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Die AfD als Sprachrohr der NS-Opfer?

Im Thüringer Landtag wurde in der Plenarsitzung am 6. März 2025 erneut über die Einführung eines einmaligen Feiertages am 8. Mai 2025 diskutiert. Bereits im November 2024 hatte der Antrag zu kontroversen Debatten geführt. Damals sorgte der AfD-Abgeordnete Sascha Schlösser mit geschichtsrevisionistischen Aussagen für einen öffentlichen Eklat. In der erneuten Aussprache zum Gesetzesentwurf inszenierte er sich nun als Sprachrohr der Opfer des Nationalsozialismus.

Sascha Schlösser (AfD) bei seiner Rede im Landtag am 14.11.2024.
Sascha Schlösser (AfD) bei seiner Rede im Landtag am 14.11.2024. ©Screenshot, https://www.facebook.com/AlternativeausErfurt, aufgerufen am 21.11.2024

Vorgeschichte

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Ein Datum, das auch in Thüringen immer wieder für Kontroversen sorgte. Bereits 2015 debattierte der Landtag über einen Antrag der Partei "Die Linke", den 8. Mai als Gedenktag einzuführen. Der heutige AfD- Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner polemisierte damals gegen eine vermeintliche "Gedenkinflation". Dem setzte er die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung entgegen. Dabei nannte er die in geschichtsrevisionistischen Kreisen verbreitete Zahl von zwei Millionen Todesopfern. Die historische Forschung jedoch geht heute von etwa 600.000 zivilen Opfern zwischen 1944 und 1947 aus.1 Trotz Brandners Versuchen das Anliegen zu diffamieren fand der Gesetzesvorschlag damals eine Mehrheit.

Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner zusammen mit Landtagsmitglied Sascha Schlösser bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bad Liebenstein.
Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner zusammen mit Landtagsmitglied Sascha Schlösser bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bad Liebenstein. ©Screenshot, Telegram, aufgerufen am 07.03.2025

Die Gispersleben-Affäre

Seit 2015 ist der 8. Mai in Thüringen als Gedenktag anerkannt. Anlässlich des bevorstehenden 80. Jahrestages brachte „Die Linke“ im November 2024 den Vorschlag ein, den Tag im Jahr 2025 einmalig zum Feiertag zu erklären. In der darauffolgenden Debatte ergriff Sascha Schlösser für die AfD das Wort. Den Gesetzesentwurf versuchte er u.a. mit Bezügen auf Richard von Weizäckers berühmte Rede aus dem Jahr 1985 zu entkräften. Das Einspannen demokratischer Kronzeugen ist eine bekannte Strategie der Neuen Rechten zur Selbstverharmlosung. Götz Kubitschek, Kopf des rechtsextremen "Instituts für Staatspolitik", nennt diese Taktik "Verzahnung".2 Die Komplexität von Weizäckers Rede ließ Schlösser jedoch vermissen. Stattdessen lenkte er die Debatte auf die deutschen Opfer von Flucht, Vertreibung und alliierter Gewalt. Seinen Vorredner Matthias Hey (SPD), der an die Befreiung des KZ Buchenwald am 11. April 1945 erinnert hatte, forderte er auf, an diesem Datum nach Gispersleben zu schauen: Dort, so Schlösser, seien 50 blutjunge deutsche Soldaten erschossen worden.

Geschichtsrevisionismus im Landtag


Eine gezielte Manipulation: Tatsächlich führten deutsche Verbände, überwiegend SS-Angehörige, am 10./11. April 1945 eine Gegenoffensive durch. Dabei verübten sie Kriegsverbrechen, indem sie an zwei Stellen gefangene amerikanische Soldaten erschossen. Nach dem Ende der Kampfhandlungen töteten amerikanische GIs ihrerseits etwa zwölf gefangene Deutsche – offenbar als Vergeltung. Schlösser vermengte die im Kampf Gefallenen mit den völkerrechtswidrig Hingerichteten und rundete die tatsächliche Zahl von 45 Toten auf 50 auf – eine gängige Methode des Geschichtsrevisionismus. Dabei erweckte er den falschen Eindruck, alle getöteten Deutschen seien in Gispersleben Opfer alliierter Willkür geworden. Besonders schwerwiegend wirkte seine Parallelisierung der in Gispersleben getöteten Deutstchen mit den befreiten Häftlingen des KZ Buchenwald. Eine Relativierung, die damals öffentlich skandalisiert wurde.

Die Neuauflage im März 2025

Nach der Debatte im November 2024 durchlief der Antrag mehrere Instanzen und landete schließlich im Ausschuss für Inneres, Kommunales und Landesentwicklung. Dieser empfahl am 20. Februar 2025 den Antrag abzulehnen. In der abschließenden Plenarsitzung am 6. März 2025 bezog Schlösser erneut Stellung. Diesmal gab er sich defensiv und behauptete, er habe sich in seiner Rede im November lediglich auf einen Nachkriegskonsens der demokratischen Parteien bezogen, wonach der 8. Mai als Gedenktag, nicht aber als Feiertag zu begehen sei. "Die Linke" wolle diesen Nachkriegskonsens nun aufkündigen. Eine mindestens fragwürdige Darstellung, hat doch der 8. Mai bis in die 1970er Jahre der Bundesrepublik kaum eine öffentlich-wahrnehmbare Rolle gespielt.3 Zudem hat die AfD in Thüringen zehn Jahre zuvor selbst vehement versucht, die Einführung eines solchen Gedenktages zu verhindern. Nachdem Schlösser im November 2024 noch "blutjunge deutsche Soldaten" gegen die Opfer des KZs Buchenwald ausgespielt hatte, inszenierte er sich nun als deren Fürsprecher: "[...] wenn Sie sich nur eine Sekunde von ihrer ideologischen Verblendetheit (sic) lösen würden […] würden sie erkennen, dass selbst für die Geretteten –  und ich erwähne das ausdrücklich, weil kritisiert wurde, ich hätte mich nicht mit den Befreiten aus den KZs beschäftigt – also selbst für die Geretteten, aus dem KZ Buchenwald zum Beispiel, kann der 8. Mai kein uneingeschränkter Feiertag gewesen sein." Schlössers Rede wirkte passagenweise wie ein Verteidigungsplädoyer, in dem er seine revisionistischen Thesen zu relativieren suchte und auch das Leid der KZ-Häfltinge betonte. Seinen Beitrag beendete er mit den Worten: "Für die Entscheidung, den 8. Mai nicht als Feiertag zu begehen, bedarf es keines Tabubruchs, keines Geschichtsrevisionismus und keiner Schuldumkehr. Nur Einfühlungsvermögen und Anstand."4

Geschichtspolitik von rechts

Ein Abgeordneter, der wenige Monate zuvor noch SS-Angehörige mit KZ-Häftlingen in eine Reihe setzte, inszenierte sich nun als Interessenvertreter der Überlebenden der NS-Verbrechen. Lediglich die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss ("Die Linke") kritisierte dieses rhetorische Manöver scharf. Ansonsten blieben Gegenreaktionen im Landtag weitgehend aus. Auf die fundierten Widerlegungen seiner Behauptungen zu Gispersleben und seine Gleichsetzung ging er nicht ein – offenbar in dem Bewusstsein, dass dort argumentativ nichts mehr zu gewinnen war.
Unabhängig von der Frage, ob die Einführung eines Feiertages am 8. Mai als sinnvoll oder nicht erachtet wird, zeigt sich eine beunruhigende Tendenz: Die fortwährenden geschichtsrevisionistischen Angriffe auf die Erinnerungskultur im Landtag scheinen zu einer Art Ermüdungseffekt zu führen. Hatten im November 2024 noch zahlreiche Abgeordnete beherzte Reden zum 8. Mai gehalten, hat der Versuch Schlössers, sich nun mehr als Sprachrohr der NS-Opfer zu inszenieren, kaum noch Gegenwehr hervorgerufen. Der Antrag wurde – entsprechend der Empfehlung des Ausschusses für Inneres, Kommunales und Landesentwicklung – mehrheitlich abgelehnt. Obwohl die Ablehnung aus unterschiedlichen politischen Motiven erfolgte, deutete die AfD das Ergebnis als Erfolg ihrer Geschichtspolitik: „Die heutige Entscheidung des Landtags zeigt, dass die AfD mit ihrer Position nicht mehr alleinsteht. Das ist ein wichtiger Erfolg für eine ausgewogene Erinnerungskultur, die historischen Realitäten gerecht wird, ohne in einseitige Deutungsmuster zu verfallen.“5 Eine Einschätzung, welche die eigene Geschichtsfälschung der AfD in Bezug auf Gispersleben außen vor lässt. Diese Entwicklung macht deutlich, wie die Partei zunehmend Deutungshoheit in geschichtspolitischen Debatten beansprucht – und wie essenziell eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit ihrem Revisionismus bleibt.

[1] Arnulf Scriba: Die Flucht der deutschen Bevölkerung 1944/45. Deutsches Historisches Museum, dort datiert 19.05.2015, URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/flucht-der-deutschen-194445 (05.03.2025).

[2] Götz Kubitschek: Selbstverharmlosung. In: Sezession 76 (2017), S. 26–28.

[3] Peter Hurrelbrink: Befreiung als Prozess. Die kollektiv-offizielle Erinnerung an den 8. Mai 1945 in der Bundesrepublik, der DDR und im vereinten Deutschland. In: Gesine Schwan u.a. (Hrsg.): Demokratische politische Identitat Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich, Wiesbaden 2006, hier S. 109.

[4] Sascha Schlösser: 10. Plenarsitzung. Thüringer Landtag, dort datiert 06.03.2025, URL: https://live.thltcloud.de/Veranstaltung/Plenarsitzung_2025_9-11 (07.03.2025). Die Rede startet unter TOP 7 ab 2:52:00.  

[5] AfD Fraktion Thüringen, dort datiert 06.03.2025, URL: https://afd-thl.de/2025/03/06/8-mai-bleibt-ein-gedenktag-entscheidung-des-landtags-bestaetigt-position-der-afd-zur-historischen-verantwortung/ (07.03.2025

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