Vom Morgenthau-Plan zur Schuldenbremse
Björn Höcke, der Thüringer AfD-Landesvorsitzende, zog eine Parallele zwischen der geplanten Gesetzesänderung und dem sogenannten Morgenthau-Plan. Dieses 1944 vom US-Finanzminister Henry Morgenthau entwickelte Konzept sah vor, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in einen demilitarisierten Agrarstaat zu verwandeln. Durch eine Indiskretion gelangte der Plan an die Öffentlichkeit, woraufhin Joseph Goebbels ihn propagandistisch ausschlachtete. Er verwies gezielt auf Morgenthaus jüdische Herkunft und stilisierte das Konzept unter dem Titel „Judas Mordplan“ als vermeintlichen Beweis für eine geplante Vernichtung Deutschlands. In Wirklichkeit verwarf die US-Regierung den Vorschlag rasch, und er wurde nie offizielle Politik. Dennoch dient er der extremen Rechten bis heute als vermeintlicher Beleg für angebliche alliierte oder jüdische Vernichtungspläne gegen Deutschland.
Höcke bedient sich dieses Mythos und wirft CDU, SPD und Grünen vor, einen „volkswirtschaftlichen Selbstmord“ zu planen. Durch diese Äußerung suggeriert er eine kontinuierliche Verschwörung gegen Deutschland und stellt die beteiligten Parteien als Handlanger vermeintlich deutschenfeindlicher Kräfte dar. Diese Rhetorik bedient
Die Mobilisierung historischer Feindbilder
Doch nicht nur der Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD nutzte historische Bezüge, um gegen die Reform zu mobilisieren. Durch einen neonazistischen Telegram-Kanal wurde eine Grafik verbreitet, die Friedrich Merz als Peitsche schwingenden Ausbeuter darstellt. Das Original stammt aus einer rechtsextremen Kampagne gegen den Young-Plan aus dem Jahr 1929, der die deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg neu regeln sollte. NSDAP, DNVP, Stahlhelm und Alldeutscher Verband schlossen sich damals zum „Reichsausschuß für das Volksbegehren gegen den Young-Plan“ zusammen und initiierten das sogenannten „Freiheitsgesetz“. Ziel war die Ablehnung des Young-Plans, das Rückgängigmachen der Ergebnisse des Versailler Vertrags sowie Zuchthausstrafen für die Unterzeichner des Abkommens.1


In der Wiederbelebung der Propaganda gegen den Young-Plan wird Friedrich Merz als Wiedergänger „deutschenfeindlicher“ Interessen dargestellt. Die gezogene Parallele zwischen den Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg und der Reform der Schuldenbremse soll eine kontinuierliche Verschwörung gegen Deutschland suggerieren, in der das Volk durch finanzielle Belastungen unterdrückt wird. Merz wird in diesem Bild als Handlanger einer übermächtigen, antisemitisch konnotierten Verschwörergruppe dargestellt. Unter dem Post positionierten die Macher einen Bezug zur Antike: "Deutschland, hüte Dich vor den Iden des Merz (sic)!" – eine Anspielung auf die Ermordung Julius Caesars und eine implizite Drohung.
Strafbedürfnis und Antisemitismus am rechten Rand
Ganz im Einklang mit der Reaktivierung historischer Propaganda gegen den Young-Plan und den damit verbundenen Rachegelüsten agierten auch andere rechtsextreme Akteure: So forderte „Die Heimat“ (ehemals NPD) ein "Sondergericht statt Sondervermögen", um die ausgemachten "Volksverräter" zur Rechenschaft zu ziehen.2 Nach der Abstimmung im Bundestag verschärfte sie ihre Rhetorik sogar noch: „Euer Nürnberg wartet!“3 – ein direkter Bezug auf die Nürnberger Prozesse, die hier bewusst ins Gegenteil verkehrt werden. Die rechtsextreme Kleinstpartei „Der III. Weg“ knüpfte an die angebliche Verschwörung gegen Deutschland an und forderte die Abschaffung des Zinssystems.4 Das Geld- und Zinssystem gilt Antisemit:innen seit jeher als „jüdisch“: Auch die Nazis konstruierten einen Gegensatz zwischen angeblich „raffendem“, jüdischem Kapital und „schaffender“, deutscher Arbeit. Komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge werden dabei antisemitisch verzerrt und auf Jüd:innen projiziert. Diese Beispiele zeigen nicht nur die Kontinuität des Antisemitismus als Welterklärungsideologie, sondern auch die fortwährenden Gewalt- und Rachefantasien innerhalb der rechtsextremen Szene.
Geschichtstverfälschung als Strategie
Rechtsextreme Kräfte nutzen die Debatte um die Schuldenbremse, um gezielt Verunsicherung zu schüren. Sie inszenieren die etablierten Parteien als Handlanger vermeintlich „deutschenfeindlicher“ Interessen und greifen auf historische Verzerrungen sowie NS-Propaganda zurück. Dabei bedienen sie sich eines fortwährenden Verschwörungsnarrativs, in dem antisemitisch konnotierte Mächte Deutschland durch finanzielle Belastungen gezielt schwächen würden – eine Erzählung, die sich auch schon im frühen 20. Jahrhundert in der extremen Rechten findet.
Während Parteien wie „Die Heimat“ oder „Der III. Weg“ größtenteils politisch bedeutungslos geworden sind, konnte die AfD zuletzt erhebliche Stimmengewinne verzeichnen. Mit der zunehmenden Radikalisierung der Partei, insbesondere durch die Integration von Figuren wie Krah oder Helferich, dürfte der rechtsextreme Geschichtsrevisionismus weiter an Bedeutung gewinnen – mit gefährlichen Folgen für Demokratie und Erinnerungskultur.
[1] Arnulf Scriba: Der Young-Plan. Lebendiges Museum Online, dort datiert 02.09.2014, URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/aussenpolitik/young-plan-1929 (20.03.2025).
[2] Es ist möglich, dass „Die Heimat“ hierbei auf die von der NSDAP eingeführten Sondergerichte anspielt.
[3] Die Heimat: Schulden-Hochverrat gegen den Frieden: Das Volk wird euch richten! Telegram, dort datiert 18.03.2025, URL: https://t.me/heimat2023/933 (20.03.2025).
[4] Noch mehr Schulden: CDU einigen sich mit Grünen. Der Dritte Weg, dort datiert 15.03.2025, URL: https://der-dritte-weg.info/2025/03/noch-mehr-schulden-cdu-einigen-sich-mit-gruenen/ (20.03.2025).