdischen Produktionsstätten des KZ Mittelbau-Dora wurden Zwangsarbeiter:innen zur Herstellung der Horten IX eingesetzt. Diese frühe Form des Düsenjets steht für Geschichtsrevisionist:innen symbolisch für die vermeintliche Überlegenheit des „Dritten Reichs“. Die von Gotha nach Friedrichroda verlegten Produktionsstätten wurden durch amerikanische Bombardements im Februar 1945 stark beschädigt. Neben der Produktion der „Wunderwaffe“ gab es in der Ortschaft noch bis zum 07. April 1945 Gefechte, bevor die amerikanischen Truppen die Gemeinde einnahmen. Das Kämpfen „bis zum letzten Mann“ als heldenhafter Akt des Soldatentums wurde in den Redebeiträge immer wieder betont. Die Verbindung von Glorifizierung der technischen Möglichkeiten der NS-Rüstungsindustrie und der Heroisierung des Kampfes bis zum Schluss machte Friedrichroda zu einem attraktiven Ort für offene NS-Verherrlichung.
Die Neonazi-Szene in Thüringen hatte sich jahrelang auf den offiziellen Volkstrauertag im November als Tag der Durchführung für das „Heldengedenken“ in Friedrichroda geeinigt. 2019 knüpften die Organisatoren direkt an den von der NSDAP vorgegebenen Märztermin an.
Ehrenvolle Niederlage und Dolchstoßlegende
Die aus dem organisatorischen Umfeld selbst publizierten Materialien zur Mobilisierung strotzten in der Vergangenheit nur so vor Verherrlichung des Vernichtungskrieges der Wehrmacht. Die in Videoform festgehaltenen Redebeiträge drehten sich vor allem um die Heroisierung der Soldaten und offene Reproduktion geschichtsrevisionistischer Narrative. Neben der Betonung des „ehrenvollen Kampfes“ der Wehrmacht und der bedingungslosen Unterstützung an der Heimatfront wurde beispielsweise 2018, im Anbetracht des 100-jährigen Jubiläums des Endes des 1. Weltkrieges, offen die Dolchstoßlegende verbreitet. Das erste große „Ringen der Völker“ sei durch einen „schmählichen Verrat von deutschen sogenannten Kommunisten und Sozialdemokraten“ verloren gegangen, die der „kämpfenden Front in den Rücken gefallen“ seien.
Kein Heldengedenken mehr in Friedrichroda?
In den letzten Jahren hat sich die thüringische Neonaziszene nicht mehr organisiert in Friedrichroda getroffen. Ob dies am kleinen, aber kontinuierlichen Gegenprotest, der Corona-Pandemie oder anderweitigen Gründen lag, ist bis dato unbekannt.
1 Ulrich Jäger: Hitlers Traum vom Tarnbomber. In: Spiegel (2009).