Ursprung
Der Begriff des „Bombenholocaust“ wurde durch Abgeordnete der NPD im sächsischen Landtag in den 2000er Jahren populär gemacht. Teile der geschichtsrevisionistischen Erzählung gehen unmittelbar auf historische NS-Propaganda zurück. Das damalige Ministerium unter Joseph Goebbels positionierte gezielt Desinformationen bei ausländischen Nachrichtenagenturen über die vermeintlich sinnlose Zerstörung der Kulturstadt Dresden mit hunderttausenden Toten. Versatzstücke der NSDAP-Propaganda von z.B. „amerikanischen Killern“ wurden später in die antiwestliche Rhetorik der DDR integriert und Teil des offiziellen Gedenkens der Stadt. In der jüngeren Vergangenheit griffen rechtsextreme Kräfte das Thema immer wieder auf: So auch der Vorsitzende der Thüringer AfD, Björn Höcke. Dieser nahm 2010 an einem der neonazistischen Gedenkmärsche in Dresden teil, wie die Partei selbst bestätigte.1
Zentraler Inhalt
Ein Teil des Mythos dreht sich um die Stadt selbst: Die sächsische Hauptstadt wäre militärisch unbedeutend gewesen, kriegsrelevante Ziele hätte es nicht gegeben. Die Zerstörung des kulturellen Zentrums Sachsens kurz vor Kriegsende wird so als bloßer Racheakt der Alliierten dargestellt. Neben der vermeintlich unbedeutenden Rolle Dresdens im NS nimmt die Diskussion um die Opferzahlen eine zentrale Rolle ein: Revisionist:innen behaupten häufig 300.000 Tote und mehr. Die vielen Opfer wären in weiten Teilen nicht in den offiziellen Statistiken aufgetaucht, weil sie als nicht registrierte Flüchtlinge aus dem Osten kamen. Außerdem seien viele Menschen aufgrund der hohen Temperaturen im Feuersturm „restlos“ verbrannt.
Zum Komplex des Mythos um die Bombardierung Dresdens gehören auch Augenzeug:innenberichte über grausame Kriegstaktiken der britischen bzw. amerikanischen Luftstreitkräfte: So hätten alliierte Tiefflieger gezielt auf einzelne Zivilisten auf den Elbwiesen geschossen und so ein „Blutbad“ angerichtet. Die Alliierten hätten zudem Phosphorbomben verwendet, um einen vernichtenden Feuersturm in Dresden auszulösen und die Opferzahlen nach oben zu treiben.
Historischer Kontext
Dresden hatte im Nationalsozialismus sowohl für den Gau Sachsen als auch überregional eine wichtige Rolle inne. Die Stadt war ein verkehrstechnischer Kotenpunkt, bedeutend für die NS-Kulturpolitik und entwickelte sich insbesondere nach Kriegsbeginn zu einer wichtigen Stätte der Rüstung. Durch Dresden verliefen wichtige Bahnstrecken z.B. nach Wien, Leipzig oder Berlin. Die sächsische Hauptstadt war Sitz des Kommandos des IV. Wehrbezirks und eine der größten Garnisonsstädte. Ab 1936 befand sich im Stadtteil Klotzsche eine Luftkriegsschule.2 Im Krieg galt die Elbe als die letzte zu verteidigende Rückzugslinie vor der Roten Armee und ihren Panzern. Bereits 1940 befanden sich im Dresdner Stadtgebiet 20 Unternehmen, die für die Kriegswirtschaft produzierten.3 Bis zum Ende der Kampfhandlungen im Mai 1945 waren im Raum Dresden bis zu 240 Unternehmen beteiligt.4 Betriebe, wie z.B. die Goehle-Werke der Zeiss Ikon AG, griffen auf jüdische Zwangsarbeiter:innen aus dem sogenannten „Judenlager Hellerberg“ zurück.5 Bis zum Kriegsende produzierte das lange Zeit frontferne Dresden als eine der letzten Städte in großem Stil Rüstungsgüter aller Art für den Vernichtungskrieg der Nationalsozialist:innen.6 Zehntausende Zwangsarbeiter:innen schufteten in zahlreichen Dresdner Betrieben bis zuletzt.
Mit dem Vorrücken der Roten Armee im Osten trieben die Nationalsozialist:innen die letzten Insassen der Konzentrationslager in sogenannten Todesmärschen in Landesinnere. Im Jahr 1945 passierten mindestens drei davon Dresden. Mit dem Zurückschlagen der Wehrmachtsverbände durch die Alliierten intensivierte sich auch der Luftkrieg über Mitteldeutschland.7 Zahlreiche Deutsche flohen vor den Kampfhandlungen in die Gegend in und um die sächsische Hauptstadt. Die tatsächliche Anzahl der im Februar 1945 in Dresden befindlichen Flüchtlinge ist schwer zu ermitteln. Die von der Stadt eingesetzte Historiker-Kommission geht in ihrem Abschlussbericht von einigen 10.000 bis maximal 200.000 im Stadtgebiet aus.8 Vor den drei Angriffswellen der alliierten Luftstreitkräfte zwischen dem 13. Und 15. Februar flohen viele Bürger:innen in die gering ausgebauten Luftschutzanlagen. Die vorhandenen Bunker waren ausschließlich der „Volksgemeinschaft“ vorbehalten. Jüd:innen, Zwangsarbeiter:innen oder Kriegsgefangene waren ausgeschlossen, mussten aber im Nachgang Trümmer beseitigen und Leichen bergen.
Einordnung
Weite Teile des Mythos um die Bombardierung Dresdens zwischen dem 13. und 15. Februar haben ihre Wurzeln in einer gezielte Desinformationskampagne aus dem NS-Propaganda-Ministerium. Dieses platzierte frühzeitig Meldungen über die sinnlose Zerstörung der Kulturstadt Dresden. Eine schwedische Tageszeitung berichtete eine Woche nach den Angriffen, in Berufung auf Berliner Quellen, von 200.000 Toten.9 Weitere internationale Medien gaben die Falschmeldung z.T. unkritisch wieder. Dies wird bis heute von Rechtsextremen als Beweis für die vermeintlich höheren Opferzahlen angesehen. Tatsächlich meldete der Dresdener Polizeipräsident am 15. März 1945, einen Monat nach den Angriffen, lediglich 25.000 Tote nach Berlin.10 Behauptungen heutiger Geschichtsrevisionist:innen über massenhafte „restlose“, Verbrennungen von Leichen während des Bombardements durch enorme Hitze konnten von Fachleuten der Dresdener Historiker Kommission widerlegt werden. Die dafür notwendigen Temperaturen hätten, wenn überhaupt, allerhöchstens an vereinzelten Stellen entstehen können.11 Für die häufig ins Feld geführte Unterstellung, die zahlreichen Geflüchteten in der Stadt seien nicht in den Statistiken aufgetaucht, konnten keinerlei Beweise gefunden werden. Auswärtige Luftkriegstote wurden ebenso registriert und bestattet wie Einheimische. Eine bedeutend hohe Zahl an Flüchtlingen unter den Toten konnte nicht festgestellt werden.12
In den ursprünglichen Meldungen des NS-Propagandaministeriums ist zudem bereits die Darstellung Dresdens als unschuldige Kulturstadt, im Gegensatz zur „alliierten Barbarei“, angelegt. Gegen dieses Bild sprechen die zahlreichen Rüstungsunternehmen und die militärische Rolle als Garnisonsstadt. Die sächsische Hauptstadt war, wie viele andere Großstädte auch, ein Ort der nationalsozialistischen Herrschaft. Zwangsarbeit, Deportationen und Todesmärsche passten jedoch nicht in das von der NS-Elite nach außen dargestellte Bild. Der Luftkrieg um Dresden selbst war, entgegen der Darstellung der NSDAP und heutiger Revisionist:innen, keinesfalls sinnlos. Der Zeitpunkt der deutschen Niederlage war im Februar 1945 noch nicht abzusehen. Die West-Alliierten hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal den Rhein überschritten. Das von vor allem Briten, später auch Amerikanern durchgeführte „area bombing“ selbst war in den beiden Ländern durchaus umstritten. Schlussendlich fand es jedoch eine relative Akzeptanz angesichts der Angriffe auf zivile Ziele in Großbritannien durch die deutsche Luftwaffe seit 1940.
In Bezug auf die von Augenzeug:innen berichteten Tieffliegerangriffe gab der Historiker Alexander von Plato zu bedenken, dass aufgrund des Feuers und der Rauchentwicklung derartige Tiefflüge unmöglich und unterhalb der eigenen, alliierten Bomben zudem extrem riskant gewesen sein. Die Begleitflugzeuge waren zum Schutz der Bomberstaffel eingesetzt. Ein Verlassen der Formation hätte Befehlsbruch bedeutet.13 Bei Grabungen, die im Zuge der Dresdener Historiker-Kommission durchgeführt wurden, konnte keine entsprechende Munition gefunden werden.14 Die sehr unterschiedlich ausfallenden Augenzeug:innenberichte lassen sich wahrscheinlich mit Luft-zu-Luft-Gefechten zwischen alliierten Begleitflugzeugen und deutschen Abfangjägern oder Sekundär-Explosionen erklären. Die feste Überzeugung einiger Überlebender, die Tiefflieger wirklich gesehen zu haben, könnte eher für eine Verbindung von individuellem Trauma und „zu stereotypen Formen verronnene Versatzstücke […] der kollektiven Erinnerung“15 sprechen. Der vermeintliche Einsatz von Phosphorbomben ist wiederum ein Überbleibsel alter NS-Propaganda. Diese Desinformation wurde 1945 gezielt im Ausland positioniert, um die „grausame Kriegsführung der Westmächte“16 zu betonen. Zentrale Elemente revisionistischer Agitation im Kontext der Bombardierung Dresdens entstammen also der Feder der NS-Propaganda.
Auseinandersetzungen um die Erinnerung
Nach dem Ende der NS-Herrschaft begann eine von der zunehmenden Konfrontation der Blockstaaten geprägte Auseinandersetzung um die Erinnerung. Das Andenken an die Bombardierung Dresdens wurde frühzeitig für politische Zwecke eingespannt. Bereits 1946, unter sowjetische Besatzung, erhöhte das Meldeamt der Stadt Dresden ohne faktische Grundlage die Zahl von ursprünglichen 25.000 auf 35.000 Tote.17 Diese Zahl war während der SED-Herrschaft quasi unumstritten. Wissen über die Mittäterschaft weiter Teile der deutschen Bevölkerung an nationalsozialistischen Verbrechen wurde bald ersetzt durch ein Entlastungsnarrativ: Hitler und seine Herrschaftsclique seien die Alleinschuldigen. Das deutsche Volk, so die spätere SED-Linie, sei benutzt worden. Der „erste antifaschistische Staat auf deutschem Boden“ bot so ehemaligen Täter:innen und Mitläufer:innen eine Möglichkeit zur Integration in die neue Gemeinschaft. Gleichzeitig wurde mit der verbalen Aggression gegen den Westen ein altes Feindbild wiederbelebt, das mit den Erfahrungen der Dresdener Bevölkerung im Zuge der alliierten Bombardierung kompatibel war. Die Verbrämung der ehemaligen West-Alliierten als „anglo-amerikanische Kriegstreiber“ bot die Möglichkeit kollektiver Schuldumkehr. Erst in den 80er Jahren gab es durch die auch in der DDR aufkommenden Friedensbewegung alternative Deutungen zum offiziellen DDR-Narrativ in Bezug auf die Bombardierung Dresdens.
Mit dem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stellte sich die Frage der Erinnerung für die Dresdener Stadtgesellschaft neu. Neonazis belebten bereits in den 1990er Jahren alte NS-Propaganda wieder und führten den zwischenzeitlich größten, rechtsextremen Aufmarsch Europas durch. Mit Hilfe von umfangreichem, zivilgesellschaftlichem Engagement konnten die revisionistischen Umtriebe allmählich zurückgedrängt werden. Die Politik versuchte mit Hilfe der eingesetzten Historiker-Kommission Klarheit zu schaffen und bemühte sich um ein differenziertes Gedenken. Offizielle Gedenkveranstaltungen der Stadt sollten primär nicht mehr nur „deutscher Opfer“ gedenken, sondern auch den Kontext der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und des von Deutschland ausgehenden Vernichtungskriegs thematisieren.
[Autor: Jakob Schergaut]
Literaturverzeichnis
1Heimann, Peter/Ulrich Wolf: Steht die AfD vor der Spaltung? In: Sächsische Zeitung (2017), Dresden.
2 Manfred Zeidler: Luftkriegsschule Dresden-Klotzsche. In: Konstantin Herman (Hrsg.): Führerschule, Thingplatz, „Judenhaus“, Dresden 2014, hier S. 284.
3 Michael C. Schneider: Die Wirtschaftsentwicklung von der Wirtschaftskrise bis zum Kriegsende. In: Clemens Vollnhals (Hrsg.): Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, hier S. 80.
4 Heinz Schulz: Rüstungsproduktion im Raum Dresden 1933-1945, 2. Aufl. Dresden (Militärhistorische Schriften des Arbeitskreises Sächsische Militärgeschichte e.V. 11), S. 29.
5 Christine Pieper: Das „Judenlager Hellerberg“ - Ein (un)vergessener Ort? In: Konstantin Herman (Hrsg.): Führerschule, Thingplatz, „Judenhaus“. Orte und Gebäude der nationalsozialistischen Diktatur in Sachsen, Dresden 2014, hier S. 278.
6 Schulz: Rüstungsproduktion, S. 113.
[7] Leipzig wurde als erste sächsische Großstadt bereits am 4. Dezember 1943 massiv bombardiert, um die lokale Rüstung lahmzulegen. Vgl. Rainer Behring: Das Kriegsende 1945. In: Clemens Vollnhals (Hrsg.): Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, hier S. 225.
[8] Vgl. Matthias Neutzner: Abschlussbericht der Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945. Materialien zur Kommission, dort datiert 17.03.2010, S. 61, URL: https://www.dresden.de/media/pdf/stadtarchiv/Historikerkommission_Dresden1945_Abschlussbericht_V1_14a.pdf (16.07.2024).
[9] Alexander von Plato: Erinnerungen an ein Symbol: die Bombardierung Dresdens im Gedächtnis von Dresdnern. In: BIOS - Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 20 (2007), H. 1, S. 123–137, hier S. 125–126.
[10] Hier zitiert nach: Ebd., S. 127.
[11] Neutzner: Abschlussbericht, S. 65.
[12] Ebd., S. 61–62.
[13] von Plato: Erinnerungen an ein Symbol: die Bombardierung Dresdens im Gedächtnis von Dresdnern, S. 132.
[14] Neutzner: Abschlussbericht, S. 79.
[15] Helmut Schnatz: Nachträge zum Komplex Tiefflieger über Dresden. Materialien zur Kommission, dort datiert 17.03.2010, S. 4, URL: https://www.dresden.de/media/pdf/stadtarchiv/Schnatz_100403.pdf (17.07.2024).
[16] Ebd., S. 44.
[17] Wie dies zu Stande kam, ist schwer nachvollziehbar. Der spätere Dresdener Oberbürgermeister Walter Weidauer versucht die Zahl der 35.000 1965 endgültig als feste Größe zu etablieren. Auf Nachfrage, woher diese zusätzlichen 10.000 kommen würden, verwies er später auf eine damalige Äußerung des Friedhofsgärtners Zeppenfeld. Die von Zeppenfeld angegebenen Zahlen decken sich jedoch keinesfalls mit den dokumentierten Zahlen des Heidefriedhofs. Vgl. Neutzner: Abschlussbericht, S. 68.