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Der 8. Mai in Sachsen-Anhalt: Vom "brauen" zum "grünen" Sozialismus?

Am 28. März 2025 brachte die Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt einen Gesetzentwurf ein, der den 8. Mai künftig als gesetzlichen Feiertag verankern sollte. Das Datum markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes. Die AfD nutzte die Debatte, um politische Gegner:innen zu diffamieren, historische Tatsachen zu relativieren und Verantwortung umzudeuten.

Blick in den Plenarsaal des Landtages von Sachsen-Anhalt in der Landeshauptstadt Magdeburg.
Blick in den Plenarsaal des Landtages von Sachsen-Anhalt in der Landeshauptstadt Magdeburg. ©Wikimedia Commons, aufgerufen am 05.05.2025

Rechtsextreme Deutungen des 8. Mai

Der Vorschlag, den 8. Mai als Feiertag zu begehen, ist im Landesparlament von Sachsen-Anhalt kein Novum: Bereits zum 75. Jahrestag wurde ein ähnlicher Vorschlag eingereicht, der jedoch in der Corona-Pandemie unterging. Zum 80. Jahrestag wurde das Anliegen erneut aufgegriffen. Nachdem Eva von Angern (Die Linke) die Eröffnungsrede gehalten hatte, meldete sich Hans-Thomas Tillschneider (AfD) in einer Intervention zu Wort. Zwar räumte er ein, dass am 8. Mai 1945 ein „Unrechtsregime“ beendet worden sei, bezeichnete das Datum aber zugleich als „größte Katastrophe unserer Geschichte“. Den Gesetzesvorschlag diskreditierte er als das Werk von „Linkspopulisten“. Von Angern entgegnete daraufhin, dass der 8. Mai die Menschheit von einer schrecklichen Katastrophe befreit habe – eine Aussage, die Matthias Büttner (AfD) prompt mit dem Zwischenruf „Das war 1989, was Sie meinen!“ kommentierte.1 Im Verständnis von Büttner stellt nicht die nationalsozialistische Herrschaft, die u.a. den Holocaust zu verantworten hat, die Katastrophe dar, sondern die SED-Diktatur. Eine Relativierung des NS-Regimes, an welche die AfD in ihrem eigentlichen Redebeitrag nahtlos anknüpfte.

Oliver Kirchner ist seit 2014 Mitglied der AfD und seit 2016 Mitglied des Landtages. Er war Mitunterzeichner der 2015 verfassten Erfurter Resolution, dem Gründungsdokument des völkisch-nationalistischen Flügels.
Oliver Kirchner ist seit 2014 Mitglied der AfD und seit 2016 Mitglied des Landtages. Er war Mitunterzeichner der 2015 verfassten Erfurter Resolution, dem Gründungsdokument des völkisch-nationalistischen Flügels. ©Screenshot https://www.youtube.com/watch?v=jFj8Z1mH-ls, aufgerufen am 05.05.2025

Der Nationalsozialismus als Werk „brauner Sozialisten“?

Für die AfD trat Oliver Kirchner ans Rednerpult. Dabei diffamierte er die Abgeordneten der Linksfraktion als „Stalins Erben“ und rückte vor allem die Verbrechen der Sowjetunion in den Mittelpunkt. Diese Schwerpunktsetzung dient nicht der historischen Differenzierung, sondern der moralischen Gleichsetzung von nationalsozialistischem Terror und alliierter Kriegsführung – ein weiterer Versuch, die NS-Verbrechen zu relativieren und Schuld umzudeuten. Der 8. Mai sei für ihn ein Tag, an dem man die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen habe. Den Alliierten danke er, da sie uns von den „braunen Sozialisten“ befreit hätten. Unter Beifall der AfD forderte Kirchner schließlich „Nie wieder Sozialismus, weder brauner noch roter noch grüner.“2 

Die Mär von den "linken Nazis" 

Eine Geschichtsverzerrung mit Tradition: So benutzte Stephan Brandner (AfD) diese Formulierung bereits 2015, um gegen einen Gedenktag anlässlich des 8. Mai in Thüringen zu polemisieren.3 Auch AfD-nahe Autoren wie der Jurist Josef Schüßlburner versuchen eine angebliche Wesensverwandtschaft von Nationalsozialismus und Sozialismus zu konstruieren.4 Eine Behauptung, die einer historischen Überprüfung nicht standhält: Der Nationalsozialismus war eine rechtsextreme, antisemitische und völkische Bewegung. Sozialistische Elemente, wie sie im Parteinamen „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) suggeriert wurden, dienten der Propaganda und sollten Arbeiter:innen ansprechen, ohne je sozialistische Kernanliegen wie Gleichheit oder internationale Solidarität umzusetzen. Im Gegenteil: Die NSDAP bekämpfte sozialistische und kommunistische Bewegungen von Beginn an brutal und definierte sich selbst explizit als antimarxistisch. Die Rede von den „braunen Sozialisten“ dient der politischen Umdeutung. Indem die AfD den Nationalsozialismus als "links" darstellt, versucht sie, die politische Rechte von ihrer historischen Verantwortung freizusprechen – und ihre eigene Ideologie für die Gegenwart zu rehabilitieren.

Von den "braunen" zu den "grünen" Sozialisten?

Kirchner erweiterte die Umdeutung des NS-Regimes um einen Gegenwartsbezug: die Grünen. Diese erscheinen in der AfD-Rhetorik als neue Träger eines vermeintlichen „grünen Sozialismus“. Maßnahmen wie Klimapolitik, Gleichstellungspolitik oder Wirtschaftsreformen werden pauschal als übergriffige, interventionistische Zwangsmaßnahmen gebrandmarkt – also als angeblicher Ausdruck eines neuen Totalitarismus. Der Sozialismusbegriff wird so ideologisch entkernt und auf jede Form staatlicher Regulierung oder gesellschaftlicher Veränderung übertragen. Die AfD schafft dadurch eine symbolische Kontinuitätskette: von „braun“ (Nationalsozialismus) über „rot“ (DDR) zu „grün“ (Gegenwart). In diesem Narrativ erscheinen die Deutschen als Opfer „sozialistischer Diktaturen“, während sich die AfD als letzte Verteidigerin einer angeblich bedrohten Freiheit inszeniert.

Systematische Angriffe 

Die Debatte im Landtag von Sachsen-Anhalt ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren erinnerungspolitischen Angriffs. In Landesparlamenten – etwa in Thüringen  oder Sachsen – verfolgt die AfD eine vergleichbare Strategie: Schuldumkehr, nationale Opfermythen und die Entlastung der politischen Rechten von jeder historischen Verantwortung. Dabei nutzt die Partei insbesondere die Erinnerung an die staatlich verordnete Gedenkpolitik der DDR, um Stimmung gegen das Anliegen zu machen.

Der 8. Mai im historischen Kontext

Gerade diese Bezugnahme verweist auf ein zentrales Spannungsfeld in der Erinnerungskultur Ostdeutschlands: die Deutung des 8. Mai. In der DDR war der Tag – zeitweise – gesetzlicher Feiertag und Teil des staatlich verordneten antifaschistischen Gedenkens. Dieses Ritual diente nicht nur der Legitimation der SED-Herrschaft, sondern bot vielen eine Form der Entlastung: Die DDR als „antifaschistischer Staat“ ersparte weiten Teilen der Bevölkerung die Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus. Die Erinnerung an diese staatlich vorgegebenen Gedenkkultur ist in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung präsenter als die NS-Verbrechen selbst – ein Umstand, von dem die AfD strategisch profitiert. Hinzu kommt ein weit verbreiteter Wunsch nach einem „Schlussstrich“, der von der AfD aufgegriffen wird.

Einordnung 

Gerade vor dem Hintergrund rechtsextremer Geschichtsdeutungen braucht es eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, welche die Befreiung vom NS-Regime als demokratische Zäsur anerkennt – ohne dabei spezifisch ostdeutsche Erfahrungen auszublenden. Der Antrag der Linken im Landtag von Sachsen-Anhalt, den 8. Mai als gesetzlichen Feiertag einzuführen, fand keine Mehrheit. Dennoch kündigte die Fraktion an, das Anliegen weiterverfolgen zu wollen, um das Datum als offiziellen Gedenktag zu etablieren. Ein Vorschlag, dem auch andere Parteien ihre Sympathien bekundeten. 

[1]  Landtag Sachsen-Anhalt: 89. Sitzung, dort datiert 28.03.2025, S. 182, URL: https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/plenum/wp8/087stzg.pdf (05.05.2025).

[2] Landtag Sachsen-Anhalt: 89. Sitzung, dort datiert 28.03.2025, URL: https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/plenum/wp8/087stzg.pdf. S. 189 (05.05.2025).

[3] Thüringer Landtag: 31. Sitzung. Thüringer Landtag, dort datiert 05.11.2015, URL: https://parldok.thueringer-landtag.de/ParlDok/dokument/56317/31_plenarsitzung.pdf. S 2358 (05.05.2025).

[4] Vgl. Josef Schüßlburner: Roter, brauner und grüner Sozialismus: Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus. Neustadt an der Orla 2013.


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