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Von Arnstadt nach Berlin: Geschichts-mythen auf dem Vormarsch

Im Dezember 2024 sorgt die AfD mit antisemitischen Äußerungen und geschichtsrevisionistischen Positionen für Aufsehen. Trotz wachsendem Druck versucht die Partei, insbesondere durch Björn Höcke und Maximilian Krah, weiter die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Die Entwicklungen in Sachsen und Thüringen verdeutlichen, wie die AfD ihre radikale Ausrichtung festigt und gefährliche Narrative bis in den Bundestag trägt.

Maximilian Krah bei einer Wahlkampfveranstaltung 2023 in Nordhausen.
Maximilian Krah bestätigte seinen Zuhörer:innen im sächsischen Rochlitz nach seiner Nominierung: "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher." ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 06.09.2024

Maximilian Krah: Vom Skandalpolitiker zum Bundestagskandidaten

Am 11. Dezember wurde der umstrittene Europa-Abgeordnete Maximilian Krah überraschend zum Direktkandidaten der AfD für den Bundestag im Wahlkreis Chemnitzer Umland –  Erzgebirgskreis II nominiert. Bekannt wurde Krah vor allem durch seine provokativen Social-Media-Auftritte und seine geschichtsrevisionistischen Äußerungen. Besonders umstritten war seine Relativierung der SS in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica. Auch durch Ermittlungen gegen seinen Mitarbeiter Jian G. geriet Krah in die Kritik. Nachdem bei der Versammlung im sächsischen Rochlitz im ersten Wahlgang kein Kandidat die notwendige Mehrheit erreicht hatte, ließ sich Krah im zweiten Wahlgang überraschend aufstellen – und setzte sich durch. Ein unerwarteter Erfolg, der offenbar auch die Parteispitze überraschte. In seiner anschließenden Rede bekräftigte Krah seine revisionistische Haltung zur deutschen Geschichte mit der Aussage: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher.“1

Diffamierung des Verfassungsschutzes: Verteidigung nach vorn

Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD in Thüringen, attackierte erneut den Verfassungsschutz. Nachdem er den scheidenden Präsidenten des Bundesamts, Thomas Haldenwang, bereits als „willigen Vollstrecker“ bezeichnet hatte – ein eindeutiger Bezug zu Daniel J. Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ –, richtete er seine Vorwürfe indessen gegen Stephan Kramer, den Chef des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz.

In einem am 11. Dezember von Höcke verbreiteten Bild wird eine Marionette gezeigt, die von einer Hand gesteuert wird, begleitet von der Aufschrift: „Mitteldeutscher Rundfunk: Kramers willige Vollstrecker?“ Diese Bildsprache reproduziert antisemitische Propagandamotive aus der Zeit des Nationalsozialismus. Der Bezug auf Goldhagens Werk, das die Rolle der deutschen Bevölkerung im Holocaust beleuchtet, wird hier geradezu grotesk ins Gegenteil verkehrt. Höcke wiederholte seine Angriffe auch während der 5. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 13. Dezember und stützte sich dabei auf eine fragwürdige Reportage des neurechten Portals Apollo-News. In der Debatte diffamierte er die in der Apollo-Recherche genannten MDR-Reporter als „Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi“.2 Die Abgeordnete März ordnete diesen Vergleich als populistisch Verdrehung der Geschichte ein, während König-Preuss den antisemitischen Charakter der von Höcke gezeigten Karikatur scharf kritisierte.

Björn Höcke verbreitete am 11. Dezember dieses antisemitische Bild auf Telegram.
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Björn Höcke verbreitete am 11. Dezember dieses antisemitische Bild auf Telegram. ©Screenshot, t.me/BjoernHoeckeAfD, aufgenommen am 19.12.2024
Die offizielle Propaganda des Nationalsozialismus bediente sich des gleichen Bildes von Jüd:innen als "Strippenzieher" hinter den Marionettenfiguren.
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Die offizielle Propaganda des Nationalsozialismus bediente sich des gleichen Bildes von Jüd:innen als "Strippenzieher" hinter den Marionettenfiguren. ©Screenshot, X, aufgenommen am 19.11.2024

Landesparteitag in Thüringen: Zwei Spitzenkandidaten für den „Flügel“

Einen Tag nach der Landtagsdebatte hielt die Thüringer AfD am 14. Dezember 2024 ihren Landesparteitag in Arnstadt ab. Nach internen Unstimmigkeiten im Voraus um die Besetzung der Spitzenposition für die Bundestagsliste wurden vor Ort Stephan Brandner auf Platz 1 und Stefan Möller auf Platz 2 bestätigt. Beide gelten als Vertreter des offiziell aufgelösten, völkischen „Flügels“. Möller war Mitunterzeichner der Erfurter Resolution, während Brandner in der Vergangenheit durch geschichtsrevisionistische Äußerungen auffiel. So polemisierte er 2015 in einer Rede im Thüringer Landtag während der Debatte um die Einführung eines Feiertages anlässlich des 8. Mai, dem Tag der Befreiung, gegen eine angebliche „Gedenkinflation“. Stattdessen rückte er deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung in den Fokus. Dabei postulierte er  die absurd hohe Übertreibung von 2 Millionen Deutschen, die ums Leben gekommen seien.3 Mit der Nominierung von Möller und Brandner sendet die Thüringer AfD auch ein klares Signal nach Berlin: Der völkische Flügel bleibt tonangebend.

Stephan Brandner 2019 bei einer Rede im Bundestag. Auf dem Landesparteitag der Thüringer AfD wurde Brandner auf Listenplatz 1 gewählt.
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Stephan Brandner 2019 bei einer Rede im Bundestag. Auf dem Landesparteitag der Thüringer AfD wurde Brandner auf Listenplatz 1 gewählt. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 19.12.2024
Stefan Möller ist Landessprecher der Thüringer AfD und enger Vertrauter von Björn Höcke.
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Stefan Möller ist Landessprecher der Thüringer AfD und enger Vertrauter von Björn Höcke. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 26.08.2024

Eine außenpolitische Resolution: Russland als ideologischer Partner

Auf dem Landesparteitag in Arnstadt verabschiedete die Thüringer AfD auch eine Resolution mit dem Titel „Friede und Souveränität – ein Deutscher Standpunkt“. Darin wird die Idee eines vermeintlich natürlichen, eurasischen Kulturraums konstruiert und die Behauptung aufgestellt, dass erst durch amerikanische Einmischung eine Entfremdung Russlands vom Rest Europas entstanden sei. Russland wird dabei als Gegenentwurf zu den „universalistischen USA“ sowie als Opfer von amerikanischem Kolonialismus dargestellt. Die Resolution behauptet, Deutschland sei außenpolitisch nicht souverän und warnt vor der Errichtung eines „neuen eisernen Vorhangs“. Dem US-amerikanischen Modell wird ein angeblich angemesseneres, eurasisches Gegenmodell gegenübergestellt, das die historischen „Verheerungen unseres Kontinents“ berücksichtigen soll. Als Lösungsansatz propagiert das Dokument „Verträge und Diplomatie“ und endet mit einem Plädoyer für „Souveränität“ sowie der Forderung, deutsche statt „fremde“ Interessen zu vertreten.

Der Anti-Amerikanismus der AfD dient in dieser Resolution als verbindendes Element für unterschiedliche ideologische Strömungen. Die immer wiederholte Behauptung, Deutschland sei nicht souverän, negiert die alltägliche politische Praxis der Bundesrepublik und die historische Errungenschaft des 2 + 4 Vertrags von 1990. Dieser beendete formal die Nachkriegsordnung und machte den Weg für ein vereintes und souveränes Deutschland frei. Das suggestive Anprangern einer vermeintlich fehlenden, deutschen Souveränität bietet Anknüpfungspunkte für Reichsbürger:innen, Neonazis und Teile der Friedensaktivist:innen und Montagsspaziergänger:innen. Die Vermutung geheimer Mächte, die das Weltgeschehen steuern, verweist auf ein strukturell antisemitisches Denkmuster. Mit ihrer prorussischen Ausrichtung folgt die AfD dem Kurs des rechtsextremen Ideologen Alexander Dugin, der zeitweise als Berater Wladimir Putins galt. Die gemeinsame Ablehnung von liberaler Gesellschaftsordnung, Minderheitenschutz und Gewaltenteilung wird in der Resolution als Gegenentwurf zu einem angeblich dekadenten und verfallenden Westen präsentiert. Russland hingegen wird als Bewahrer von Tradition und Kultur stilisiert. Der Verweis auf die „Verheerungen unseres Kontinents“ dient dabei lediglich als rhetorisches Mittel, um gegen die USA zu agitieren. Dabei wird ausgeblendet, dass Europa, insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch ohne amerikanischen Einfluss ins Chaos stürzte – allerdings mit maßgeblicher deutscher Verantwortung.

Von Arnstadt nach Berlin

Anknüpfend an die Resolution äußerte sich Kanzlerkandidatin Alice Weidel im Bundestag zur Vertrauensfrage von Kanzler Scholz am 16. Dezember 2024. Sie beschuldigte die CDU der „Kriegstreiberei“ und erklärte: „Die historische Erfahrung des 20. Jahrhunderts sollte Warnung genug sein, Deutschland und Europa nie mehr in einen Krieg hineinzuziehen. Das ist unsere historische Verantwortung.“4 Weidels Aussage externalisiert die Schuld an den Kriegen des 20. Jahrhunderts und lenkt den Fokus auf vermeintliche „außereuropäische Mächte“. Damit zweifelt sie implizit die deutsche Kriegsschuld an. Diese geschichtsrevisionistische Rhetorik steht im Einklang mit der Thüringer Resolution und versucht, Zweifel an der Verantwortung Deutschlands zu säen. Gleichzeitig reproduziert die AfD damit altbekannte NS-Mythen über angebliche alliierte Kriegsschuld und legitimiert ihre Nähe zu Putins Russland.

Einschätzung


Die Entwicklungen im Dezember 2024 verdeutlichen, dass die AfD trotz erheblicher Kritik und gesellschaftlichem Druck konsequent an ihrer geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Agenda festhält. Figuren wie Maximilian Krah und Björn Höcke spielen dabei eine zentrale Rolle in der weiteren ideologischen Radikalisierung der Partei. Der Schulterschluss mit Russland und der Anti-Amerikanismus dienen der AfD als ideologisches Bindeglied, um neue gesellschaftliche Wählermilieus zu erschließen.

Die Gefahr dieser Entwicklung liegt darin, dass weit verbreitete antiwestliche und antiliberale Denkmuster in der Gesellschaft als Brücke dienen könnten, um breitere Gruppen mit dem rechtsextremen Geschichtsrevisionismus der AfD in Berührung zu bringen. Dies untergräbt die über Jahrzehnte hinweg hart erkämpfte Erinnerungskultur und gefährdet die Auseinandersetzung mit der historischen Verantwortung Deutschlands. Der Angriff auf die Erinnerungskultur ist für die AfD ein Einfallstor, um Politiken zu legitimieren, die bislang durch die Lehren aus dem Nationalsozialismus tabuisiert waren. Dies zeigt sich besonders deutlich in Vorhaben wie der massenhaften „Remigration“, einer beschönigenden Umschreibung für die Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund.

[1] Steffen Tilman: Maximilian Krah tritt für den Bundestag an. Zeit Online, dort datiert 11.12.2024, URL: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-12/maximilian-krah-sachsen-kandidatur-bundestagswahl (19.12.2024).

[2] Die Rede kann hier nachvollzogen werden (ab 02:49:00): Björn Höcke: 5. Plenarsitzung. Thüringer Landtag, dort datiert 13.12.2024, URL: https://live.thltcloud.de/Veranstaltung/Plenarsitzung_2024_5/20241213 (19.12.2024).

[3] Teile der Rede können auf Youtube angesehen werden: Stephan Brandner: AfD zum Thema „Befreiung“ ! Youtube, dort datiert 04.05.2005, URL: https://www.youtube.com/watch?v=Uy2a_MrJmYo (19.12.2024).

[4] Die Rede kann hier angesehen werden: Alice Weidel: Rede von Alice Weidel zur Vertrauensfrage von Olaf Scholz am 16.12.24. Youtube, dort datiert 16.12.2024, URL: https://www.youtube.com/watch?v=UdEqJRaYkzI&t=361s (19.12.2024).


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