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Katyn: Verbrechen, Vertuschung und politische Instrumentalisierung

Tatsächliche und vermeintliche Verbrechen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg bilden einen zentralen Bestandteil geschichtsrevisionistischer Narrative. Sie werden gezielt eingesetzt, um die nationalsozialistischen Verbrechen zu relativieren und die moralische Glaubwürdigkeit der Alliierten infrage zu stellen. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist das Massaker von Katyn – ein von der sowjetischen Geheimpolizei verübter Massenmord an polnischen Offizieren, der sowohl vom NS-Regime propagandistisch instrumentalisiert wurde als auch heute von rechtsextremen Akteur:innen für revisionistische Zwecke aufgegriffen wird.

Blick auf den Eingang in den polnischen Ehrenfriedhof Katyn im Jahr 2013.
Blick auf den Eingang in den polnischen Ehrenfriedhof Katyn im Jahr 2013. ©https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Memorial_Katyn%27_12.jpg

Das Verbrechen


Am 3. April 1940 begann der sowjetische Geheimdienst NKWD auf Anordnung des Politbüros mit der systematischen Ermordung von über 20.000 polnischen Offizieren, Intellektuellen und Eliten. Die Opfer waren nach dem sowjetischen Einmarsch in Ostpolen infolge des Hitler-Stalin-Pakts interniert worden. Die Erschießungen fanden an mehreren Orten statt – unter anderem in Katyn bei Smolensk, Kalinin (Twer) und Charkiw – und wurden in anonymen Massengräbern verschleiert. Ziel war die dauerhafte Schwächung der polnischen Nation durch die Ausschaltung ihrer Führungsschicht. Die sowjetische Regierung leugnete über Jahrzehnte die eigene Täterschaft und beschuldigte stattdessen Deutschland. Erst 1990 räumte die UdSSR ihre Verantwortung offiziell ein.

Die NS-Propaganda und Katyn


Nach dem Fund der Massengräber durch die Wehrmacht im Frühjahr 1943 inszenierte das NS-Regime das Massaker propagandistisch. Mit forensischen Gutachten, Untersuchungskommissionen und großflächiger medialer Begleitung sollte die Sowjetunion moralisch diskreditiert und die eigene Kriegsführung nachträglich legitimiert werden. Dabei wurden antisemitische Narrative gezielt eingesetzt – etwa durch den Völkischen Beobachter, der am 15. April 1943 titelte: „Der Massenmord von Katyn: Das Werk jüdischer Schlächter.“1 Trotz dieser propagandistischen Anstrengungen blieb der Effekt begrenzt. Zwar brach die polnische Exilregierung zwischenzeitlich die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion ab, doch hielten die Westalliierten – trotz innerer Spannungen – am Bündnis mit Stalin fest. Im besetzten Polen verfehlte die NS-Darstellung die erhoffte Wirkung: Die brutale Realität der deutschen Besatzung ließ wenig Raum für propagandistische Umdeutungen. Innerhalb des Deutschen Reiches diente Katyn vor allem der Mobilisierung der Bevölkerung – insbesondere nach der Niederlage von Stalingrad. Gleichzeitig sollte die Kampagne von der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto ablenken.2

Katyn in den Nürnberger Prozessen


Auch in den Nürnberger Prozessen wurde Katyn thematisiert. Die sowjetische Anklage versuchte, das Massaker den Deutschen zuzuschreiben und führte es als Kriegsverbrechen an. Die westlichen Alliierten begegneten dieser Darstellung mit Skepsis, widersprachen ihr aber nicht offen – aus Rücksicht auf das fragile Bündnis mit der Sowjetunion. Die Verteidigung der deutschen Angeklagten nutzte Katyn hingegen, um sowjetische Verbrechen zu betonen und die eigenen Taten zu relativieren. Während Katyn noch in der Anklageschrift auftauchte, spielte es im Urteil keine Rolle mehr. Eine US-amerikanische Untersuchung bestätigt 1951/1952 die Schuld der Sowjetunion eindeutig.3

Aufarbeitung und Gedenken


Erst 1990 übernahm die sowjetische Regierung unter Michail Gorbatschow offiziell die Verantwortung für das Massaker von Katyn. In Polen entwickelte sich Katyn zu einem Symbol der nationalen Erinnerung – mit zahlreichen Gedenkstätten, Publikationen und internationalem Gedenken. In Russland bleibt der Umgang mit dem Verbrechen bis heute ambivalent: Nach einer Phase vorsichtiger Anerkennung und Aufarbeitung, unter anderem mit dem gemeinsamen Gedenken 2010 durch den damaligen polnischen Premier Donald Tusk und Präsident Wladimir Putin, ist seit einigen Jahren eine Rückkehr zu nationalistischen Geschichtsnarrativen zu beobachten. Diese relativieren die sowjetische Schuld oder verschweigen sie gänzlich. Ein Beispiel dafür ist die Eröffnung eines Museums in Katyn im Jahr 2018, das vor allem die russische Sichtweise betont. 2022 ließen die russischen Behörden die polnische Fahne vom Gedenkfriedhof entfernen – ein symbolischer Akt, der die zunehmende geschichtspolitische Revision markiert.4

Wiederbelebung durch die extreme Rechte


In der Gegenwart greifen rechtsextreme Kräfte das Massaker von Katyn gezielt auf, um NS-Verbrechen zu relativieren. So widmete das Compact Magazin dem Thema 2021 einen Artikel im Sonderheft "Geschichtslügen gegen Deutschland". Auch in der neonazistischen Szene wird Katyn immer wieder aufgegriffen – insbesondere am 13. April, dem Jahrestag der NS-Propagandakampagne von 1943. Dabei geht es nicht nur um die Wiederbelebung von historischer NS-Propaganda, sondern auch um deren Ausweitung: Katyn wird als pars pro toto instrumentalisiert, um tatsächliche NS-Verbrechen als weitere mögliche Inszenierung der Alliierten darzustellen. Diese Erzählung reiht sich ein in ein breites Muster geschichtsrevisionistischer Narrative, etwa rund um die Bombardierung Dresdens oder die Internierung deutscher Kriegsgefangener in den Rheinwiesenlagern. Ziel ist stets, deutsche Schuld zu relativieren und Täter-Opfer-Rollen umzudeuten.

Ein rechtsextremer Telegram-Kanal verbreitete am 13. April 2025, dem Jahrestag der NS-Propagandaaktion, einen Post zu Katyn.
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Ein rechtsextremer Telegram-Kanal verbreitete am 13. April 2025, dem Jahrestag der NS-Propagandaaktion, einen Post zu Katyn. ©https://t.me/Barbarossa_SMGI/8514
In dem Posting soll mit dem Verweis auf Katyn Zweifel an tatsächlichen NS-Verbrechen gesät werden.
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In dem Posting soll mit dem Verweis auf Katyn Zweifel an tatsächlichen NS-Verbrechen gesät werden. ©https://t.me/Barbarossa_SMGI/8514

Die Zurückhaltung der AfD

Auffällig ist, dass die AfD Katyn kaum thematisiert. Während die Partei sonst bereitwillig tatsächliche oder vermeintliche alliierte Verbrechen aufgreift, um deutsche Opfererzählungen zu stärken, bleibt sie bei Katyn zurückhaltend.5 Diese Zurückhaltung dürfte vor allem in der prorussischen Grundhaltung weiter Teile der Partei begründet liegen. Russland wird innerhalb der AfD vielfach als konservativer Gegenpol zum liberalen Westen und als strategischer Partner im Kampf gegen „Wokeness“ und „Globalismus“ wahrgenommen – wie etwa aus einem Positionspapier der Thüringer AfD vom Dezember 2024 hervorgeht.
Zwar thematisiert die AfD regelmäßig Verbrechen der Roten Armee an der deutschen Zivilbevölkerung, doch scheinen die polnischen Opfer nicht ins erinnerungspolitische Raster der AfD zu passen. Eine Auseinandersetzung mit Katyn würde zwangsläufig historische Bezüge zum Hitler-Stalin-Pakt, zu sowjetischer und deutscher Gewalt in Polen und zur komplexen Täter-Opfer-Konstellation aufwerfen – Themen, die der AfD-Narration eher widersprechen.

Einordnung

Das Massaker von Katyn steht exemplarisch für das Zusammenspiel von staatlicher Gewalt, gezielter Vertuschung und politischer Instrumentalisierung. Als Ausdruck brutaler stalinistischer Repressionspolitik wurde es über Jahrzehnte geleugnet, ehe eine öffentliche Anerkennung erfolgte. Die frühzeitige mediale Ausschlachtung durch das NS-Regime wie auch die heutige Vereinnahmung durch rechtsextreme Akteur:innen zeigen, wie historische Verbrechen zur Relativierung deutscher Schuld missbraucht werden. Gleichzeitig macht die strategische Zurückhaltung der AfD deutlich, in welchem Maße gegenwärtige politische Interessen Einfluss auf die Deutung der Historie nehmen. Auch in Russland lässt sich eine zunehmende Verdrängung der sowjetischen Verantwortung beobachten – eingebettet in ein Wiedererstarken nationalistischer Geschichtsnarrative. All dies verdeutlicht, dass Geschichtsschreibung stets auch ein Kampf um Deutungshoheit ist. Umso wichtiger ist eine differenzierte, faktenbasierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die Verbrechen wie Katyn klar benennt, ohne dabei revisionistischen oder nationalistischen Tendenzen Vorschub zu leisten.

[1] Zitiert nach: John P. Fox: Der Fall Katyn und die Propaganda des NS-Regimes. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 30 (1982), H. 3, S. 464.

[2] Wolfgang Benz: Kriegsverbrechen der Alliierten. In: Wolfgang Benz/Peter Reif-Spirek (Hrsg.): Geschichtsmythen: Legenden über den Nationalsozialismus, Berlin 2003, hier S. 69.

[3] Ebd., S. 70.

[4] Bundeszentrale für politische Bildung: Vor 85 Jahren: Verbrechen von Katyń. Bundeszentrale für politische Bildung, dort datiert 28.03.2025, S. 85, URL: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/203716/vor-85-jahren-verbrechen-von-katyn/ (10.06.2025).

[5] Eine Ausnahme bildet der Geschichtsrevisionist und AfD-Politiker Stefan Scheil, der die russlandfreundliche Linie der AfD regelmäßig kritisiert.


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