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Der 8. Mai in Sachsen: Zwischen Erinnerung und Relativierung

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und den Zusammenbruch des NS-Regimes. In Ostdeutschland bleibt die Bedeutung dieses Datums bis heute umstritten – auch im Spannungsfeld zweier Diktaturen. Am 23. März 2025 diskutierte der Sächsische Landtag über einen Antrag der Partei Die Linke, den 8. Mai in Sachsen künftig als Gedenktag zu begehen. In der Debatte positionierte sich die AfD entschieden gegen den Vorschlag und verbreitete dabei geschichtsrevisionistische Gleichsetzungen, Relativierungen und einseitige deutsche Opfererzählungen.

Bild vom Plenarsaal des sächsischen Landtages in Dresden.
Am 26. März 2025 wurde im Plenarsaal des Sächsischen Landtags anlässlich des 80. Jahrestags kontrovers über die Bedeutung des 8. Mai 1945 gestritten. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 30.04.2025

Ein umstrittener Kronzeuge

Für die AfD-Fraktion ergriff Sebastian Wippel das Wort und stützte seine Argumentation auf den Historiker Hubertus Knabe, den er als „CDU-nah“ einordnete – wohl in der Hoffnung, die Zustimmung der Unionsfraktion zu gewinnen. Knabe veröffentlichte im Februar 2025 eine Neuauflage seines Buchs „Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland.“ Darin vertritt er die These, dass für viele Ostdeutsche die eigentliche Befreiung nicht 1945, sondern erst 1989 mit dem Ende der SED-Diktatur stattgefunden habe. Die Erstveröffentlichung von 2005 stieß auf erhebliche Kritik, da sie u.a. mit unbelegten Opferzahlen zu sowjetischem Verbrechen operierte.1 Darstellungen, die für die extreme Rechte anschlussfähig sind, auch wenn sich Knabe seinerzeit klar gegen eine Vereinnahmung wehrte.2

Die Deutschen als Opfer zweier Diktaturen

Der sächsische AfD-Abgeordnete Wippel zitierte Knabe verkürzt, um seine Interpretation der Ostdeutschen als Opfer zweier Diktaturen zu präsentieren. Dieses Bild blendet aus, dass weite Teile der Bevölkerung das NS-Regime unterstützten oder zumindest hinnahmen. Wippels Ausführung gipfelte in der Aussage: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur! Nie wieder Sozialismus, ganz gleich, ob braun oder rot.“3 Damit setzte er NS-Regime und SED-Diktatur gleich und lastet beide Systeme den „Sozialisten“ – also der politischen Linken an. Diese systematisch betriebene Tatsachenverdrehung  zielt auf eine Verschiebung des Geschichtsbewusstseins ab. Die politische Rechte – und damit die AfD – soll von der historischen Verantwortung des Nationalsozialismus befreit, belastete Politiken für die Gegenwart denkbar gemacht werden. 

Bild von Sebastian Wippel, der seit 2014 für die AfD im sächsischen Landtag sitzt.
Sebastian Wippel ist ehemaliger Polizeikommissar und sitzt seit 2014 für die AfD im sächsischen Landtag. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 30.04.2025

Der 8. Mai als Kulisse geschichtsrevisionistischer Deutungen

Diese Strategie der Geschichtsverfälschung setzte Wippel in seiner Deutung des 8. Mai fort. Er stellte infrage, ob dieser Tag tatsächlich das Ende des Krieges markiere, und verwies auf die niederländische Kolonialgewalt in Indonesien (1945–1949). Damit konstruierte er das Bild eines andauernden globalen Konflikts, der weit über das Ende des Nationalsozialismus hinausgereicht habe. Diese Darstellung reduziert die Rolle des NS-Regimes auf einen Akteur unter vielen und verkennt die systematische Vernichtung. Wippel sprach in diesem Zusammenhang von den „sogenannten Befreiern“, die nicht aus „Menschlichkeit“, sondern aus „imperialistischen Ambitionen“ gehandelt hätten.4 Die militärische Niederringung des NS-Regimes erscheint so nicht mehr als notwendige Voraussetzung zur Beendigung millionenfachen Leids, sondern als Ausdruck geopolitischer Machtinteressen. Auf diese Weise wird eine moralische Gleichsetzung von NS-Terror und alliierter Kriegsführung nahegelegt. Zwar räumte Wippel ein, dass die Alliierten Verfolgte befreit hätten, unterstellte ihnen jedoch zugleich, andere Gruppen „bewusst und gewollt“ ins Unglück gestürzt zu haben.

Strategische Umdeutung des Gedenkens

Vor diesem Hintergrund beantragte die AfD, am 8. Mai auch der deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung zu gedenken – mit Verweis auf unzureichende Aufmerksamkeit am offiziellen Gedenktag am 20. Juni. Damit würde der 8. Mai in einen allgemeinen Opfergedenktag umgewidmet werden. Eine solche Gleichsetzung verwischt historische Verantwortung: Täter:innen, Opfer, Mitläufer:innen und Profiteur:innen werden nivelliert –ebenso wie die spezifische Schuld des NS-Regimes. Der Änderungsantrag wurde zwar vom Parlament abgelehnt, doch dürfte die AfD mit ihren Deutungsangeboten bei vielen Wähler:innen auf Sympathie stoßen.

Ostdeutsche Erfahrungen als Resonanzboden

Die AfD knüpft an Narrative an, die bereits in der DDR etabliert waren. Dort wurde die Verantwortung für den Nationalsozialismus einer kleinen Gruppe von NSDAP-Funktionären zugeschrieben, die nach 1945 in den Westen gegangen seien. Dieses integrative Deutungsangebot erlaubte vielen, sich als betrogene Opfer der Elite zu begreifen.5 Das ritualisierte Gedenken am 8. Mai zum „Tag der Befreiung“ ließ wenig Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit. Stattdessen förderte die DDR kollektive Opfermythen, etwa im Kontext der Bombardierung Dresdens. Zugleich wurde sowjetische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung weitgehend tabuisiert.6 Diese Konstellation begünstigte die Herausbildung eines doppelten Opferbewusstseins: als Leidtragende des Nationalsozialismus und der sowjetischen Besatzung.

Eine Delegation Junger Pioniere legte am 8. Mai 1954 anlässlich des neunten Jahrestages der Befreiung vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park (Berlin) Kränze nieder.
Eine Delegation Junger Pioniere legt am 8. Mai 1954 anlässlich des neunten Jahrestages der Befreiung vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park (Berlin) Kränze nieder. ©Bundesarchiv Bild 183-24487-0014, aufgerufen am 30.04.2025

Geschichtspolitische Strategie und parteitaktische Motive

Eine Deutung, an die die AfD in geschichtspolitischen Debatten wie jener im sächsischen Landtag gezielt anknüpft. Sie greift auf historisch gewachsene Opfernarrative zurück und nutzt Tatsachenverdrehungen, Gleichsetzungen und Relativierungen, um Schuld umzudeuten und sich von der historischen Last des Nationalsozialismus zu befreien. Diese Strategie verfängt besonders dort, wo staatlich verordnete Gedenkpolitik Lücken und Misstrauen hinterlassen hat, und rechtsextrem Dauerpräsenz alternative Deutungsangebote schaffen konnte. Notwendig wäre demgegenüber eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die sowjetische Repressionen anerkennt, ohne die Verantwortung für den Nationalsozialismus zu relativieren.

Die Landtagsdebatte zeigt zudem das parteitaktische Kalkül der AfD, die CDU zu spalten. Wippel warf der Union Nähe zur Linken vor, deutete zugleich aber Bereitschaft zur Zusammenarbeit an – ein Versuch, Anschluss an konservative Milieus zu gewinnen. Während auf kommunaler Ebene Kooperationen zwischen CDU und AfD mancherorts bereits Realität sind, widersetzte sich die CDU-Fraktion im Landtag bislang diesem Kurs: Der 8. Mai wurde auch mit ihren Stimmen als "Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus und zur Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa" eingeführt.

[1] Zeidler, M. (2006). Rezension: Hubertus Knabe: Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland. [Rezension des Buches Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland, von H. Knabe]. Totalitarismus und Demokratie, 3(1), 167-171. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-351852

[2] Hubertus Knabe: Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland. Berlin 2005, S. 350.

[3] Sächsischer Landtag: 10. Sitzung. Sächsischer Landtag, dort datiert 26.03.2025, S. 46, URL: https://www.landtag.sachsen.de/data/xml/sitzungskalender/Plenum_8-10.pdf (23.04.2025).

[4] Ebd., S. 47.

[5] Christoph Classen: Fremdheit gegenüber der eigenen Geschichte. Zum öffentlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus in beiden deutschen Staaten. In: Jan C. Behrends/Thomas Lindenberger/Patrice G. Poutrus (Hrsg.): Fremde und Fremdsein in der DDR: Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland., Berlin 2003, hier S. 112.

[6] Oliver von Wrochem: Die Sowjetischen „Besatzer“. In: Jan C. Behrends/Thomas Lindenberger/Patrice G. Poutrus (Hrsg.): Fremde und Fremdsein in der DDR: zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland, Berlin 2003, hier S. 58.


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