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Der Überfall auf die Sowjetunion als "Präventivkrieg"?

Am 22. Juni 1941 begann mit dem Überfall auf die Sowjetunion die sogenannte „Operation Barbarossa“. Bis heute versuchen rechtsextreme Akteure, diesen Angriff als angeblichen „Präventivkrieg“ zu deuten – Deutschland habe damit lediglich einem bevorstehenden sowjetischen Angriff zuvorkommen wollen. Diese These ist historisch nicht haltbar: Umfangreiche Quellen belegen eindeutig die langfristige und offensive Planung durch das NS-Regime.

Deutsche Soldaten brennen ein sowjetisches Dorf während der "Operation Barbarossa" im Sommer 1941 nieder.
Deutsche Soldaten brennen ein sowjetisches Dorf während der "Operation Barbarossa" im Sommer 1941 nieder. ©Imperial War Museum, aufgerufen am 26.06.2025

Ideologischer Hintergrund und Kriegsplanung

Die NS-Außenpolitik basierte auf einer völkisch-rassistischen Weltanschauung: Ziel war die Eroberung von „Lebensraum im Osten“, die mit der Vertreibung, Versklavung und Ermordung der dort lebenden  Bevölkerung einhergehen sollte. Hitler verstand den geplanten Angriff auch als Kampf zweier Weltanschauungen: „Die jüdisch-bolschewistische Intelligenz, als bisheriger 'Unterdrücker' des Volkes, muss beseitigt werden."1 Diese Ideologie war Grundlage der deutschen Ostexpansion und floss direkt in die militärische Planung ein.

Bereits in "Mein Kampf" formulierte Hitler seine Absicht, Gebiete in der Sowjetunion zu erobern.2 Nur vier Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler informierte er die Heeresführung über seine Pläne zur „Eroberung neuen Lebensraums im Osten.“3 In der Denkschrift zum Vierjahresplan von 1936 betonte er die Notwendigkeit der kriegswirtschaftlichen Vorbereitung – spätestens bis 1940 müsse die Wehrmacht einsatzfähig sein.4 Auch die sogenannte Hoßbach-Niederschrift von 1937 dokumentiert Hitlers Absicht, das „Problem des Raumes“ militärisch zu lösen.5 Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt von 1939 (inklusive geheimem Zusatzprotokoll zur Aufteilung Polens) war taktisch motiviert: Er sollte die sowjetische Neutralität sichern, um zunächst Polen zu zerschlagen und danach den „Westfeldzug“ gegen Frankreich zu führen. Weitere Verträge mit der Sowjetunion blieben Makulatur, denn bereits in Hitlers Weisung Nr. 21 vom 18. Dezember 1940 wurde der Überfall auf die Sowjetunion („Fall Barbarossa“) konkret dargelegt.6 Am 22. Juni 1941 griffen über 150 deutsche Divisionen in drei Heeresgruppen die Sowjetunion an.

Bereits im zweiten Band von „Mein Kampf“ (1926) entwarf Hitler konkrete Expansionspläne nach Osten. Sein Weltbild basierte auf der Vorstellung eines germanischen „Herrenmenschentums“ und war durch Antisemitismus, antislawischen Rassismus und fanatischen Antikommunismus geprägt – ideologische Grundpfeiler, die später die nationalsozialistische Politik maßgeblich bestimmten.
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Bereits im zweiten Band von „Mein Kampf“ (1926) entwarf Hitler konkrete Expansionspläne nach Osten. Sein Weltbild basierte auf der Vorstellung eines germanischen „Herrenmenschentums“ und war durch Antisemitismus, antislawischen Rassismus und fanatischen Antikommunismus geprägt – ideologische Grundpfeiler, die später die nationalsozialistische Politik maßgeblich bestimmten. ©Screenshot, Mein Kampf: Eine kritische Edition, 13. Auflage, S. 326
In der "Weisung Nr. 21" vom 18. Dezember 1940 legte Adolf Hitler seine konkreten Kriegsplanungen gegenüber der Sowjetunion dar.
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In der "Weisung Nr. 21" vom 18. Dezember 1940 legte Adolf Hitler seine konkreten Kriegsplanungen gegenüber der Sowjetunion dar. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 26.06.2025
In der Weisung zeichnete er sowohl die Aufteilung in drei Heeresgruppen sowie die militärische Planung vor.
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In der Weisung beschrieb er sowohl die Aufteilung in drei Heeresgruppen als auch das konkrete militärische Vorgehen. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 26.06.2025

Die Präventivkriegsthese: Eine widerlegte Legende

Trotz der erdrückenden Beweislast für die deutsche Angriffsplanung behaupteten revisionistische Autoren wie Ernst Nolte oder David Irving, Deutschland sei einem sowjetischen Angriff zuvorgekommen. Unterstützung erhielt diese Position in den 1980er Jahren durch Veröffentlichungen eines ehemaligen sowjetischen Geheimdienstmitarbeiters im Exil, der unter dem Pseudonym Wiktor Suworow publizierte.

Der Fall Suworow: Vom Überläufer zum revisionistischen Kronzeugen

Suworow behauptete, Zugang zu geheimen Dokumenten über sowjetische Angriffspläne zu haben – dafür fehlen jedoch sämtliche Belege. Zitate in seinem Werk sind nachweislich manipuliert. So änderte er etwa eine Aussage des sowjetischen Generalmajors W. Semjonow: „Wir waren genötigt, diese Reserven, statt sie, wie es dem Plan entsprochen hätte, für den Gegenangriff zu verwenden, zur Verteidigung einzusetzen.“ Suworow verfälschte dies zu: „Wir waren genötigt, diese Reserven, statt sie, wie es dem Plan entsprochen hätte, für die Offensive zu verwenden, zur Verteidigung einzusetzen.“7 

Solche Fälschungen zeigen, dass Suworow seine These bewusst durch irreführende „Beweise“ zu stützen suchte. Die sowjetische Militärstrategie zu jener Zeit beruhte auf dem Prinzip des Gegenangriffs im Falle einer feindlichen Invasion.8 Das erklärt auch das Fehlen ausgebauter Befestigungen an der Westgrenze, das Revisionisten fälschlich als Beleg für Offensivabsichten deuten. Suworows Popularität, vor allem im rechten Lager, speist sich nicht aus historischer Substanz, sondern aus seinem Auftreten als vermeintlicher Kronzeuge zur Entlastung Deutschlands.

Stalins Zögern

Die sowjetische Zurückhaltung vor dem 22. Juni 1941 war von politischen Überlegungen geprägt, nicht von Angriffsabsichten. Stalin fürchtete, Großbritannien könnte mit Hitler einen Separatfrieden schließen – ein Verdacht, der durch den „Friedensflug“ Rudolf Heß’ im Mai 1941 verstärkt wurde. Trotz zahlreicher Hinweise auf einen bevorstehenden deutschen Angriff setzte Stalin auf Deeskalation. Erst am 18. Und 19. Juni 1941 wurden die Boden- und Luftstreitkräfte angewiesen, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.9 

Auf Telegram verbreitete am 22. Juni 2025 ein dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnender Kanal die Legende vom angeblichen Präventivkrieg.
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Auf Telegram verbreitete am 22. Juni 2025 ein dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnender Kanal die Legende vom angeblichen Präventivkrieg. ©Screenshot, Telegram-Kanal "Zeitgeschehen Barbarossa", aufgerufen am 26.06.2025
In dem Posting wurde nicht nur auf Viktor Suworow als vermeintlichen Kronzeugen verwiesen, sondern auch die mangelnde sowjetische Defensive als "Beweis" für die angeblichen Angriffspläne gewertet.
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In dem Posting wurde nicht nur auf Viktor Suworow als vermeintlichen Kronzeugen verwiesen, sondern auch die mangelnden sowjetischen Verteidigungsstellungen als "Beweis" für die angeblichen Angriffspläne gewertet. ©Screenshot, Telegram-Kanal "Barbarossa Zeitgeschehen", aufgenommen am 26.06.2025

Der Mythos lebt – Revisionismus in der Gegenwart

Die These vom Präventivkrieg lebt vor allem im rechtsextremen Spektrum weiter – besonders rund um den Jahrestag am 22. Juni. Dort wird Suworow bis heute als „Beleg“ herangezogen, ungeachtet der Fälschungen und Gegenbeweise. Auch innerhalb der AfD gibt es Bestrebungen, die Präventivkriegsthese zu rehabilitieren. Eine zentrale Figur ist der promovierte Historiker und Kreistagsabgeordnete Stefan Scheil. Seine Bücher erscheinen im Antaios-Verlag, der dem rechtsextremen Institut für Staatspolitik in Schnellroda zuzuordnen ist. Scheil lässt allgemein zugängliche Quellen und Beweise außen vor und behauptet stattdessen in einem Beitrag für das neurechte Blatt „Sezession“, die Sowjetunion hätte „zweifelsfrei auf den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hingearbeitet“ und „mit einem Angriff auf die deutschen Streitkräfte [beabsichtigt] in ihn einzutreten.“10 Eine Behauptung, für der er die Beweise allerdings schuldig bleibt.

Fazit

Die Operation Barbarossa war kein Präventivkrieg, sondern Teil einer lange vorbereiteten nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik. Die ideologischen Motive und militärischen Planungen lassen daran keinen Zweifel. Demgegenüber existieren keinerlei seriöse Belege für einen geplanten sowjetischen Angriff. Versuche, den deutschen Überfall als Verteidigungstat umzudeuten, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage – und dienen letztlich der Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen.

[1] Zitiert nach: Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus. Göttingen 2008, S. 157–158.

[2] Christian Hartmann/Thomas Vordermeyer/u.a. (Hrsg.): Hitler, Mein Kampf: Eine kritische Edition, 13. Aufl. München 2022, S. 316.

[3] Die sogenannte Liebmann-Aufzeichnung ist abgedruckt in: Wolfgang Michalka (Hrsg.): Das Dritte Reich. Volksgemeinschaft und Großmachtpolitik 1933-1939, Bd. 1. München 1985, S. 22.

[4] Ebd., S. 190.

[5] Ebd., S. 234. Geschichtsrevisionisten versuchen immer wieder das Protokoll als Fälschung darzustellen. Auch wenn die Niederschrift im Nachgang an die Unterredung mit Hitler entstand und sie dementsprechend nicht als Protokoll im wörtlichen Sinne gewertet werden darf, konnte der Vorwurf der Fälschung ausgeräumt werden. Siehe dazu: Hermann Graml: Hoßbach-Niederschrift. In: Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte, München, 1992, S. 97 ff.  

[6] Wolfgang Michalka: Das Dritte Reich. Weltmachtanspruch und nationaler Zusammenbruch 1939-1945, Bd. 2. München 1985, S. 49–50.

[7] Zitiert nach: Gabriel Gorodetsky: Stalin und Hitlers Angriff auf die Sowjetunion. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 37, H. 4, S. 645–672.656

[8] Ebd., S. 656.

[9] Ebd., S. 670.

[10] Stefan Scheil: Blindgänger um „Barbarossa“. In: Sezession 9 (2011), H. 43, S. 44–45, hier S. 44.


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